»Die meisten Berater leisten gute Arbeit und der zusätzliche Blick von außen ist so gut wie immer hilfreich. Die Preisfrage ist: Wonach sucht der Chef? Stehen Firmenübernahmen, größere Umstrukturierungen oder Entlassungen an und möchte das Management sich entlasten, dann beauftragt man gerne renommierte Beratungsunternehmen, ich nenne sie mal ›McKinseys‹. Die schauen sich die Zahlen an, mischen sie ordentlich durch und präsentieren am Ende ein Modell, in dem die Mitarbeiterzahlen gehörig geschrumpft sind. Dann geht es mit Kündigungen und Kosteneinsparungen weiter wie bisher. Bis sie erneut kommen müssen, weil sich nichts Grundlegendes geändert hat.
Dann gibt es zum anderen die Coaches. Sie nehmen sich des ein oder anderen Mitarbeiters an, der geschult und entwickelt werden soll und entlassen ihn am Ende in die gleiche Gemeinschaft von Kollegen, die weiterhin mobbt oder ihre eigenen Vorteile sucht oder einfach schlecht zusammenarbeitet.
Und dann gibt es uns. Wir bringen Führungsteams zusammen und schaffen genau die Rahmenbedingungen, die alle auf den gemeinsamen Erfolg ausrichten. Diese verhindern, dass persönliche Animositäten, Karrierewünsche Einzelner, Neid, Missgunst, divergierende Ziele, schlechte oder mangelhafte Aufgabenverteilung, das Abschieben von Verantwortung und vieles mehr einer guten Zusammenarbeit im Wege stehen. Wir wollen nicht in zusammenhanglosen, sterilen Seminaren punktuell wirken, was dann im Arbeitsalltag nur allzu schnell wieder verloren geht, sondern unsere Arbeit erstreckt sich über einen längeren Zeitraum, in dem wir Teams begleiten. Ich nenne es gerne ›Operation am offenen Herzen‹, denn letztlich geht es darum, dass aus Kollegen sich unterstützende Teamplayer werden. Das schaffen wir, indem wir einen Kontext kreieren, der die gegenseitige Abhängigkeit berücksichtigt und bewusst macht, der eine wertschätzende Kommunikation befördert und eine positive Entwicklung ermöglicht. Jede Verbesserung ist eine, die das gesamte Team weiterbringt. Und beginnen tut das alles mit der Bereitschaft der TOP-Führungskraft, sich als wesentlicher Teil des Veränderungsprozesses zu sehen. Diese hat erkannt«, Eb Schmidt schaute mich an, »dass die bewusste Gestaltung der Unternehmenskultur eine Reise ist – eine Reise zu Hochleistung bei niedrigem Puls.«
Die Reihe war an mir, darauf hatten die beiden mich vorbereitet. Ich musste meine Mitarbeiter bestens motivieren, jedem die Dringlichkeit der Veränderung klar machen. Das war ganz in meinem Sinne. Wenn ich schon das Wagnis einging, Berater ins Boot zu holen, dann wollte ich, dass wir den höchstmöglichen Gewinn daraus zögen.
Also fasste ich zum ersten Mal vor allen Führungskräften zusammen, wie es um Jordan Seniorenbauten stand. Ich ging auf die zunehmenden Beschwerden der Kunden ein, die zum großen Teil berechtigt waren, auf die Mitarbeiterkündigungen, die teilweise dafür verantwortlich waren, dass die Lieferzeiten nicht eingehalten werden konnten, was wiederum dazu führte, dass die Zahlungsmoral gesunken war. Ich berichtete von zwei großen und mehreren kleinen Qualitätsmängeln, die mich in Schwierigkeiten gebracht und schließlich zu Rabatten geführt hatten, die nicht einkalkuliert waren. Dass ich aufgrund fehlender Einnahmen einige Investitionen zurückgestellt hatte und nun nicht wusste, wie wir den Bau des Altenheims in der Hauptstraße gut zu Ende bringen sollten, weil jetzt auch noch Bodo Beyer gekündigt hatte. »Obwohl wir in diesem Jahr schon drei Mitarbeiter mehr haben als im vergangenen Jahr, haben wir bisher nicht eine müde Mark mehr erwirtschaftet«, erklärte ich die Situation. »Dabei müssen wir dringend weitere Mitarbeiter einstellen, wie Sie alle wissen. Das bedeutet mehr Ausgaben bei weniger Einnahmen. So kann es nicht weitergehen. Es muss sich etwas ändern. Und dabei müssen alle – jeder Einzelne von uns – mitziehen, sonst wird es uns nicht gelingen. Und was das bedeutet, wissen Sie!«
Als ich schließlich geendet hatte, herrschte betroffenes Schweigen.
»Dass es so schlimm ist, habe ich nicht gewusst«, meinte Klaus Färber. Und sofort fielen die anderen ein. Außer Johannes Barth war sich keiner im Klaren über das Ausmaß der Probleme. Alle hatten nur einzelne Details mitbekommen, keiner kannte die Gesamtsituation. Umso mehr freute mich der aufmunternde Satz unseres Marketingleiters, Urs Meckenrath, zum Abschluss: »Wir ziehen den Karren schon aus dem Dreck, Chefin. Gemeinsam!«
Nach dieser Stunde gegenseitigen Vorstellens ging es in die Einzelgespräche. Die UnternehmensBeatmer hatten einen Fragenkatalog vorbereitet, den sie mit jedem unter vier Augen durchgehen wollten, um so zu einer Situationsanalyse zu kommen, die jede einzelne Sicht berücksichtigte, aber auch eine Gesamtschau erlaubte. Zugegeben, das machte mich ein wenig nervös, weil ich diese Gespräche ja nicht kontrollieren konnte und nicht wusste, was da hinter verschlossenen Türen vor sich ging. Ich kannte den Fragenkatalog nicht, wusste aber aus dem Vorgespräch mit den UnternehmensBeatmern, dass unter anderem Führungsstile beleuchtet würden – auch meiner. Ja, ich stand genauso auf dem Prüfstand wie alle meine Führungskräfte. Kein angenehmes Gefühl, aber nun gab es kein Zurück mehr.
Voraussetzungen
»Das hier ist gewissermaßen unser Reiseplan.« Unser erster Workshop, einige Wochen nach dem Kick-off, hatte begonnen und Eb Schmidt skizzierte die Etappen (Abbildung 2.1).
Abb. 2.1: Die sieben Schritte
»Wir werden uns gemeinsam auf die Reise machen. Eine Reise, auf der Sie sich alle miteinander zum besten Team der Welt entwickeln werden.« Gelächter machte die Runde. Ich konnte die höhnischen Gedanken förmlich hören: Ausgerechnet wir! Ganz schön hochtrabend, der Herr! Ach, wenn's weiter nichts ist … Und ich muss gestehen, mir ging es auch nicht anders. Das war ganz schön dick aufgetragen, fand ich.
Herr Schmidt schien sich ebenfalls zu amüsieren. Er lächelte und fuhr unbeirrt fort, wobei er die einzelnen Schritte ausführte. Das klang alles ein wenig theoretisch und ich konnte mir keine rechte Vorstellung davon machen, wie das denn nun aussehen sollte. »Wir werden diese Schritte in diesem und in allen folgenden Workshops nacheinander und immer wieder gehen. Aber bevor wir durch diese sieben Schritte der Entwicklung gehen, wollen wir erst einmal Reisevorbereitungen treffen«, sagte er. »Die ambitionierteste Reise der Welt gerät zum Fiasko, wenn wir nicht die richtigen Voraussetzungen geschaffen haben, damit die Reise ein Erfolg wird, also zum gewünschten Ziel führt.«
Wir diskutierten kurz darüber, was das für Voraussetzungen sein könnten, und kamen überein, dass jeder bereit sein müsse, auf den Zug aufzusteigen, sprich mitzuarbeiten, sich offen und ehrlich einzubringen. Einen kurzen Moment lang tauchte Achim Hagedorns dunkle Gestalt vor meinem inneren Auge auf und irritierte mich. Ich entschloss mich, sie zu ignorieren und verfolgte gebannt die Vorgänge um mich herum.
»Wie schätzen Sie das hier versammelte Team ein?«, fragte Steffen Karneth nun die Gruppe. »Wenn Sie glauben, dass das Team voll bei der Sache ist und jeder sich im Workshop engagiert, dann stellen Sie sich bitte an die linke Optimistenwand. Wenn Sie glauben, dass die meisten sich eher abwartend verhalten werden und nur zögerlich mitmachen, dann stellen Sie sich bitte an die gegenüberliegende rechte Abwarten-Wand. Und wenn Sie das Team so einschätzen, dass es eh alles für sinnlos erachtet und den Workshop für vertane Zeit hält, dann stellen Sie sich bitte an die hintere Pessimistenwand.« Bewegung kam in die Mannschaft. Johannes Barth, Wenke Schneider, Jasper Kamensieg und Ali Ben Nasul hatten sich alle zu der rechten »Abwarten-und-Tee-trinken-Wand« begeben, nur Urs Meckenrath stand auf der Optimistenseite und Klaus Färber, der Leiter Holz- und Fertigteilebau, an der Pessimistenwand.
»Na, dann darf ich mich wohl allein unterhalten«, witzelte Urs. »Gut, dass ich wenigstens das besser als alle kann.«
»Na, schauen wir mal, was noch kommt«, warf Steffen Karneth ein. »Wie schätzen Sie sich denn selbst ein?«, fragte er weiter