Jenseits des Spessarts. Günter Huth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günter Huth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783429064822
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in dem Krankenzimmer völlige Ruhe, die nur von dem leisen Piepsen des Infusionsapparats unterbrochen wurde. Theresa und Simon waren derartig geschockt, dass es ihnen die Sprache verschlagen hatte.

      „… und da gibt es keinen Irrtum?“, wollte Theresa wissen, die ihr Glück nicht fassen konnte. Sie griff nach der Hand Simons und drückte sie mit voller Kraft.

      „Nein, das Ergebnis ist definitiv positiv“, versicherte der Arzt. Er sah Simon Kerner an. „Bei Ihnen ist es leider negativ.“ Er hob bedauernd die Schultern. „Aber wir haben jetzt eine reelle Chance, Clara helfen zu können. Glauben Sie mir, so schnell einen Spender zu finden, ist wirklich nicht die Regel, eher die seltene Ausnahme.“

      Als sich Theresa und Simon in die Arme nahmen, lächelte er leise und verließ das Krankenzimmer. Solche glücklichen Momente waren in seinem Beruf leider nicht die Tagesordnung.

      Als sich die beiden eine Minute später wieder voneinander lösten, waren beide tränenüberströmt.

      „Warum weint Ihr?“, kam die leise Stimme von Clara. Sie war offenbar aufgewacht. Sie hatte in den letzten Wochen viele Tränen ihrer Mutter erlebt, auch wenn diese sich sehr bemühte, sich nichts anmerken zu lassen.

      Theresa setzte sich zu ihr ans Bett, strahlte sie an und nahm sie in die Arme. „Mein Schatz, wir haben gerade eine ganz wunderbare Nachricht von Dr. Jansen bekommen. – Stell dir vor, ich komme für dich als Knochenmarkspenderin in Frage!“

      Clara sah ihre Mutter mit großen Augen an. Mittlerweile waren ihr trotz ihrem Kindsein viele Details ihrer Krankheit bekannt und sie wusste, dass das, was da in ihrem Körper wütete, eine gefährliche Krankheit war.

      „Werde ich dann wieder gesund?“

      „Ja, du wirst wieder gesund!“, erwiderte Kerner im Brustton der Überzeugung. Es machte keinen Sinn, das Kind mit den vielen Unwägbarkeiten, die noch auf dem Weg zu ihrer Genesung warteten, zu belasten.

      Kerner blieb noch eine Stunde, dann eilte er zu seinem Wagen und machte sich auf den Heimweg zu Brunners Wohnung. Er musste jetzt einige Telefonate erledigen und dann anschließend ein paar Wohnungen ansehen, um ihre Existenz hier in der Heimat auf sichere Füße zu stellen. Er wollte seinem Freund nicht länger als unbedingt notwendig zur Last fallen. Innerlich war er sehr froh!

       Zwei Tage später

      Simon Kerner war fast den ganzen Tag in Würzburg unterwegs gewesen und hatte sich Wohnungen angesehen. Jetzt kam er gerade vom Krankenhaus. Er hatte Theresa einige Sushi-Leckerbissen mitgebracht, um das Krankenhausessen etwas aufzupeppen. Bei allem Stress war es ihm wichtig, Zeit mit seiner Familie zu verbringen und Clara zu zeigen, dass ihr Papa für sie da war. Da es ihr aufgrund der durchzuführenden Chemotherapie in Abständen immer wieder schlecht wurde, war das Kind sehr anhänglich, brauchte Streicheleinheiten und wollte immerzu kuscheln.

      Kerner kaufte sich am Krankenhauskiosk eine Tageszeitung, dann fuhr er zu Eberhard Brunners Wohnung. Wie erwartet war der Freund nicht da. Kerner ging zum Kühlschrank und warf einen Blick hinein. Er seufzte. Der Bestand hatte sich gegenüber der letzten Inhaltskontrolle nicht geändert. Wie sollte er auch, nachdem er nicht zum Einkaufen gekommen war. Lediglich ein paar Flaschen Bier dominierten die Fächer. Kurz entschlossen entschied sich Kerner, ein paar Straßen weiter einen Dönergrill aufzusuchen. Er hatte den Laden vor kurzem gesehen, als er mit seinem Wagen durch die Straßen gefahren war. In seiner derzeitigen Situation war Fastfood praktisch nicht zu vermeiden. Er schnappte sich den Hausschlüssel, dann verließ er die Wohnung. Die paar Schritte ging er zu Fuß.

      Simon Kerner war in Gedanken so sehr mit der Krankheit seiner Tochter beschäftigt, dass ihm das doppelte Augenpaar, das ihn beim Verlassen des Hauses aus einem vor dem Gebäude parkenden Fahrzeug verfolgte, nicht auffiel. Beide Männer starrten auf ein Foto, das offenbar mit einem Teleobjektiv aufgenommen worden war. Es zeigte Simon Kerner, wie er gerade die Kinderkrebsstation verließ. Omar, der Ältere, deutete darauf.

      „Karim, das ist dieser Kerner, der momentan bei Brunner, der Satan soll ihn holen, wohnt. Geh ihm hinterher. Er ist ohne Auto unterwegs, da wird er sich vermutlich nicht weit entfernen. Ruf mich rechtzeitig an, wenn er zurückkommt. Du wartest dann, bis er hineingeht, und hältst dich bereit. Die Wohnung liegt ja im Parterre. Wenn ich ihn vor der Knarre habe, mache ich dir die Verandatür auf, dann kommst du nach. Vergiss nicht die Maske überzuziehen!“

      Karim wartete einen Moment, bis Kerner gute hundert Meter entfernt war, dann stieg er aus, rückte seine Basecap zurecht und folgte ihm. Der Mann hinter dem Steuer geduldete sich, bis beide um die nächste Straßenecke verschwunden waren, dann drückte er seine Zigarette im Aschenbecher aus und verließ ebenfalls das Fahrzeug. Er warf sich einen kleinen Rucksack über, dann versicherte er sich, dass die Seitenstraße unbelebt war. Sein Handy steckte in der Brusttasche seiner dunklen Lederjacke. Es war lautlos, nur auf Vibration gestellt. Nachdem er sich diskret Gummihandschuhe übergezogen hatte, entnahm er einer der vorderen Taschen des Rucksacks eine kleine technische Apparatur. Schnell näherte er sich der Haustür, die Kerner vor wenigen Minuten durchschritten hatte. Er führte mehrere Stifte des Geräts ins Schlüsselloch ein, dann drückte er einen Knopf. Es dauerte nicht länger, als wenn er mit einem Schlüssel geöffnet hätte. Mit wenigen Schritten war er an Brunners Wohnungstür. Auch diese Tür war binnen Sekunden geöffnet, zumal Kerner beim Weggehen nicht abgeschlossen hatte. Der Eindringling wusste, dass Eberhard Brunner zurzeit in seiner Dienststelle weilte, er also im Augenblick nicht mit einer Störung durch ihn rechnen musste. Langsam durchquerte er die Wohnung und sah sich um. Er hatte von Safar, seinem Clan-Boss und Cousin, den Auftrag, dem Leiter der Soko Spessart eine deutliche Botschaft zu hinterlassen. Sie lautete: „Lass die Finger von unserer Familie! Wir haben keinen Respekt vor dir und können jeden in deinem privaten Umfeld packen, wann immer wir wollen!“ Wer war besser als Überbringer dieser Botschaft geeignet als der Freund Brunners? Der Typ war offenbar wegen eines kranken Kindes in Würzburg. Er machte optisch nicht den Eindruck einer wehrhaften Person. Ein harmloser Paragrafenreiter, für Omar also ein Kinderspiel. Er beschloss, im Wohnzimmer auf Kerner zu warten. Von dort aus konnte er blitzschnell die Verandatür öffnen und Karim, seinen ältesten Sohn, einlassen. Er hatte ihn heute mitgenommen, weil er bei dieser einfachen Aufgabe etwas lernen konnte. Er setzte sich in einen Sessel und zog sich die Gesichtsmaske über. Mit einem Griff holte er den Revolver mit aufgeschraubtem Schalldämpfer aus dem Schulterholster und legte ihn sich in den Schoß. Er würde ihn sicher nicht benötigen, aber er würde bestimmt Eindruck hinterlassen. In diesem Augenblick vibrierte sein Telefon. Er warf einen Blick auf das Display.

      „Er kommt!“, lautete die WhatsApp-Nachricht. Als Antwort schickte er einen Daumen hoch.

      Fünf Minuten später betrat Simon Kerner wieder die Wohnung. Da er so großen Hunger verspürte, hatte er sich einen Döner-Teller mit frittierten Kartoffelchips genehmigt. Beim Weg durch den Flur in die Küche blieb er plötzlich stehen. Konnte es sein, dass es hier irgendwie schwach nach Rauch roch? Kerner schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich war es das Essen in seiner Tragetasche, das sehr intensiv roch. Er holte den Styroporbehälter aus der Plastiktüte und stellte ihn auf den Küchentisch. Ein Teller war überflüssig, den musste man nur spülen. Das Bier aus dem Kühlschrank war schön kalt und würde zu der kräftigen Mahlzeit passen. Simon Kerner holte aus einer Schublade Besteck, dann setzte er sich mit dem Rücken zur Tür an den Küchentisch und schob die erste Gabel in den Mund. Plötzlich hielt er inne. Seine über Jahre in der wilden Natur Afrikas geschärften Instinkte sagten ihm, dass hier etwas nicht stimmte! Aber statt herumzufahren und aufzuspringen, blieb er ganz ruhig sitzen und kaute weiter. Aus den Augenwinkeln heraus nahm er einen dunklen Schatten in der Türöffnung zum Wohnzimmer wahr.

      „Ganz langsam aufstehen und die Hände hoch“, befahl eine sonore Männerstimme. „Wird’s bald!“

      Kerner stand im Zeitlupentempo auf. Ohne groß nachzudenken, ließ er mit einer Hand das Küchenmesser im Ärmel seines Hemdes verschwinden, wo er es hinter dem Armband seiner Uhr festklemmte. Simon Kerner schoss Adrenalin ein und übergangslos kam er in den Kampfmodus. Vorsichtig blickte er hinter sich.

      „Jetzt