Die Ausreise aus Siem Reap gestaltete sich im Gegensatz zur Einreise übrigens durchaus angenehm. Lächelnde Zöllner und freundliche Grenzbeamte machten den Abschied schwer. Große, blonde Männer wie Carsten schienen dabei einen besonderen Stein im Brett kambodschanischer Grenzer zu haben. Jeder buhlte darum, seinen tonnenschweren Vishnu zu schleppen. Ein Beamter versank gar öffentlich in Carstens blauen Augen und meinte mit verzücktem Lächeln: »Sir, you are an actor, right? Because you look so handsome!« (Worauf Carsten zum kichernden Teenie mutierte.)
Wann hört man so was am deutschen Zoll?
Da verkraftete ich es gerne, dass ein gewissenhafter Grenzer meine klitzekleine, zusammenklappbare Schere, die ich weiland in einem kleinen Chinesenladen in San Francisco erstanden hatte und seit Menschengedenken in meinem Filofax bei mir führe, als gefährliche Waffe einstufte und kurzerhand konfiszierend in seine Hosentasche steckte.
Alle Reiseführer warnen in fetten Blockbuchstaben: Aus Thailand dürfen keinerlei Buddhafiguren oder -teile ausgeführt werden. Verboten, verboten, verboten. Selbst am Bangkoker Flughafen weisen unübersehbare Tafeln darauf hin. Nun ist der Zöllner als solcher in den seltensten Fällen kunsthistorisch so firm, dass er einen kambodschanischen Vishnu von einem Buddha unterscheiden kann. Erfahrene Weltenbummler wissen, dass ein industriegeschnitztes Massenprodukt an der Grenze schnell zum identitätsstiftenden Heiligtum ganzer Nationen mit Ausfuhrverbot mutieren kann, wenn der diensthabende Zöllner dringend einen Kredit abzahlen muss. Also beschließt Carsten, Schmiergelder schon im Vorfeld zu umgehen und seinen Vishnu bei der Einreise in Bangkok anzugeben, damit wir bei der Heimreise nach Deutschland keine Schwierigkeiten bekommen. Die Zolldame in schmucker Uniform versteht sein Anliegen nicht und fragt ihren Kollegen. Ja, die Figur ist aus Bronze und auf antik getrimmt. Nein, kein Buddha, ein Vishnu. Wir packen sie auf Wunsch gerne aus. Der Zöllner winkt gelangweilt ab. Selbst wenn es ein aus einem Bangkoker Museum gestohlener Buddha sei, so sollten wir ihn ganz einfach im Gepäck verstecken. So bekämen wir auf gar keinen Fall Schwierigkeiten. Ich beherzige den Rat des Zöllners, nachdem ich mir am Abend in einem kleinen Laden an der Silom Road einen antiken Alabaster-Buddha aus Burma zu einem Schnäppchenpreis erhandelt habe. Das tonnenschwere Prachtstück kommt zwischen die Schmutzwäsche in den Koffer. Zwar klärt uns eine Antiquitätenhändlerin im Gegensatz zu den Reiseführern dann definitiv auf: Ausschließlich antike Buddhas im Thaistil dürfen nicht oder nur mit ministerieller Genehmigung ausgeführt werden; burmesische oder laotische Buddhas, die sich stilistisch erheblich von den thailändischen unterscheiden und momentan den Markt ebenso überschwemmen wie billige Repliken, können hingegen en masse in alle Welt mitgeschleppt werden. Doch sicher ist sicher, mein Buddha bleibt im Koffer.
Ganz nebenbei erfahren wir, dass wir das Glück hatten, mit dem letzten Flieger aus Kambodscha rausgekommen zu sein, bevor wegen gewalttätiger Unruhen die Grenzen für mehrere Tage dichtgemacht wurden. Eine thailändische Schauspielerin hatte angeblich gesagt, dass Angkor eigentlich zu Thailand gehören würde und von den Khmer geraubt worden sei. Wie diese Äußerung zeigt, haben Soap-Stars in aller Welt offenbar den gleichen IQ, das hinderte die armen Khmer aber nicht daran, völlig auszuflippen. Man fackelte kurzerhand die Thai-Botschaft in Phnom Penh ab, plünderte schnell noch einige Hotels, die Thais gehören, und zerstörte Tankstellen der Thai-Benzin-Kette PTT.
Die Unruhen beherrschen tagelang die Medien. Eine Sondersendung jagt die andere. Offenbar nur in Thailand. Denn noch bevor wir überlegen, ob wir Stern oder Focus die Exklusivrechte für unsere Story verkloppen sollen, rufen wir schnell per Kreditkartentelefon zu Hause an, um Entwarnung zu geben (»Ja, wir haben es eben noch irgendwie geschafft! Puh, fragt nicht! Hölle! Jaja, wir leben, macht euch keine Sorgen! Gott, irgendwie muss es ja weitergehen, gell?!«), und stoßen auf absolute Informationsdefizite (»Wieso Sorgen? War was? Nö, hamma nix von gehört.«).
Die zwei Tage in Bangkok nutzen wir zum Powershoppen kombiniert mit Extrem-Sightseeing. Der kluge Weltreisende achtet von jeher besonders in tropischen Ländern auf gepflegte Kleidung (ich habe z. B. noch nie so viele gut und bis in die Haarspitzen korrekt gekleidete Menschen auf einem Haufen gesehen – Damen im eleganten Kostüm, Herren mit Anzug, Weste und Schlips – wie in den Geschäftsstraßen von Nairobi). Kurze Hosen trägt der Mann von Welt, wenn überhaupt, ausschließlich zu Hause auf dem Balkon oder am Strand. Sandalen kommen nur dann an den Herrenfuß, wenn selbiger sockenlos und perfekt pedikürt ist (und wenn das Schuhwerk nicht aus dem Hause Birkenstock kommt). Buntschreiende Unterhemden verbieten sich generell von selbst. Über nackte Oberkörper in der Öffentlichkeit braucht man gar nicht erst reden. Denkt man zumindest.
Heilfroh, in einem Land zu sein, in dem Menschen in Shorts und Tanktops einfach der Zutritt zu allen Sehenswürdigkeiten, Restaurants und Hotels verwehrt wird, schlendern wir triumphierend an halb nackten, stachelbeinigen Kiddies und Fetties vorbei, die sich Hosen und Tücher leihen müssen, um in den Königspalast zu gelangen. Wat Phra Kaeo und der Große Palast erschlagen einen jedes Mal wieder mit ihrer Pracht und Herrlichkeit in Ewigkeit. Doch jetzt erst können wir das im Palastgelände en miniature nachgebaute Angkor Wat wirklich schätzen.
Und da wir schon mal in der Gegend sind, bummeln wir noch ein wenig durch eine riesige, öde Karstfläche – den Sanam Luang, einen der raren Stadtparks in Bangkok, der von leidenden Bäumen gesäumt ist, auf denen düstere Taubenschwärme à la Hitchcock lauern. Wir sind auf dem Weg zu einer Sehenswürdigkeit der anderen Art, dem Mekka der Individualreisenden: Khaosan Road. Hier treffen sich Backpacker und Billigreisende aus aller Welt, um sich gegenseitig ganz individuell mit Piercings und Tattoos zu übertrumpfen. Ein Guesthouse reiht sich ans andere, keines sieht auch nur annähernd vertrauenserweckend aus. Aus den unzähligen Kneipen brüllt Musik jeglicher Stilrichtungen, damit man sich garantiert nicht unterhalten muss, über den Bars hängen Riesenmonitore, auf denen irgendwelche Hollywoodergüsse laufen, damit man sich nicht anschauen muss. Hier erleben wir auch, wen wunderts, das allererste Mal in all den Jahren Thailand die einzige wirklich pampige Kellnerin. Hier kann man auch für einen Appel und ein Ei einen Ausflug nach Angkor buchen – per Linienbus. Dafür dauert die Fahrt über unwegsame Schlammpisten circa einhundert Stunden, und wenn man sehr viel Glück hat, wird man auch nicht überfallen. Die Khaosan ist wie Patpong oder Teile der Sukhumvit gesäumt von T-Shirt-, CD-, Uhren- und Staubfänger-Buden. Die in allen Reiseführern beschriebenen falschen Lacoste-Hemden sucht man allerdings meist vergebens. La… was? Die Marke ist ja sowas von total 1990er. Die Fälscher sind am Puls der Zeit, die Trends werden hier auf der Straße gemacht. Die Saison 2003 gehört alleine Diesel – ob Tasche, Hose, Brille, Schuhe, Uhr oder Hemdchen, Hauptsache es steht fett und breit der Name der italienischen Jeansmarke drauf.
Hier tummeln sie sich also in Rudeln, die Individualreisenden. Hier suchen sie Kontakt zur Bevölkerung (»Okay, und was kosten zwei Gramm?«). Hier drücken sie kollektiv ihre Individualität aus, indem sie alle irgendwie echt total relaxed und peacig drauf sind, sich in dem Land mit einer der besten Küchen der Welt doch lieber mainstreamig Junkfood amerikanischer Ketten reinziehen, gefakte Diesel- oder echte Chang-Bier-Shirts tragen, sich Dreadlocks flechten lassen, schlechte Drogen zu schlechter Musik reinpfeifen, importiertes Heineken statt einheimisches Singha trinken und dabei über Neckermänner ablästern. Irgendwie drängen sich Ballermann-6-Bilder auf. Jeder Generation von Spießern ihr Getto. Bloß nicht ausbrechen aus dieser Individualität.
Bangkok hat sich verändert, seit ich das erste Mal vor etwa zehn Jahren (also Anfang der 1990er) da war. War ja zu erwarten.
Damals gab es zum Beispiel an der Silom noch ein paar herrlich alte Holzhäuser im traditionellen Thaistil. Heute findet sich an der Straße kein Haus, das nicht mindestens 20 Glas-Marmor-Chrom-vertäfelte Stockwerke hat.
Damals gab es jede Menge zerbeulte Rostlauben, wilde Tuktuk-Herden und eine unübersehbare Armada von Mopeds, die für permanentes Verkehrschaos sorgten. Heute gibt es nur noch vergleichsweise wenige Mopeds, und die Autos, meist Japaner oder Koreaner, aber auch erstaunlich viele deutsche Luxusmarken, sind ausnahmslos die neuesten Modelle. Tuktuks, die ein Fahrgefühl zwischen Achterbahn und Wilder Maus vermitteln (mein Tipp: Mal bei heftigem Tropengewitter ausprobieren – das fetzt!), scheinen langsam sogar vom Aussterben bedroht zu sein. Das Verkehrschaos hat sich hingegen