intro
»Bist du bereit?«
»Was glaubst du?«
»Was ich glaube? Du fragst mich allen Ernstes, was ICH glaube?«
»Entschuldige. Das habe ich nicht so gemeint! Ich wollte nur …«
»Wozu machen wir das ganze, wenn du immer noch von Glauben redest? Untersteh dich, weiterhin deine beschränkten Sichtweisen auf mich zu projizieren. Von Glauben kann hier wohl nicht die Rede sein, findest du nicht auch?«
»Verzeih mir, ich wollte nur …«
»Findest du nicht auch?!«
»Natürlich. Verzeih, bitte, verzeih.«
»Gut, wenn du willst, werden wir uns noch ausführlich darüber unterhalten, was DU glaubst. Ich sehe Defizite, die manche erschüttern würden. Und entschuldige dich nicht immer. Ich verzeihe, das dürfte dir nur zu bekannt sein. Nun sag mir, ob du bereit bist.«
»Ja! Absolut!«
»Du musst nicht schreien. Ich höre alles, sogar deine Träume. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. Du bist mein Werkzeug. Ich wünsche vorerst kein Fanal. Das muss klar sein. Nur einen kleinen, nun, nennen wir es Schlag auf den Hinterkopf, der ihr Denkvermögen anregt.«
01 Wenn man sie gefragt hätte, hätte sie klipp und klar »Nein« gesagt. Aber man hatte sie nicht gefragt. Dabei war ihr der junge Mann sofort mehr als komisch vorgekommen – was heißt komisch, gruselig, richtig eklig hatte er auf Nathalie gewirkt, als sie ihn an der Tankstelle das erste Mal wahrgenommen hatte.
Später, sehr viel später, als alles endlich vorbei und nichts mehr wie bisher war, sollte ihr die Szenerie und ihre »wahnsinnig negativen Vibes«, wie sie es dann auszudrücken pflegte, wieder einfallen.
Es war bereits kurz nach halb neun abends. Der Regen hatte nachgelassen, die gelben Neonlichter der Jet-Tankstelle spiegelten sich in den trüben Pfützen. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als würde die Sonne es sogar noch einmal durch die Wolkendecke schaffen, bevor sie ganz unterging – sie schaffte es nicht. Der Himmel verdunkelte sich wieder mit schwarzen, tiefhängenden Gewitterwolken. Nathalie blickte durch das regennasse Seitenfenster des Minivans und bekam eine Gänsehaut. »Guck mal, der Typ da«, rief sie und gab Frank, der vor ihr auf dem Beifahrersitz lümmelte und eine Zigarette drehte, einen Schubs, woraufhin Frank mit einer unkoordinierten Bewegung gut die Hälfte der sorgsam auf dem Papier gestapelten Tabakkrümel im Wageninneren verteilte.
»Spinnst du?«, rief er und wischte sich Tabak von der Hose. »Mann, kannst mich doch nicht einfach so schubsen, wenn ich …«
»Sorry«, entgegnete Nathalie. »Aber guck dir doch mal den Typen da an!« Sie deutete auf den Mann, der mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze und triefend vor Nässe an der Ausfahrt der Tankstelle stand. Unter den rechten Arm hatte er eine kleine Reisetasche geklemmt. Er musterte die wenigen Autos, die tankten. Obwohl Nathalie seine Augen nicht sehen konnte, lief ihr eine Gänsehaut den Rücken hinunter. Irgendwas stimmte mit dem Kerl nicht, dessen war sie sich ganz sicher. Intuition – mehr nicht, aber auch nicht weniger.
»Wenn ich einen richtig trashigen Splattermovie über einen durchgeknallten Massenmörder drehen würde, der Nachts mit einem abgehackten Kopf in der Reisetasche per Anhalter durch die Prärie gondelt und so scary-movie-mäßig weitermetzelt, dann würde ich den Typen da nehmen«, sagte sie. Und trashige Splatterfilme hatte sie mehr als genug gesehen, damals, als sie vierzehn war und mit dem unglaublich erwachsen wirkenden Markus gegangen war. Noch mehr als an Schockerfilmen war Markus allerdings an Nathalies Unschuld interessiert gewesen, doch das war dem Mädchen erst nach drei Wochen aufgefallen und sie hatte schnell die Konsequenzen gezogen, weil sie ihre Unschuld vorerst behalten wollte. Zuvor hatten sie sich nachmittagelang die schlechtesten Billigproduktionen reingezogen, hatten unzählige Köpfe in Großaufnahme und Zeitlupe rollen, kilometerweise Eingeweide aus aufgeschlitzten Bäuchen quellen und hektoliterweise Blut in alle Richtungen spritzen sehen. In fast der Hälfte dieser Filme hatte es einen wahnsinnigen Axtmörder gegeben, der dann mit abgetrennten Leichenteilen durch die Lande gezogen war. Und nicht selten waren diese Typen so gestylt gewesen wie der Kerl vorne an der Straße. Dunkle Regenjacke, die Kapuze so tief ins Gesicht gezogen, dass man die Augen nicht sehen und das blasse, unrasierte Kinn nur erahnen konnte.
Frank sah kurz in die angegebene Richtung, rollte dann mit geübten Fingern das Zigarettenpapier um den Tabak und zuckte mit den Schultern. »Sonst gehts dir aber noch gut?!« Er tippte sich an die Stirn. »Du spinnst echt, Nathalie. Das ist nur irgendein armer Tramper, den es ordentlich geduscht hat beim letzten Gewitter.« Er befeuchtete vorsichtig die Gummierung des Papers mit der Zunge und vollendete seine Selbstgedrehte. Zufrieden sah er die Zigarette an, so zufrieden, als hätte er ein einzigartiges, wertvolles Kunstwerk geschaffen. Er öffnete die Wagentür und stieg aus. »Rauch draußen«, murmelte er überflüssigerweise und ging kurz zu Benni, der immer noch neben der Zapfsäule darauf wartete, dass der Van endlich vollgetankt war.
Die beiden Jungs tauschten ein paar Sätze aus, die Nathalie nicht hören konnte. Benni sah kurz in den Wagen hinein und als er Nathalies Blick bemerkte, warf er ihr einen kleinen Luftkuss zu. Dann grinste er. Das Mädchen musste lächeln, sie revanchierte sich mit einem hingehauchten Kuss. Frank war unterdessen vor zur Straße gegangen, wo er sich die Zigarette anzündete. Die Blicke des nassen Kapuzenmannes folgten ihm, wie Nathalie mit Argwohn bemerkte. Sie musste schließlich über sich selbst lachen. Ein echter wahnsinniger Axtmörder würde im wirklichen Leben sicherlich nicht als wandelndes Splattermovieklischee durch die Nacht reisen.
Frank schlenderte ein wenig an der Straße entlang, inhalierte bei jedem Zug an der Zigarette so tief, als sei es seine letzte. Dabei achtete er darauf, dass jede seiner Bewegungen möglichst lässig aussah. Standbein, Spielbein, Drehung nach rechts, dabei ein klein wenig den Rücken rund machen, gerade so viel, dass er keinen Buckel bekam, damit die mächtigen Brustmuskeln stärker unter dem engen T-Shirt hervortraten. Drehung nach links, dabei den Hintern anspannen, ein wenig recken, damit die Ärmel höher rutschten und die Ausläufer seines großen Tribals, das er sich von Bizepsansatz zu Bizepsansatz quer über die Schulter hatte tätowieren lassen, sichtbar wurden. Seine Eltern hatten angesichts dieser »Verstümmelung« tobend das Geld für den Führerschein gestrichen, doch Frank war lieber ohne Auto als ohne Tätowierung …
Seine sorgsam einstudierten Posen, die seinen Körper in jeder Sekunde optimal zur Geltung bringen sollten, gingen Nathalie auf die Nerven. Auch der Kapuzenmann machte nun ein paar kurze Schritte hin und her, dabei behielt er Frank fest im Visier. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Frank den Blick erwiderte und freundlich lächelnd hinübernickte. Sofort kam der Kapuzenmann mit seiner kleinen Reisetasche zu Frank und sie begannen zu plaudern. Nathalie öffnete die Wagentür und beugte sich hinaus.
»Benni«, rief sie ihrem Freund zu, der eben den Zapfhahn zurück in die Halterung der Säule steckte und nach seinem Geldbeutel kramte. »Benni, hör mal bitte. Wenn Frank mit diesem Typen da ankommt … also, ich meine, den nehmen wir bitte nicht mit. Auf keinen Fall. Versprochen? Den finde ich nicht so prickelnd!«
»Hey, Süße.« Benni, der ihr nicht ganz folgen konnte, beugte sich zu ihr herunter und gab ihr einen herzhaften Kuss. Sein Dreitagebart, der ihm etwas so wahnsinnig Verwegenes gab, kitzelte an ihrer Oberlippe. »Wo brennts denn?«
»Frank hat da diesen komischen Tramper an der Backe.« Sie deutete hinter sich zur Straße hin. Benni hob den Kopf und spähte in die Richtung.
»So what?«
»Ich finde den Typen voll daneben! Bitte versprich mir …«
»Ich