»Eine Verwaltung ist doch kein Auftraggeber, sondern nur dessen Organ«, meldete sich jetzt Urs Meckenrath zu Wort.
»Und es sind nicht irgendwelche Anlagen, es sind Großanlagen.«
»Und außerdem bauen wir nicht nur, wir planen auch.«
»Und entwickeln neue Gebäude.«
»Und verkaufen.«
Die Diskussion nahm an Fahrt auf und es dauerte ziemlich lange, bis sich alle auf eine Formulierung geeinigt hatten: Der Betriebszweck von Jordan Seniorenbauten ist das Planen, Verkaufen und Bauen seniorengerechter Großanlagen für Kirchen und öffentliche Auftraggeber.
Erleichterung machte sich breit. Und auch eine gewisse Zufriedenheit. Die Führungskräfte hatten zum ersten Mal in dieser Ausführlichkeit über ein übergeordnetes Thema, das kein Projekt betraf, miteinander diskutiert und sich auf einen gemeinsamen Nenner geeinigt, der die Basis für ihre Zusammenarbeit legte. Denn war nicht auch der Betriebszweck der Sinn des Unternehmens?, ging es mir durch den Kopf.
»Wir lassen es für heute dabei bewenden«, sagte Steffen Karneth mit Blick auf die Uhr, »und werden auf die drei anderen Bereiche des Leitbildes an anderer Stelle eingehen.«
Wie ein Kraftakt in Sachen Einigung war mir die ganze Diskussion vorgekommen. Ich hätte nie gedacht, dass ein so einfaches Wort wie ›Betriebszweck‹ so unklar sein oder so viele verschiedene Deutungen erfahren könnte. Wie sollte das nur weitergehen? Wenn das bei allen Themen so kompliziert sein würde und in so kleinen Schritten voranginge, hatten wir ja eine lange Reise vor uns. Wieder kamen mir Zweifel und ich musste über das nachdenken, was mir bei der Entwicklung der Führungsmannschaft wirklich wichtig war: Würden die Mitarbeiter sich tatsächlich so entwickeln, wie ich es mir erhoffte? Würde Johannes Barth nach dem Workshop etwas besonnener handeln? Würde Klaus Färber aufhören, ständig rumzunörgeln, etwas ruhiger und weniger impulsiv werden? Ich ging die ganze Riege durch und war sehr skeptisch. Die meisten waren schon Jahre bei uns und hatten sich kein bisschen geändert, obwohl ich sie oft genug auf ihre wenig förderlichen Verhaltensweisen hingewiesen hatte. Wenn die Firma sich weiterentwickeln sollte, dann musste jeder von ihnen einen gewaltigen Schritt tun und dann dürften wir uns nicht an so kleinlichen Dingen wie ›Betriebszweck‹ aufhalten. Wie sollten wir da jemals zu einem ganzen Leitbild kommen?
Die UnternehmensBeatmer gaben uns einen Bericht in die Hand, den sie Situationsanalyse nannten und baten uns, ihn in der Mittagspause zu lesen. Ich war gespannt. Das war die Zusammenfassung der Interviews nach dem Kick-off, die sie mit jedem Einzelnen von uns durchgeführt hatten. Ob sie den Mitarbeitern wohl ordentlich auf den Zahn gefühlt hatten? Dass es darum gar nicht ging, sollte mir erst viel später klar werden. Die Informationen, so hatten es die Berater allen versichert, würden vertraulich behandelt und die Ergebnisse nur anonymisiert zusammengefasst. Es sollte alles zur Sprache kommen, aber keiner würde bloßgestellt oder müsse sich zu irgendetwas vor versammelter Mannschaft bekennen. Diese Zusicherung hatten alle Führungskräfte bekommen. Den Kommentaren, die ich nach den Einzelgesprächen aufgeschnappt hatte, zufolge, waren alle sehr angetan von den Gesprächen.
»Endlich hat mir mal jemand in aller Ruhe zugehört!«, hatte Jasper Kamensieg mit Blick zu mir gesagt.
»Die haben mit ihren Fragen ja regelrecht ins Schwarze getroffen«, war Wenke Schneiders Kommentar. »So offen habe ich hier noch nie reden können.«
»Puh, das ging ganz schön ans Eingemachte. Da blieb nichts an der Oberfläche«, meinte Klaus Färber.
Da hatten die beiden es durch intensives, einfühlsames Zuhören und die zugesicherte diskrete Behandlung offensichtlich geschafft, ein gutes Maß an Vertrauen der Führungskräfte zu ihnen aufzubauen. Gleich würden wir hören, wie es um unser Team stand.
Die Mittagspause begann und als hätte sie es gerochen, rief mich die junge Frau von der Grube aus der Verwaltung auf dem Handy an und berichtete von einer Fehllieferung. Ich musste dringend ins Büro. Ich ging zu Steffen Karneth, erklärte ihm, was los war, und entschuldigte mich für den Nachmittag. Aber wider Erwarten ließ er mich nicht mit bedauernden Worten gehen, sondern erinnerte mich an meine Verpflichtung. »Ja aber«, stotterte ich überrascht, »Ich dachte, das gilt mehr für die Führungskräfte …, also die Männer und Frau …« Er konnte doch nicht so unhöflich sein, mich aufzuhalten. »Sind Sie denn keine Führungskraft?«, fragte er entwaffnend. Er bat mich, genau abzuwägen, ob Frau von der Grube nicht doch noch drei Stunden warten oder jemand anderes ihr beistehen könne. Er ließ so lange nicht locker, bis ich nach zwei weiteren Telefonaten verkündete: »Okay, ich bleibe!« Herr Karneth schien sich aufrichtig darüber zu freuen, dass ich das Problem in andere Hände gelegt hatte. »Wie sagte schon Laotse?«, lächelte mich Herr Schmidt an, der gerade dazugekommen war und mitbekommen hatte, worum es ging. »Wer nicht genügend vertraut, wird kein Vertrauen finden.«
4 Präziser Fokus
Alle warteten bereits auf mich, als ich schließlich abgehetzt zur Nachmittagssitzung erschien. Ein spürbares Knistern lag in der Luft, das mich schnell zum Bericht greifen ließ. Zum Lesen war ich in der Pause nicht gekommen, ich musste also die Seiten überfliegen, während es bereits losging. Weit kam ich nicht, denn zuerst musste ich die harten Faktoren, also Zahlen, Daten und Fakten meines Unternehmens erläutern. »2013 haben wir mit insgesamt 92 Mitarbeitern 17,5 Millionen Euro Umsatz gemacht, 2014 mit 93 Mitarbeitern 16 Millionen und 2015, das ist abzusehen, wird es dabei bleiben oder sogar etwas weniger werden«, fasste ich am Ende alles zusammen.
Nachdem wir übereingekommen waren, wohin sich Umsatz und Mitarbeiterzahlen entwickeln sollten, gingen wir über zum zweiten Teil, auf den der Fokus gelegt werden sollte: der Unternehmenskultur. Auch die war in Skalen mit Zahlen und Fakten deutlich ablesbar, was ich so nicht erwartet hatte. Wie soll ein so abstrakter Begriff sich in Zahlen ausdrücken, hatte ich mich schon im Vorgespräch mit den UnternehmensBeatmern gefragt, als sie das angekündigt hatten. Jetzt offenbarte die Situationsanalyse, wie es funktionierte.
Die Situationsanalyse
Die UnternehmensBeatmer hatten ihre Analyse in sieben verschiedene Bereiche aufgeteilt, analog zu den sieben vorgestellten Schritten und zu jedem Bereich Aussagen bewerten lassen oder Fragen gestellt. Jede Antwort wurde auf einer Skala von eins bis sechs erfasst und zudem einzelne Kommentare notiert. Ganze 32 Seiten umfasste der Bericht. Die ersten Fragen und Antworten zum Thema ›Inspirierender Sinn‹ boten keine besondere Überraschung. »Wie klar ist Ihnen die Bedeutung dieses Teams?« Wen wundert’s, wenn bei einer solchen Frage die meisten sich auf der unklaren Seite der Skala sahen? Schließlich empfanden sie sich ja nicht mal als Team. Aber schon die Diskussion darüber verfehlte ihre Wirkung nicht.
»Leute, wenn sich hier was verändern soll, dann müssen wir uns als Team begreifen«, mahnte Johannes Barth. »Ständig meckern und Schuld verteilen hilft nicht. Wir müssen gemeinsam vorgehen, sonst macht das doch alles keinen Sinn.«
»Aber was soll denn im Team besser werden, wenn zum Beispiel Färber und Kamensieg sich ständig zoffen?«, erwiderte Wenke Schneider. »Die müssen doch erst mal ihren Krieg beenden.«
»Da gibt's noch einige andere, die hier Krieg führen«, erwiderte Klaus Färber mit Blick auf Johannes Barth und mich.
»Wir werden noch Gelegenheit haben, die Rolle eines jeden Einzelnen zu beleuchten«, unterbrach Eb Schmidt den aufkeimenden Zwist. »Fest steht, dass zum Zeitpunkt der Befragung Einigen die Bedeutung des Teams nicht klar war. Ich bin zuversichtlich, dass sich das ändern wird. Können Sie denn zum jetzigen Zeitpunkt den Aussagen zustimmen, die Verbesserungspotenzial benennen?«
Wir gingen die entsprechenden Aussagen durch:
Der Austausch untereinander muss besser werden.
Wir