Junge und jung denkende Chefs hingegen mögen Studienabbrecher, weil sie sich kreative und praxisnahe Zugänge von ihnen erwarten. Bei Bewerbern mit drei in Mindestzeit abgeschlossenen Studien fragen sie sich: Hatten die nichts Besseres zu tun?
Starre Glaubenssätze und Denkmuster mögen aufgrund natürlicher Prozesse, über die Psychologen, Neurologen und Gerontologen bestimmt einiges wissen, entstehen. Trotzdem glaube ich, dass keine Generation vor euch den Stillstand so sehr gewollt und den Fortschritt so sehr blockiert hat wie ihr. Es ist wohl eure Gegenreaktion auf den Druck zur Veränderung, der noch auf keine Generation so stark gewirkt hat wie auf euch.
Es wird auch keine Generation nach euch den Stillstand so sehr wollen und den Fortschritt so sehr blockieren wie ihr. Denn ihr seid die Letzten, die in ihrer Kindheit und Jugend den Stillstand noch als Normalität erlebt haben, und die sich deshalb mit zunehmendem Alter so sehr danach zurücksehnen.
Nie hat sich früher etwas für euch verändert, und wenn doch, hattet ihr jede Menge Zeit, euch daran zu gewöhnen. Von der Ausstrahlung der ersten Fernsehbilder mit Ton bis zur Ausstrahlung des ersten Fernseh-Testbildes in Farbe vergingen mehr als dreißig Jahre. Vom ersten GSM-fähigen Handy bis zum ersten Smartphone waren es gut zwanzig Jahre.
Wir werden vielleicht später auch über bestimmte Dinge sagen: »Ach, erinnerst du dich?« Künstliche Intelligenz, virtuelle Realität, erweiterte Realität oder etwa die ersten Versuche zur Stimmungserkennung aus der Stimme werden für uns Nostalgien sein, die uns ein Lächeln abringen werden. Aber wir werden nicht daran hängen bleiben. Denn wir sind schon in einer dynamischen Welt aufgewachsen und fühlen uns am ehesten zu Hause, wenn sich ständig alles ändert.
Die Kluft zwischen euch und uns. Bestimmt haben junge Menschen ältere Menschen schon immer als unveränderlich und fortschrittsfeindlich erlebt. Doch warum ist die Kluft zwischen unseren Generationen größer, als sie es zwischen Jung und Alt je war? Liegt es nur an dem für euch besonders starken Veränderungsdruck? Und warum habe ich das Gefühl, dass diese Kluft weiterwächst?
Es hat wohl damit zu tun, dass nicht nur wir Menschen die Technik weiterentwickeln, sondern dass auch die Technik uns Menschen weiterentwickelt. So etwa verändert uns das Handy, das für euch ein Gebrauchsgegenstand wie ein Auto oder ein Fernseher ist, für uns aber die Fernbedienung unseres Lebens.
Wegen unserer Handys kannten wir spätestens mit elf alle denkbaren Formen von Pornografie, Gewalt, Mobbing, Verzweiflung, Angst und Enttäuschung. Ich will keine psychologischen Meinungen dazu zitieren, wie uns das im Vergleich zu euch verändert hat, denn sie stammen alle von Psychologen eurer Generation.
Sie gehen an solche Fragen grundsätzlich mit negativen Thesen heran, während ich mir vorstellen kann, dass die hemmungslose Enttabuisierung von allem Menschlichen, selbst der menschlichen Abgründe, bei richtigem Umgang damit auch etwas Gutes hat.
Die Kluft zwischen uns wächst auch, weil der Umgang mit Technik unsere Sprache verändert. Es entstehen neue Begriffe, die ihr nicht mehr richtig mitbekommt. »Gamification« zum Beispiel, das Wort für den Einsatz von Elementen aus Spielen wie Erfahrungspunkten, Highscores, Fortschrittsbalken, Ranglisten, virtuellen Gütern oder Auszeichnungen etwa im Produktmarketing oder bei Lern-Apps.
Andere Begriffe wechseln ihre Bedeutung. Das Wort »Content« zum Beispiel bedeutet für uns nicht mehr wie für euch schlicht »Inhalt«, sondern es steht für das Gegenteil von »Bullshit«, also für authentische, ehrliche, auf den Punkt gebrachte Information und Kommunikation, auch »Real Talk« genannt.
Auch deutsche Begriffe können für uns etwas anderes bedeuten als für euch. »Schnell«, zum Beispiel, bedeutet für euch »noch diese Woche«. Für uns bedeutet es »jetzt«. »Für immer« bedeutet für euch »für die nächsten zehn Jahre« und für uns »für heuer«. »Arbeiten« bedeutet für euch »etwas eher Unangenehmes für Geld tun«, für uns bedeutet es »uns selbst verwirklichen«.
Unsere Sprache ist dabei im Vergleich zu eurer direkter, schneller und einfacher geworden. Sie macht vieles leichter und beseitigt Hürden, die euch noch stoppen konnten. So habt ihr früher wochenlang darüber nachgedacht, was zu tun ist, wenn euch ein Junge oder ein Mädchen gefallen hat. Wir dagegen können einfach schreiben: »Hast du Lust auf Kino? (Zwinker-Smiley).«
Eure und unsere Sprachen und Persönlichkeiten sind gerade dabei, sich noch viel weiter auseinander zu entwickeln – weil eine neue Schnittstelle zum Internet gerade die Bildschirme unserer Computer, iPads und Handys ablöst. Wir tippen nicht mehr, sondern wir sprechen.
Will ich zum Beispiel wissen, wann Elon Musk geboren ist, frage ich Siri über meine Apple Watch danach. Siri antwortet: »Am 28. Juni 1971.« In Zukunft werden wir mit unserem Spiegel über unser Aussehen, mit sozialen Robotern über unsere Geheimnisse und mit unseren Häusern wie mit Bediensteten sprechen.
Forschungen haben gezeigt, dass sich Menschen verändern, wenn sich ihre Sprache verändert, und dass sich Sprache verändert, wenn sie nicht der Kommunikation zwischen Menschen und Menschen, sondern zwischen Menschen und Maschinen dient.
Phillipp Blom, ein deutscher Schriftsteller und Journalist, hat es 2014 so formuliert: »Man kann Technologie nicht gebrauchen, ohne durch sie verändert zu werden; und zwar bis ins Innerste, Intimste, verändert zu werden.«
Eure Analysen unserer Generation mögen sich deshalb in vermeintlichen Moden, Spleens und schlechten Sitten erschöpfen, doch in Wirklichkeit funktionieren wir längst auf viel fundamentalere Weise anders als ihr. Wir verhalten uns nicht nur anders, ein anderes Modell Mensch.
Der Wiener Reproduktionsmediziner und Buchautor Johannes Huber glaubt aufgrund medizinischer Beobachtungen sogar, dass die Evolution des Menschen gerade einen Sprung macht. Er glaubt, dass ein Mensch entsteht, der von Natur aus friedlicher, sozialer, empathischer und technikverbundener ist und beschreibt das als Übergang vom »Homo brutalis« zum »Homo amans« – »amans« bedeutet »liebend«. Ich kann dem viel abgewinnen. Krieg ist euer Konzept, nicht unseres.
Wenn ihr euch auf die Suche nach den Ursachen der Kluft zwischen euch und uns macht, bleibt euer Ergebnis trotzdem trivial und dabei egozentrisch. Eure moderne liberale Erziehung war womöglich falsch, denkt ihr dann. Eine eurer absurdesten Schlussfolgerungen daraus ist, dass Kinder eher wieder so wie ihr aufwachsen sollten. So absurd ist sie deshalb, weil es die Welt, in der ihr aufgewachsen seid, nicht mehr gibt, und sie lässt sich auch nicht durch Ge- und Verbote oder Disziplin wiederherstellen. So wie ihr zu sein, würde für uns zudem bedeuten, in unserer Welt so wie ihr zum Scheitern verurteilt zu sein.
Ihr verletzt eure moralische Verantwortung. Privat spielt diese Kluft zwischen euch und uns keine große Rolle. Wenn jemand von euch gerne in einer Hütte am Berg leben und mit der Welt nichts zu tun haben will, ist das seine Sache. Die Welt entwickelt sich dann eben ohne ihn weiter und er muss sehen, wo er bleibt. Anders ist das überall dort, wo ihr Entscheidungen treffen könnt, die sich auch auf uns auswirken, also vor allem im Berufsleben.
Dort nehmen es viele von euch in Kauf, dass sie langsam auf der Strecke bleiben. Ich merke das, wenn ich mit Managern eurer Generation spreche. Sie denken: Ich ziehe mein Ding noch zehn Jahre durch, dann könnt ihr mich gernhaben.
Weil die Perspektive solcher Manager nur bis zu ihrem Karriereende reicht, sind sie schlechte Vorbilder. Sie verhalten sich egozentrisch, statt das mittel- und längerfristige Wohl des Unternehmens und seiner Mitarbeiter, ihres Landes und seiner Bürger, des Planeten und der Menschheit im Blick zu haben.
Es ist für mich die Verletzung einer moralischen Verantwortung, nicht erkennen zu wollen, in welcher Zeit wir leben. Wenn ihr als Manager nicht wahrhaben wollt, dass ihr euch verändern müsst, oder wenn ihr es trotz besseren Wissens nicht tut, dann seid ihr verantwortungslos.
Besonders, wenn ihr dabei auf digitale Zukunft macht, während ihr in Wirklichkeit mit allen Tricks versucht, eure Welt so lange wie möglich am Leben zu erhalten. Zum Beispiel, indem ihr beharrlich wiederholt, dass wir uns »in den