Kleidung
Was ich in diesem Punkt über mich zu sagen habe, das deckt sich ganz mit dem, was Horaz von seinem Tigellius104 sagt; ja ich möchte fast sagen, Horaz habe mich selbst mit dieser Person gemeint:
»Nichts von Gleichmaß war an dem Mann. Bald rannt er, als folgt' ihm
Hart auf den Fersen der Feind, bald ging er behutsam und würdig, Gleich als trüg er ein Heiligtum. Heut hat er zweihundert,
Morgen nur zehn der Diener. Heut spricht er prahlend von Fürsten,
Kön'gen und Herrlichkeiten und morgen heißt es: Ein Tischchen Klein und bescheiden lieb ich, ein Schüsselchen Salz und der Kälte Wegen ein Kleid und wär‘s noch so grob.«
Und willst du den Grund oder die Gründe hierfür wissen, so habe ich deren zur Genüge bereit: Erstens ist der stete Wechsel in meinen Ansichten und Sitten daran schuld, sodann der Umstand, dass ich immer in erster Linie für meine körperliche Gesundheit Sorge trage. Ferner zwang mich auch der häufige Orts- und Wohnungswechsel zu Änderungen in meiner Kleidung; ich konnte die Kleider weder verkaufen, des Verlustes wegen, den ich dabei erlitten hätte, noch sie immer wieder unbenutzt für spätere Zeiten aufbewahren. So war mir hierin die Not ein Gesetz. Ein anderer Grund, der nicht weniger wichtig als dieser, noch auch weniger zwingend war, lag darin, dass ich der wissenschaftlichen Arbeiten wegen mein Hauswesen vernachlässigte; die Folge davon war eine Vernachlässigung meiner Kleider, deren große Zahl durch die wenig schonende Benutzung auf eine recht geringe zusammenschmolz. Ich bin darum mit Galen durchaus einverstanden, wenn er erklärt, der Mensch müsse mit vier Kleidern zufrieden sein, oder auch nur mit zweien, wenn man nämlich die Unterkleider nicht dazu zählen will. Und da man tatsächlich mit diesen Kleidern im einzelnen Falle dem Zweck und den Umständen entsprechend wechseln kann und soll, so glaube auch ich, dass vier Anzüge genügen, ein solcher von etwas schwerem, einer von ganz schwerem, einer von leichterem und endlich einer von ganz leichtem Stoffe. Damit kann man dann 14 Zusammenstellungen erzielen, wobei die eine nicht gerechnet ist, die darin besteht, dass man alle zugleich anzieht.
EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Meine Nachdenklichkeit und meine Art zu gehen
Der Grund meiner ungleichmäßigen Art zu gehen liegt in meinem dauernden Versunkensein in Gedanken. Sobald nämlich einer nicht darauf achtet, bewegen sich seine Beine ganz von selbst; bei vielen Leuten kann man auch ein unwillkürliches Fuchteln mit den Händen als ein Zeichen ihres unruhig beschäftigten Geistes beobachten. Dazu kommen dann noch der Wechsel in der beruflichen Beschäftigung, Überraschungen, vor allem aber auch der gesundheitliche Zustand des Körpers: Befinden wir uns wohl und sind wir jugendlich lebhaft, nicht ermüdet, sorglos und heiter, so pflegen wir rasch zu gehen; alle anderen Zustände und Stimmungen verlangsamen den Gang. Meine Art zu gehen passt wie ein Exempel zu dieser Regel: Sie ist stets hastig und unregelmäßig, wenn ich mich im Geiste gerade mit anderen Dingen befasse als denen, die vor meinen Augen liegen. Überhaupt sind wohl alle Bewegungen dann ungleichmäßig, wenn die harte Notwendigkeit drängt und ein von Natur ungestümer Geist die Zügel führt, der alles Gute dauernd machen kann und nichts Übles ertragen möchte. Diese Nachdenklichkeit, von der ich sprach, beherrscht mich zwar ununterbrochen, richtet sich aber nicht ununterbrochen auf denselben Gegenstand. Nichtsdestoweniger ist sie immer so stark, dass ich nicht essen oder sonstiger Vergnügung mich hingeben, ja nicht einmal Schmerzen verspüren oder schlafen kann, ohne von ihr beherrscht zu sein. Und doch weiß ich nicht, ob es zu größerem Nutzen oder Schaden wäre, wenn sie aufhörte; denn der einzige Vorteil wäre dann, dass ich Ruhe hätte und ein anderes Übel käme. – Im Übrigen ist mein Gang bald rasch, bald langsam, bald sind Kopf und Schultern aufrecht, bald gesenkt, eine Unregelmäßigkeit, die den Eindruck der Jugendlichkeit macht, in Wirklichkeit freilich weit davon entfernt ist.
ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Religion und Frömmigkeit
Ich bin geboren in der Zeit der größten Religionswirren, hatte, von Armut niedergedrückt, zahllose Gelegenheiten zum Abfall, habe auf meinen Reisen viele Menschen kennengelernt, die der Religion nicht nur fremd, sondern feindselig gegenüberstanden – wenn ich mich trotz alledem nicht habe verführen lassen, so ist dies mehr einem Wunder als meiner Weisheit, der göttlichen Hilfe eher als meiner Stärke zuzuschreiben. War ich doch auch von früher Jugend an zu beten gewohnt: »Herr mein Gott, in deiner grenzenlosen Güte schenke mir ein langes Leben, Weisheit und Gesundheit an Leib und Seele.« So ist es kein Wunder, wenn ich stets ein treuer Anhänger meiner Religion und ein gottesfürchtiger Mann geblieben bin. Auch andere Gaben sind mir zuteil geworden, wie man meinen könnte, aber sie waren derart, dass sie offenbar eher einem andern zu Nutz und Vorteil wurden als mir. Ich war in Wirklichkeit ununterbrochen krank und war gelehrt, um es gerade herauszusagen, mehr in solchen Dingen, die ich gar nicht studierte und die ich auch von keinem andern gelernt habe, als in denen, deretwegen ich den Lehrern nachlief.
Meinen Kindern war ich ein liebevoller Vater, und ich habe damals gegen den Tod und das Leiden meines Sohnes nach Kräften gekämpft. Er sollte sterben, und wenig fehlte, so hätte er die Welt ohne Nachkommenschaft verlassen; nun habe ich von ihm einen Enkel, der, wenn ich mich nicht täusche, noch im Jahre seines Todes zur Welt kam. – Doch was soll dies? Warum willst du der Menschen Leiden und Elend dem Glück der Seligen gegenüberstellen? Freimütig sei es gesagt: Würde er denn ewig leben, wenn er damals nicht gestorben wäre? Was soll das also nur? Was habe ich dabei verloren? O eitel törichtes Denken der Menschen! Sträflicher Wahnwitz!
Ich gedenke im Gebete nicht nur der göttlichen Majestät, sondern auch der seligsten Jungfrau Maria und des heiligen Martinus; denn ein Traum hat mir verheißen, dass ich unter seinem Schutze einst noch ein ruhigeres, langes Leben führen werde.
Ich habe vor Jahren einmal eine Abhandlung geschrieben, von der ich hier einen Auszug geben will. Ich führte darin aus, dass die Trübsal dieses Lebens in keiner Weise mit dem Glück verglichen werden könne, das wir vom anderen Leben uns erhoffen. Wenn derartige übernatürliche Hoffnungen uns beseelen, so sind sie freilich so stark, dass wir nicht an ihnen zweifeln können und sie für das höchste Gut halten möchten; sobald sie uns aber entschwunden sind, scheint uns der ganze Glaube wie ein Traum. O dass es Gott gefallen hätte, diese Charybdis des Zweifels zum höchsten Heile von uns zu nehmen! Viel eifriger würden die Menschen den göttlichen Weisungen gehorchen, viel treuer der Gebote Gottes gedenken und die Wohltat dieser Gebote viel reichlicher genießen, viel frömmer würden sie leben und andern zum guten Beispiele sein! – Doch ich sehe ein, dass nur Schande und Schmach mich für meine Mühe lohnt, den Menschen ein Gesetz der Weisheit aufnötigen zu wollen. Frommes Mitleid mit den Leiden dieser Armen riss mich hin. So habe ich auch über die Unsterblichkeit der Seele in der besagten Abhandlung einige Gedanken vorgebracht, die mit Plato, Aristoteles und Plotin, mit dem gesunden Menschenverstand und der allgemeinen Lehre übereinstimmen, die natürlichsten Gedanken, glaube ich, von all denen, die einfache Laien darüber geäußert haben. Bei Plato nämlich ist die Tiefe der Gedanken, bei Aristoteles die scharfe logische Einteilung, bei Plotin die klare letzte Definition, was hervorgehoben zu werden verdient, der Hinweis auf die Folgen aber wird vermisst – eine Entdeckung, die freilich nicht ich gemacht habe, sondern Avicenna105, dessen Ansicht in diesem Punkte, als die vernünftigste aller Philosophen, ich gerne unterschreibe.
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