Weltfremd. Roland Düringer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roland Düringer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783990011539
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heißt, wir haben die Gabe, Dinge, die da sind, ganz einfach nicht zu sehen. Nicht nur, weil wir sie nicht sehen wollen, auch weil wir es nicht können. Als Beispiel seien hier die Mikroorganismen genannt. In einer Handvoll Ackerboden leben einige Milliarden Bakterien, deren Leben aus unserer Sicht natürlich nicht wirklich spannend aber dafür wenigstens kurz ist. Schlimm hingegen muss ein fades aber langes Leben sein. Da gibt’s ja auch viele Beispiele, auch prominente. Selbst der Mount Everest hat zwar ein langes aber durchaus langweiliges Leben. Er selbst hat ja reichlich wenig davon, der höchste Berg der Welt zu sein. Vielmehr hätte er als kleine Erhebung in dem an der Landesgrenze zwischen Niederösterreich und dem Burgenland gelegenen Leithagebirge ein ruhigeres Leben. Zumindest wäre er keine Müllhalde geworden und hätte sich zahlreiche Bezwingungen erspart. Jetzt können Sie mit Recht behaupten: »Na Moment einmal, das ist jetzt aber wirklich ein bisserl weltfremd. Ein Berg lebt nicht, haben Sie in der Schule nicht aufgepasst, Herr Düringer? Tote Materie! Ein Haufen Steine, da lebt nichts!«

      Nun ja, Ansichtssache, würde ich jetzt einmal sagen. In von uns so gerne als »primitiv« bezeichneten Kulturen war es selbstverständlich, dass alles in der Natur belebt und beseelt ist. Alles trägt einen Geist in sich, und mit diesem kann man falls erforderlich auch kommunizieren. Naturverbunde Kulturen, wie zum Beispiel die allseits bekannten Indianer, sprechen mit Bergen, dem Wasser und sehen im Feuer die Dämonen tanzen. Nun gut, tanzende Dämonen im Lagerfeuer sind schon ein wenig weit hergeholt. Da leben ja wir beide Gott sei Dank in einer anderen Zeit, der Zeit der Naturwissenschaft, fernab von jedem Aberglauben. Der moderne Mensch weiß nun, was Sache ist, wir sind in unserer Entwicklung und in unserem Wissen so weit wie noch niemals zuvor in unserer Menschheitsgeschichte, die größten Rätsel der Menschheit scheinen gelöst, und doch stehen wir möglicherweise knapp vor einem Quantensprung in unserer geistigen Entwicklung. Quantensprung im wahrsten Sinn des Wortes, vor allem in der Physik. Quantenphysiker kommen allmählich zu folgendem Schluss:

      So gesehen hätten die Eroberer sie ja damals einfach nur fragen müssen, anstatt sie abzuschlachten, aber wir haben es uns wieder einmal lieber rechnerisch bewiesen, als altem Wissen vertraut. Wir können nicht ausschließen, dass Berge ein Bewusstsein haben, vielleicht sogar Bewusstsein sind. Leben Steine nun, oder nicht? Zumindest schwingen sie, will man der populärwissenschaftlichen Quantenmechanik glauben. Steine sind möglicherweise keine feste Materie, sondern lediglich elektromagnetische Schwingungen, die eine Form angenommen haben. So gesehen leben auch Berge. Auch dieses Buch in Ihren Händen lebt vielleicht, also seien sie nett zu ihm.

      Blicken Sie sich ein wenig um, werfen Sie einen Blick aus Ihrem Fenster …

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      … und erzählen Sie mir bloß nicht, dass Sie vor sich eine Wand sehen. Denn dann sind Sie wirklich von gestern, dann sind Sie nicht am neuesten Stand der Wissenschaft.

      Das ist fein, wenn wir das alles wissen oder zumindest zu wissen glauben. Etwas zu wissen ist toll, ändert aber nicht immer etwas. Natürlich ist es beeindruckend, dass wir unseren Planeten, nach vielen tausenden Jahren der Unwissenheit, endlich als Kugel wahrgenommen haben und erkennen durften, dass sich die Erde um die Sonne dreht, aber für mich ist dieses Wissen nicht von sonderlicher Bedeutung. Ob Sie es glauben oder nicht, in meinem Garten geht die Sonne im Osten auf, steigt hoch Richtung Süden und geht im Westen wieder unter. Und mein Garten bewegt sich dabei keinen Millimeter. Wie gesagt, alles ist Ansichtssache.

      Wie auch immer, wir sind jedenfalls von Leben umgeben. Und all das Leben um uns, ob Tiere, Pflanzen, Steine oder Bücher, haben aber eines gemeinsam: Sie machen sich keine Gedanken über das Leben, sie leben einfach. Nur eine einzige Spezies hat nichts Besseres zu tun, als sich ständig Gedanken über das Leben zu machen. Der Homo sapiens. Der weise Mensch.

      Was ja schon von der Bezeichnung her eine grobe Themenverfehlung ist, wie ja jeder an sich selbst erkennen kann. Und diese ständigen Gedanken ums eigene Leben sind ganz schön anstrengend. Damit meine ich nicht die kreativen, schaffenden, schöpferischen Gedanken, ich spreche von Gedanken, die sich ständig im Kreis drehen. Noch dazu machen wir uns ja meistens nicht einmal Gedanken ums eigene Leben, vielmehr beschäftigen wir uns mit dem Leben der anderen (Prominenten, Politikern, Nachbarn, Ausländern, Andersgläubigen et cetera), um damit ein wenig von der eigenen Lebensgeschichte abzulenken. Wir laufen mit einer lärmenden Maschine im Kopf herum und verstehen nicht, weshalb wir nicht zur Ruhe kommen. Verrückt, oder? Apropos: Kennen Sie Verrückte? Und damit meine ich nicht verrückt im positiven Sinn, sondern offensichtlich Wahnsinnige.

      Zumeist werden Wahnsinnige ja weggesperrt, zu unserem aber auch zum eigenen Schutz. Doch hin und wieder entkommen sie aus dem Schutz der Anstalt und man trifft sie in der freien Wildbahn. In Städten, welche als Lebensraum den Wahnsinn begünstigen, öfter als am Land. Dann sitzt so ein Wahnsinniger plötzlich in der U-Bahn und spricht in einer Lautstärke, als wäre er allein auf der Welt. Damit meine ich nicht die penetranten Mobiltelefonbenutzer, obwohl dies durchaus auch ein Hinweis auf eine milde psychische Störung ist, ich spreche von offensichtlich Wahninnigen, ohne technisches Gerät am Ohr oder in der Hand, die mit ihrem unauförlichen Redeschwall die Aufmerksamkeit auf sich lenken und damit für Unsicherheit und teilweise auch Angst im öffentlichen Raum sorgen. Zumal die Worte deutlich auf eine massive psychische Störung hinweisen:

      »Diese Hitze, ein Wahnsinn, jetzt reicht’s schon wieder. Der heißeste Juli seit Jahren. Und es bleibt auch so heiß, haben sie gesagt. Ich brauch’s nicht, diese Hitze … Scheiße, jetzt hab’ ich den Erlagschein daheim liegen lassen. Ich Trottl, ich! Das gibt’s doch nicht, bitte! Ich leg’ mir den Erlagschein noch extra aufs Vorzimmerkastl, damit ich ihn nicht vergiss … so eine Hitze, und der Gestank in der U-Bahn, waschen sich die eigentlich nicht? … Und jetzt stopfen wir wieder den Griechen die Milliarden in den Rachen, wobei, was heißt den Griechen? Die sehen das Geld ja nicht einmal, das kassieren eh nur die Banken … ich Trottel, ich, lass’ doch glatt den Erlagschein liegen von der Versicherung. Leg’ ihn mir extra noch hin und dann lass ich ihn liegen … eh schon wieder teurer geworden, die Versicherung. Indexanpassung, diese Schweine … die werden sich noch so lange spielen, bis sich die Griechen mit die Russen auf ein Packl schmeißen, na und dann gute Nacht … so eine Hitze, und im August, wenn ich Urlaub hab’, regnet’s dann sicher wieder … wie man nur so blöd sein kann, leg’ mir den Erlagschein noch extra hin, ein Hirn wie ein Nudelsieb … die sitzen ja auf Gas, die Griechen, und das wollen die Amerikaner sicher haben, das wird sich der Russ’ aber nicht gefallen lassen, so schaut’s aus … jetzt hätt’ ich fast ein bissl an Hunger, obwohl bei der Hitz’ soll man eh nicht so viel essen … ein Eis vielleicht … ich bin eh schon wieder viel zu blad … jetzt krieg’ ich sicher eine Mahnung wegen der Versicherung … eigentlich eh nur mehr Ausländer in der U-Bahn, das haben wir übersehen, das haben sie wirklich übersehen, die Politiker, und jetzt ham mas … und ich Trottl lass den Erlagschein liegen … na, ein kleines Eis, oder?«

      Also offensichtlich ein vom Wahnsinn zerfressenes Gehirn, gefangen in der Schleife eines endlosen Redeschwalls. Und hier wird der Unterschied zwischen einem psychisch kranken Individuum und Ihnen selbst sehr deutlich.

      Der Wahnsinnige sagt es, Sie aber denken es sich nur. Wahnsinn ist also oftmals nur ein Lautstärkeproblem. Aber wir haben ja gottlob die Möglichkeit, die lärmende Denkmaschine in unserem Kopf abzuschalten. Entweder durch Meditation oder noch einfacher mit einem Knopfdruck.

      Durch einen einfachen Druck auf die TV-Fernbedienung können wir jemanden anderen für uns denken lassen, bis die Gedanken des anderen schließlich zu unseren eigenen Gedanken werden. Kabelloser Datentransfer sozusagen. Das lenkt dann nämlich vom eigenen »Leben« ab, und wir beschäftigen uns dann mit dem »Leben« anderer, das meistens toller oder beschissener als unseres ist. Was man nicht im TV sehen wollte, wäre die Verfilmung des eigenen »Lebens«. Das wäre schlicht zu langweilig.

      Und indem wir einen großen Teil unserer Zeit damit verbringen, übers Leben nachzudenken, vergessen wir dabei oft zu leben. Begeben uns gedanklich