Die vorliegenden Beiträge befassen sich unter verschiedenen Perspektiven mit dem Zusammenhang von Sprache und Partizipation; sie tun dies zum einen anhand unterschiedlicher Formen von Teilhabe und Mitbestimmung (z. B. Schüler- oder Klassenrat, Lernentwicklungsgespräch, Feedback durch Schülerinnen und Schüler) und sie tun dies zweitens vor dem Hintergrund verschiedener Partizipationskonzepte. Entsprechend unterschiedlich fallen auch die jeweiligen didaktischen Folgerungen aus.
Zu den Beiträgen dieses Bandes
Anna Schnitzer und Rebecca Mörgen gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, welche Bedeutung sprachliche Fähigkeiten für die Wahrnehmung schulischer Partizipationsmöglichkeiten haben und weisen nach, dass Sprachkompetenzen Zugangsmöglichkeiten eröffnen, aber auch einschränken können. Unter Einbeziehung der Perspektive von Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern kommen die Autorinnen zum Schluss, dass Partizipationsgremien wie der Schülerrat oft Kindern mit höheren sprachlichen Fähigkeiten bzw. aus bildungsnäherem Milieu vorbehalten bleiben. Damit werden sprachschwächere Schülerinnen und Schüler nicht nur hinsichtlich ihrer Mitsprachemöglichkeiten benachteiligt, sondern es bleibt ihnen auch die Möglichkeit verwehrt, die geforderten Sprachfähigkeiten in den entsprechenden Kontexten zu trainieren. Dieser restriktiven Praxis liegt die verbreitete Vorstellung zugrunde, dass schulische Partizipationsveranstaltungen «gelingen» müssten. Demgegenüber heben die Verfasserinnen hervor, dass schulische Partizipationsmöglichkeiten auch als Übungsfeld für alle betrachtet und genutzt werden sollten.
Die Perspektive der Lehrpersonen auf Partizipation in der Schule (im Sinn der Mitbestimmung an Entscheidungsprozessen) untersuchen auch Julia Häbig, Enikö Zala-Mezö, Daniela Müller-Kuhn und Nina-Cathrin Strauss. Im Fokus ihres Beitrages stehen die kollektiven Orientierungen, welche aus Gruppendiskussionen mit Lehrpersonen rekonstruiert werden können. Die mittels dokumentarischer Methode ausgewerteten Gruppendiskussionen lassen erkennen, dass sich die Lehrenden in einem Dilemma wahrnehmen: Auf der einen Seite steht der als berechtigt anerkannte Partizipationsanspruch, auf der anderen Seite sehen die Lehrpersonen äußere, nicht beeinflussbare Grenzen der Realisierbarkeit dieses Anspruchs. Weiter machen die rekonstruierten kollektiven Orientierungen deutlich, dass die Lehrpersonen Partizipation nicht als gemeinsamen Aushandlungsprozess verstehen, sondern dass sie an den bestehenden Hierarchien zwischen sich und den Lernenden festhalten. Um bezüglich des Partizipationspostulats Bewegung in die Teams zu bringen, plädieren die Autorinnen dafür, dass die handlungsleitenden Überzeugungen und Orientierungen reflektiert werden.
Nina Haldimann richtet den Blick auf das interaktionale Zusammenspiel zwischen einer Lehrperson und den Schülerinnen und Schülern im Klassenrat. Der Klassenrat ist ein Unterrichtsformat, das nicht nur die Mitbestimmung der Lernenden, sondern auch eine an die Lernenden delegierte Zuständigkeit für die Planung und Durchführung vorsieht. Um diesem Partizipationsanspruch, der mit einer partiellen Verschiebung der Beteiligungsrollen einhergeht, Rechnung zu tragen, bringt die Lehrperson ihre Nicht-Verfügbarkeit bei gleichzeitiger räumlicher Anwesenheit auf vielfältige Weise zum Ausdruck. Wie die multimodal angelegte Interaktionsanalyse zeigt, verweigert die Lehrperson etwa den Blickkontakt mit einem sie adressierenden Kind oder sie verändert ihre Körperposition, um damit zu verstehen zu geben, dass sie nicht gewillt ist, die Verantwortung für die Durchführung des Klassenrats zu übernehmen. Gleichwohl steuert sie damit das Geschehen und beeinflusst die Partizipationsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler erheblich. Die Autorin schließt ihren Beitrag mit Überlegungen dazu, wie die Lehrperson dem Paradox ihrer Nichtverfügbarkeit bei gleichzeitiger Anwesenheit begegnen könnte.
Marina Bonanati geht in ihrem Beitrag ebenfalls auf interaktional manifeste Ambivalenzen des Partizipationspostulats ein. Im Rahmen ihrer gesprächsanalytischen Darstellung zeigt sie auf, wie sich in der Interaktion konfligierende Anforderungen manifestieren können und wie die Beteiligten diese interaktiv bearbeiten. Gegenstand der Analyse sind Lernentwicklungsgespräche, bei welchen Lehrpersonen, der/die Lernende sowie die Eltern anwesend sind und in deren Zentrum Entscheidungen über das Lernvorhaben und die Lerninhalte des Schülers beziehungsweise der Schülerin stehen. Dabei lässt sich beobachten, dass die Schülerinnen und Schüler zwar als aktive Gesprächsteilnehmer positioniert, zugleich aber in ihrer Entscheidungsbefugnis stark eingeschränkt werden. Es zeigt sich, dass unter den gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen unterschiedliche Ziele und kommunikative Erfordernisse aufeinandertreffen, die eine bruchlose Umsetzung des Partizipationsanspruchs deutlich erschweren.
Auch Sören Ohlhus nimmt eine konkrete schulische Situation in den Fokus, indem er aus gesprächsanalytischer Perspektive untersucht, wie ein Lernender in einer Förderlektion an der Interaktion mit seiner Tutorin beziehungsweise seinem Tutor partizipiert. Auf einen weiten Partizipationsbegriff rekurrierend beobachtet der Autor, wie der Schüler im Verlauf mehrerer Förderlektionen neue Beteiligungsmöglichkeiten entdeckt und erprobt und schrittweise Einfluss auf den fremdbestimmten Lernprozess nimmt. Die kleinschrittige Auswertung erfolgt anhand der von Goodwin beschriebenen Haltungen, welche die Einbindung von Akteuren in einen interaktionalen Beteiligungsrahmen vorsehen. Die Diskussion der empirischen Befunde wird schließlich mit der Frage verknüpft, wie sich im Rahmen der Analyse von Unterrichtskommunikation gesprächsanalytische und didaktische Fragestellungen verbinden lassen.
Mit der Frage, wie sich Schülerinnen und Schüler an einer bestimmten Unterrichtssituation beteiligen, befasst sich auch Nadine Nell-Tuor. Sie orientiert sich ebenfalls an einem weiten Begriff von Partizipation und untersucht die Interaktion in einer kooperativen Lernsituation, an welcher vier Schülerinnen und Schüler beteiligt sind. Als zentrale Gelingensbedingung kooperativen Lernens wird in der erziehungswissenschaftlichen und didaktischen Literatur die Interaktion zwischen den Lernenden betrachtet. Wie die gesprächsanalytische Auseinandersetzung mit verschiedenen Sequenzen kooperativen Lernens erkennen lässt, sind Zusammenhänge zwischen Aufgabenstellung und Interaktion sowie zwischen fachlicher Tiefe und sprachlicher Elaboriertheit zu konstatieren. Letzteres verweist auf den engen Zusammenhang von Sprache und Partizipation: Welche Beteiligungsmöglichkeiten sich den Einzelnen eröffnen, hängt von ihren (gezeigten) sprachlichen Fähigkeiten ab.
Auch Katja Maischatz, Elke Hildebrandt, Serena Wälti, Annemarie Ruess und Sabine Campana betrachten Partizipationsmöglichkeiten auf der Mikroebene des Unterrichts und legen ihrem Beitrag damit einen weiten Partizipationsbegriff zugrunde. Im Gegensatz zu den vorhergehenden gesprächsanalytischen Beiträgen nehmen sie eine erziehungswissenschaftlich-soziologische Perspektive ein, welche hinsichtlich des Partizipationspostulats auch normative Vorstellungen einschließt. Auf der Basis einer Klärung der rechtlichen Grundlagen von Partizipation präsentieren die Autorinnen Beobachtungen aus analysierten Unterrichtslektionen sowie Erkenntnisse aus Befragungen von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrpersonen. Die Verfasserinnen kommen zu dem Schluss, dass die Beziehungsgestaltung zwischen Lehrenden und Lernenden einen maßgeblichen Einfluss auf die Möglichkeiten unterrichtlicher Teilhabe der Letzteren hat. Um den Partizipationsanspruch zu einem durchgehenden Unterrichtsprinzip zu machen, sei eine klare, aber anerkennende Gesprächsführung notwendig.
Eine weitere Form von Partizipation im Unterricht fokussieren schließlich auch Corinne Wyss, Meike Raaflaub und Nina Hüsler aus einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive: das Feedbackgeben von Schülerinnen und Schülern an ihre Lehrpersonen. Untersucht wird, wie die Rückmeldungen von angehenden Lehrpersonen genutzt werden, wie die Lernenden das Feedbackgeben erleben und einschätzen und wie die Lehrenden dieses beurteilen. Obschon die Möglichkeit, Feedback geben zu können, von den Schülerinnen und Schülern als positiv eingeschätzt wird, kann nicht vorausgesetzt werden, dass die Lernenden dies ohne Weiteres zu geben imstande sind. Die Autorinnen thematisieren hierbei die Rolle von Sprachfähigkeiten als Voraussetzung des Feedbackgebens und regen dazu an, weniger sprachlich ausgerichtete Formen des Rückmeldens in Erwägung zu ziehen.
Widmung
Dieser Sammelband ist Prof. em. Dr. Brigit Eriksson gewidmet, die vor zehn Jahren an der Pädagogischen