Die wilde Reise des unfreien Hans S.. Martin Arz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Arz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783940839541
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Nedim gab dem Leibgardisten einen kleinen Wink. »Du bist vielleicht nicht der beste Kämpfer in der Schlacht, Yorick, aber wir brauchen auch gute Männer jenseits der Schlachtfelder. Wie du siehst, haben wir den Verlust eines unserer Gardisten zu beklagen. Du wirst künftig unser Leibgardist.«

      Groß, blond, blauäugig – dass Hans das nicht schon längst aufgefallen war! Darum hatte sich Lala Nedim Pascha des Öfteren in ihrer Nähe herumgetrieben. Er hatte sich schon vor Langem einen neuen Leibwächter auserkoren. Hans war auch klar, dass die Entscheidungen ihre Freundschaft gefährden würde. Sie würden sich nicht mehr häufig sehen können und Max … Es durchzuckte ihn. Max!

      »Verzeiht, Herr«, sagte Hans mit fester Stimme. »Wir sind hier drei, Herr.«

      »Ja?« Lala Nedim verzog den Mund und kraulte seinen schwarzen Bart. »Dein untoter Freund ist nur zu bekannt. Wir finden ihn … nun ja … unheimlich. Er ist eindeutig verrückt. Kann er reiten? Und beherrscht du ihn? Ich meine, hast du ihn im Griff?«

      »Ja, Herr.«

      »Gut. Dann soll er mit dir zur Reiterei. Du bist für sein Tun und Handeln verantwortlich.« Beylerbey Lala Nedim Pascha drehte auf dem Absatz um und schritt davon. Seine Garde folgte mit wehenden Mänteln. Goldstickereien flirrten in der Sonne. Immer noch kniend ließen sich Hans und Yorick auf die Fersen nieder. Hans gab nach einer Weile des starren Schweigens Max einen Stups, der weiterhin regungslos mit dem Gesicht nach unten, alle viere von sich gestreckt, auf dem Boden lag. Max richtete sich auf.

      »Wir werden Reiter, Max«, sagte Hans. Keine Reaktion. »Klopf dir den Staub aus den Kleidern.« Max säuberte sich.

      »Wahnsinn«, sagte Yorick mit leuchtenden Augen und glühenden Wangen.

      »Ehrlich gesagt, hatte ich mir so was schon erhofft.«

      »Erhofft?«

      »Sicher. Leibgarde beim Prackl! Als Janitschar hätte ich es nicht weit gebracht. Da ist man doch nur Fußvolk. Schlachtfutter. Und dass der Prackl auf blaue Augen abfährt, weiß jeder. Blauere Augen als ich hat niemand weit und breit!«

      »Stimmt.«

      »Er soll Angst vor dem bösen Blick haben, sagt man. Der große Prackl Lala Nedim Pascha, ein Schrank von einem Kerl, glaubt an Gruselgeschichten. Darum umgibt er sich mit Blauäugigen.«

      »Moment mal«, unterbrach Hans. »Ich habe gehört, dass Blauäugige den bösen Blick haben …«

      »Und dagegen hilft nur ein anderes blaues Auge. Überall siehst du die Nazar-Amulette, die blauen Blick-Perlen aus Glas. Da wird Feuer mit Feuer bekämpft. Blaues Auge hilft gegen blaues Auge. Darum hat der Prackl blauäugige Garden, um mögliche böse Blicke abzuwenden.«

      »Erinnerst du dich an Bahadir, der in Bursa unser Koch war? Der hat mich gewarnt, es sei nicht immer von Vorteil, wenn sich der Prackl für einen interessiert.«

      Yorick lachte. »Ich weiß. Aber du kannst dir sicher sein, dass es für mich ein Vorteil sein wird!«

      »Wenn du meinst.« Hans ließ sich auf eine umgestürzte Säule sinken und starrte vor sich hin. In seinem Kopf rauschte alles. Reiter. Sipahi. Aynur.

      »Max, komm. Lassen wir den Hans in Ruhe.« Yorick ging Richtung Stadt davon, Max trottete hinterher.

      10 Der falsche Eunuch

      Bist du Rafik, der Eunuch?«, fragte Hans den Schwarzen.

      »Seh ich so aus wie Rafik?«, gab der erbost zurück.

      »Ja«, antwortete Hans unschuldig, weil für ihn alle Schwarzen, die er bisher gesehen hatte, tatsächlich gleich aussahen. Wie die sich selbst unterscheiden konnten, fragte er sich manchmal.

      »Und du siehst so aus wie alle Reiter. Weiß. Du bist ganz schön frech«, sagte der Eunuch. »Ich mag freche Reiter.«

      »Lernt ihr das mit dem frech eigentlich auf der Eunuchenschule?«, fragte Hans spitz.

      »Sag ich doch: Ganz schon frech!«

      »Bitte schön. Aber ich suche Rafik.«

      »Drüben. Drei Zelte weiter findest du deinen Rafik. Viel Spaß.«

      »Da gibts nichts anzüglich zu grinsen«, knurrte Hans. »Danke dir trotzdem.«

      »Du mich auch.«

      Neuling bei der Reiterei, neue Kleidung, an das Pferd gewöhnen, die neuen Kameraden und die Eigenheiten der neuen Vorgesetzten kennenlernen – alles war in den vergangenen Tagen viel gewesen, aber nicht zu viel für den verliebten Hans. In jeder freien Sekunde überlegte er, wie er an seine Aynur herankommen konnte. Yorick hatte absolut recht, dass man für die Liebe alle Mittel einsetzen durfte, ja, in dieser Situation musste. Das kleine Mädchen, das ihm in Konya die Tulpe gebracht hatte, hatte er als Erstes ausgeschlossen. Es aufzutreiben, wäre viel zu schwierig gewesen, zumal er das Kind nicht wiedererkennen würde. Und auf Zufälle wollte er nicht mehr setzen. Irgendwie an die offenherzige Konkubine Gülsüm heranzukommen, war schon wahrscheinlicher. Doch wie sollte er herausfinden, wer ihr Liebhaber war? Abends beim Essen oder Trinken ein paar Bemerkungen fallen lassen und darauf hoffen, dass derjenige darauf ansprang, hatte bisher nichts gebracht. Die Zelte der Harems waren weiträumig abgeschirmt. Hans hatte sich immer wieder vor allem gegen Abend unauffällig in der Nähe herumgetrieben, aber keine der Konkubinen oder ihrer Dienerinnen hatte das Areal verlassen.

      Doch er hatte interessante Beobachtungen gemacht.

      »Bist du Rafik?«, fragte er den nächsten schwarzen Eunuchen, der ihm begegnete.

      »Nein. Rafik ist im Badezelt.« Der Eunuch deutete hinter sich. »Gleich da.«

      Hans betrat das Badezelt. Auf hölzernen Gestellen standen Wannen, die man aus Tierhäuten genäht und mit Pech wasserdicht gemacht hatte. In der Mitte des Zelts dampfte auf einer Feuerstelle ein großer Kessel Wasser. Es roch ein wenig nach Feuer, vor allem aber nach duftenden Ölen und Essenzen. Ein Diener füllte heißes Wasser aus dem Kessel in eine große Kanne. Hans gab ihm ein Zeichen zu verschwinden. Der Diener stellte die Kanne ab und verließ das Zelt. Hans nahm die Kanne und näherte sich der einzigen besetzten Wanne, in der ein Schwarzer mit geschlossenen Augen und träumerischen Gesichtsausdruck lag. Hans goss die ganze Kanne mit Schwung ein.

      »He, du Idiot!«, schrie der Eunuch und schrak auf. »Willst du mich verbrühen? Wie oft soll ich dir …« Er erblickte Hans. »Oh, Besuch. Das mag ich gar nicht.«

      »Du bist Rafik?«

      »Wer sonst? Und du?«

      »Hans.«

      Der Eunuch kniff die Augen zusammen und grübelte. »Sollte ich dich kennen?«

      »Konya«, antwortete Hans. »Die Nacht auf dem Dach …«

      »Oh, der kleine Janitschar, der explizit nicht zu Gülsüm wollte!« Rafik lachte. »Entschuldige, aber für mich seht ihr Weißen alle gleich aus. Was willst du?«

      »Ich habe eine Bitte«, sagte Hans. »Besser einen Auftrag.«

      »Ganz schön dreist, Hans. Ich bin nicht dein Laufbursche.«

      »Gut, nennen wir es weiterhin eine Bitte. Ich habe hier eine Nachricht für eine der Konkubinen, und ich bitte dich, sie ihr zukommen zu lassen. Heute noch.«

      »Träum weiter, kleiner Janitschar, der nun offensichtlich zur Reiterei gewechselt hat.« Rafik tauchte mit dem Kopf unter. Hans packte ihn am Kinn und zog ihn wieder hoch.

      »Ich habe mich wohl nicht klar genug ausgedrückt«, sagte Hans. »Du wirst ihr heute diese Nachricht zukommen lassen …«

      »Sonst?«

      »Sonst erfährt der Obereunuch von deinem kleinen Arrangement mit Gülsüm.«

      Rafik schluckte und atmete scharf ein. »Ich weiß nicht, was du meinst.«

      »Schade.« Hans wandte sich zum Gehen. »Den Obereunuch finde ich gleich hier links, oder?«

      »Halt«,