Diese existenziellen Quellen der Furcht sind auch insofern vertraut, als sie zur Erfahrung des Therapeuten wie jeder anderen Person gehören; sie sind keinesfalls ausschließlicher Bestandteil der Erfahrungen psychisch gestörter Menschen. Immer wieder werde ich betonen, dass sie Teil der Situation des Menschen sind. Wie kann dann, mag man fragen, eine Theorie der Psychopathologie8 auf Faktoren beruhen, die von jedermann erfahren werden? Die Antwort ist natürlich, dass jede Person den Stress der menschlichen Situation in hoch individualisierter Form erfährt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das existenzielle Modell nicht gravierend von anderen größeren Theorien. Jedes Individuum geht durch bestimmte Entwicklungsstufen, jede mit ihrer eigenen dazugehörigen Angst. Jeder geht durch den ödipalen Konflikt, das irritierende Auftauchen aggressiver und sexueller Gefühle, die Kastrationsangst (zumindest für die Männer), den Schmerz der Individuation und Trennung und viele andere ernsthafte Herausforderungen der Entwicklung. Das einzige Modell der Psychopathologie, das nicht auf allgemein erfahrbaren Faktoren beruht, ist eines, das auf akute Traumata gegründet ist. Traumatische Neurosen sind jedoch selten. Die überwältigende Mehrheit der Patienten leidet an dem Stress, der in unterschiedlichem Ausmaß Teil der Erfahrung jedes Menschen ist.
Tatsächlich kann nur die Universalität menschlichen Leidens die allgemeine Beobachtung erklären, dass das Patient-Sein allgegenwärtig ist. André Malraux, um eine solche Beobachtung zu zitieren, fragte einst einen Gemeindepriester, der fünfzig Jahre lang die Beichte abgenommen hatte, was er über die Menschheit gelernt habe. Der Priester antwortete: »Als erstes, dass die Menschen viel unglücklicher sind als man glaubt … und dann die grundlegende Tatsache, dass es so etwas wie eine erwachsene Person nicht gibt.«9 Oft sind es nur die äußeren Umstände, die dazu führen, dass die eine Person Patient genannt wird und nicht die andere: zum Beispiel finanzielle Mittel, Verfügbarkeit von Psychotherapeuten, persönliche und kulturelle Einstellungen zur Therapie oder Berufswahl – die Mehrzahl der Psychotherapeuten wird selbst bona fide zu Patienten. Die Universalität von Stress ist einer der Hauptgründe, weshalb die Gelehrten auf solche Schwierigkeit stoßen, wenn sie versuchen, Normalität zu definieren und zu beschreiben. Der Unterschied zwischen Normalität und Pathologie ist quantitativ, nicht qualitativ.
Das zeitgemäße Modell, das für unsere Beweisführung am nächsten liegt, ist analog zu einem Modell der somatischen Medizin, demzufolge eine Infektionskrankheit nicht nur das Ergebnis von Bakterien oder Viren ist, die in einen schutzlosen Körper eindringen. Vielmehr ist die Krankheit das Ergebnis eines Ungleichgewichts zwischen dem Schädling und dem Widerstand des Wirtes. Mit anderen Worten, Schädlinge existieren die ganze Zeit im Körper – gerade so, wie Stress vom Leben nicht wegzudenken ist und alle Individuen befällt. Ob ein Individuum eine klinische Krankheit entwickelt, hängt von der Widerstandskraft des Körpers (das heißt solchen Faktoren wie Immunsystem, Nahrung und Müdigkeit) gegen den Schädling ab: Wenn der Widerstand verringert wird, entwickelt sich die Krankheit, obwohl die Giftigkeit und Aggressivität des Schädlings unverändert bleiben. Deshalb sind alle menschlichen Wesen in einer solchen misslichen Lage, aber einige davon sind nicht imstande, damit fertig zu werden: Psychopathologie hängt nicht nur von der An- oder Abwesenheit von Stress ab, sondern von der Wechselbeziehung zwischen allgegenwärtigem Stress und den Abwehrmechanismen des Individuums.
Die Behauptung, dass die letzten existentiellen Dinge niemals in der Therapie zur Sprache kommen, ist ganz und gar eine Funktion der selektiven Unaufmerksamkeit des Therapeuten: Ein Zuhörer, der auf den richtigen Kanal eingestellt ist, findet offensichtliches und reichliches Material. Ein Therapeut mag sich jedoch entscheiden, den letzten existenziellen Dingen keine Aufmerksamkeit zu schenken, gerade weil sie universelle Erfahrungen sind und nichts Konstruktives herauskommen kann, wenn man sie untersucht. Tat sächlich habe ich oft in der klinischen Arbeit beobachtet, dass der Therapeut und der Patient für eine kurze Zeit stark erregt sind, wenn existenzielle Dinge zur Sprache kommen; aber bald wird das Gespräch oberflächlich, und der Patient ebenso wie der Therapeut scheinen sich zu sagen, »So ist nun mal das Leben, nicht wahr! Lasst uns auf etwas Neurotisches kommen, etwas, womit wir etwas anfangen können!«
Andere Therapeuten umgehen es, existenzielle Dinge zu behandeln, nicht nur weil diese Dinge universell sind, sondern weil es zu schrecklich ist, sich ihnen zu stellen. Schließlich haben neurotische Patienten (und auch die Therapeuten) genug Sorgen, um die sie sich kümmern können, ohne ihnen noch solche aufmunternden Themen wie Tod und Sinnlosigkeit hinzuzufügen. Solche Therapeuten glauben, dass man existenzielle Fragen am besten ignoriert, weil es nur zwei Möglichkeiten gibt, mit den brutalen existenziellen Tatsachen des Lebens umzugehen – angstvolle Wahrheit oder Verleugnung – und beides ist unbekömmlich. Cervantes gab diesem Problem Ausdruck, als sein unsterblicher Don sagte, »Welches von beiden möchtest du haben, weise Verrücktheit oder närrische Gesundheit?«
Eine existenzielle therapeutische Position weist dieses Dilemma, wie ich in späteren Kapiteln versuchen werde zu zeigen, zurück. Weisheit führt nicht zu Verrücktheit und Verleugnung nicht zu Gesundheit: Die Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten der Existenz ist schmerzhaft, aber letztlich heilsam. Gute therapeutische Arbeit ist immer gepaart mit der Überprüfung der Realität und der Suche nach persönlicher Erleuchtung; der Therapeut, der sich dafür entscheidet, dass bestimmte Aspekte der Realität und Wahrheit zu vermeiden sind, befindet sich auf trügerischem Boden. Thomas Hardys Kommentar, »wenn es überhaupt einen Weg zum Besseren gibt, dann erfordert er einen vollständigen Blick auf das Schlimmste«10, gibt einen guten Rahmen für den therapeutischen Ansatz, den ich beschreiben werde, ab.
Das Feld existenzieller Psychotherapie
Existenzielle Psychotherapie ist ziemlich heimatlos. Sie gehört eigentlich nirgendwo hin. Sie hat kein Heim, keine formale Schule, keine Institution; sie ist bei der besseren akademischen Nachbarschaft nicht willkommen. Sie hat keine formale Gesellschaft, keine bodenständige Zeitschrift (ein paar kränkliche Sprösslinge wurden in ihrer Kindheit wieder weggeblasen), keine stabile Familie, keinen pater familias. Sie hat jedoch einen Stammbaum, ein paar versprengte Vettern und Freunde der Familie, einige in der alten Welt, einige in Amerika.
Existenzialistische Philosophie: Das Heim der Ahnen
»Existenzialismus kann nicht leicht definiert werden.« So beginnt die Diskussion existenzialistischer Philosophie in einer philosophischen Enzyklopädie.11 Die meisten anderen Quellentexte beginnen auf ähnliche Weise und unterstreichen die Tatsache, dass zwei Philosophen, die beide das Etikett »existenzialistisch« tragen, in jedem wesentlichen Punkt unterschiedlicher Meinung sein können (abgesehen von der Abneigung, so etikettiert zu werden, die sie beide teilen). Die meisten philosophischen Texte lösen das Problem der Definition, indem sie eine Liste von Themen aufführen, die mit Existenz in Zusammenhang stehen (zum Beispiel Sein, Wahl, Freiheit, Tod, Isolation, Absurdität), und indem sie behaupten, dass ein existenzialistischer Philosoph jemand ist, dessen Arbeit der Erforschung dieser Themen gewidmet ist. (Dies ist natürlich auch die Strategie, die ich verwende, um das Feld existenzieller Psychotherapie abzustecken.)
Es gibt eine existenzialistische »Tradition« in der Philosophie und eine formale existenzialistische »Schule« der Philosophie. Offensichtlich ist die existenzialistische Tradition zeitlos. Welcher große Denker hat nicht an irgendeiner Stelle, sowohl in seinem Werk als auch in seinem Leben, seine Aufmerksamkeit den Fragen von Leben und Tod zugewandt? Die formale Schule der existenzialistischen Philosophie hat jedoch einen eindeutig feststellbaren Beginn. Einige datieren ihn auf einen Sonntagnachmittag im Jahr 1834, als ein junger Däne in einem Café saß, Zigarre rauchte und über die Tatsache sinnierte, dass er auf dem besten Wege war, ein alter Mann zu werden, ohne einen Beitrag für diese Welt geleistet zu haben. Er dachte über seine vielen erfolgreichen Freunde nach:
Wohltäter des Zeitalters, die wissen, wie sie der Menschheit Gutes tun können, indem sie das Leben immer leichter machen,