Der Begriff Rezeption leitet sich vom lateinischen „recipere“ (aufnehmen, annehmen, übernehmen und empfangen) ab.815 Als terminus technicus entstammt er ursprünglich der Rechtstheorie und Rechtsgeschichte.816 Vor allem die deutschen Rechtshistoriker verwendeten den Begriff der Rezeption, um den über Jahrhunderte andauernden Prozess der Aufnahme und Übernahme des römischen Rechts in den Gebrauch der kirchlichen und bürgerlichen Gesellschaft zu bestimmen.817 Zu einem Thema theologischer Forschungen wird der Rezeptionsbegriff erst im 19. Jahrhundert, obgleich Rezeptionsvorgänge selbst in jeweils unterschiedlicher Ausprägung durch die gesamte Kirchengeschichte hindurch beobachtbar sind.818 Die begriffliche und theoretische Annäherung scheint jedoch ein Phänomen der Moderne zu sein.819 Zu einer grundlegenden Auseinandersetzung mit Begriff und Prozess der Rezeption kommt es allerdings erst im Anschluss an das II. Vatikanum.820 Noch in der Ausgabe des Lexikons für Theologie und Kirche von 1963 sucht man den Begriff vergebens.
Die philosophische Rezeptionstheorie hat im 20. Jahrhundert den dialogischsymmetrischen Charakter zwischen Sprecher und Hörer, Text und Leser bei Rezeptionsprozessen betont: „An der wechselseitigen und prinzipiell offenen Auseinandersetzung im Verstehensakt sind demnach die Vormeinungen und Erwartungen des Rezipienten, seine situative Eingebundenheit in Lebenskontexte und seine Verfahren der Sinnerschließung gleichermaßen beteiligt, wie die Vorgaben des Sprechers oder des Textes. Das Vorverständnis des Empfängers darf im Austausch beider Seiten nicht letztlich zugunsten einer trügerischen Objektivität als auslöschbar aufgefasst werden, da es dauerhaft mitbestimmend bleibt.“821 Dieses Verständnis greift vor allem auf Martin Heideggers Nachweis der prinzipiellen zeitlichen und geschichtlichen Verfasstheit des Verstehens zurück.822 Bisherige Rezeptionskonzepte wurden so um den konstitutiven Beitrag des Rezipienten erweitert. In der begrifflichen Reflexion konnte nunmehr der individuellen und geschichtlich präzisierten Intention des Sprechers oder Textes ein ebenbürtiger Beitrag des Rezipienten gegenübergestellt werden. Durch die Notwendigkeit eines je individuellen Rezeptionsbeitrags und seiner bleibenden Unabgeschlossenheit wird deutlich, dass das Rezeptionsobjekt nicht einfach vorliegt, sondern sich abhängig vom jeweiligen Rezipienten und seiner geschichtlichen Situation je neu entfaltet und erschließt.
In der katholischen Theologie waren es vor allem die Untersuchungen von Yves Congar823, Alois Grillmeier824, Hermann Josef Pottmeyer825, Wolfgang Beinert826, Klaus Schatz827 und Peter Hünermann828, die zu einem differenzierten Rezeptionsbegriff entscheidend beigetragen haben.
Aufbauend auf Congars frühen Studien konnte gezeigt werden, dass Rezeption als wechselseitiger Austausch- und Übernahmeprozess bereits seit den frühen Konzilien eine Grundkonstante der Kirche darstellt, deren ekklesiologische Realität sich an verschiedenen Stellen in der Geschichte exemplifizieren lässt.829 Congar versteht unter Rezeption „den Prozess, worin eine kirchliche Körperschaft sich eine Bestimmung, die sie sich nicht selbst gegeben hat, zu eigen macht, in dem sie in der promulgierten Maßnahme eine Regel anerkennt, die ihrem Leben entspricht.“830 Klaus Schatz betonte mit Blick auf die frühen ökumenischen Konzilien ein doppeltes Moment im Rezeptionsbegriff.831 In der Alten Kirche bedeutete Rezeption eines Konzils, dass es zur Kenntnis der ganzen Kirche gelangt und dabei „nicht als Skandal oder Ärgernis, sondern als dem apostolischen Glauben entsprechend“832 wahrgenommen wurde. Entscheidend war demnach ein horizontaler Konsens - Inhalt und Aussagen des Konzils mussten zur Kenntnis und Akzeptanz der ganzen altkirchlichen Communio gelangen - sowie ein vertikaler Konsens - die Aussagen mussten in Kontinuität zur Heiligen Schrift und Vätertradition stehen.833 Zu jener Zeit war die Aufmerksamkeit vor allem auf die inhaltliche Autorität der Lehre fokussiert.834 Im 2. Jahrtausend der Kirchengeschichte verschob sich dieser Fokus zugunsten der formalen Autorität des lehrenden Magisteriums der Kirche.835 Hermann Josef Pottmeyer bestimmte zwei gegensätzliche Rezeptionsmodi: „Rezeption aus Gehorsam“ und „Rezeption aus Wahrheitseinsicht“.836 Wenngleich eine individuelle Wahrheitsprüfung kirchlicherseits nie für obsolet erklärt wurde, gründete im ersten Modus die Zustimmung des Untergebenen in der formalen Autorität der kirchlichen Vorgesetzten und der auf ihr begründeten Annahme der Wahrheit.837 Gegenüber dieser scholastisch grundgelegten Rezeption aus Gehorsam sehen Congar und Pottmeyer einen anderen Rezeptionsvorgang, bei dem sich die Zustimmung nicht nur an der formalen Autorität orientiert, sondern auch an der inhaltlich-materiellen Autorität der vertretenen Wahrheit und Lehre. Dieses Verständnis war vor allem durch ein eigenständiges und für den Rezeptionsprozess konstitutives Urteil des Rezipienten geprägt.838 Pottmeyer konnte zeigen, dass beide Rezeptionsmodi eine Kompatibilität mit jeweils unterschiedlichen Ekklesiologien aufweisen. Die Rezeption aus Gehorsam sei demnach besonders in einem pyramidalen, hierarchisch gegliederten Kirchen- und Amtsverständnis anzutreffen, wie dies im 2. Jahrtausend dominierte. Hingegen sei die Rezeption aus individueller Wahrheitseinsicht nicht nur mit der frühchristlichen Communio-Struktur untereinander vernetzter Ortskirchen, sondern zugleich mit dem im Zweiten Vatikanischen Konzil vertretenen Kirchenverständnis kompatibel. Pottmeyer entfaltete die Rezeption aus Einsicht anhand der Communio-Ekklesiologie weiter und betonte, dass der Beitrag der Rezipienten „bestätigend, vertiefend, ergänzend, korrigierend oder weiterführend“839 sein kann.840 Peter Hünermann wies ergänzend auf verschiedene innerkirchliche Rezeptionssubjekte - das Volk Gottes, Papst und Kurie, Bischöfe und Klerus, schließlich die Theologie841 - und die Legitimität ihrer vielfältigen Zugänge hin, mit den Aussagen des Konzils umzugehen.842 Als „katalysatorischer Vorgang“843 sei der Rezeptionsprozess notwendig, um der Kirche zu ihrer konkreten geschichtlichen Gestalt zu verhelfen. Das vom Konzil ausgehende pastorale Programm für die Kirche in der Welt von heute habe sich daher durch die „Umsetzung in die Realität“844 zu bewähren.
Aufs Engste mit der Frage nach der Rezeption ist die Auseinandersetzung um eine sachgemäße Hermeneutik verbunden, mit Hilfe derer das Konzil, das Ereignis dieser Versammlung selbst, die Texte und die anschließende Rezeption theologisch eingeordnet und interpretiert werden.845 Die Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit über die Konzilsaussagen sind keinesfalls von trivialer Natur und haben in jüngster Zeit eher an Intensität zugenommen.846 Je nach Deutungshorizont kann dabei das Konzil als Teil der Lösung oder als Teil des Problems identifiziert werden, was wiederum direkte Auswirkung auf die Rezeption hat.847 Extrempositionen, die in den Konzilstexten entweder einen Bruch mit der bisherigen Tradition sehen wollen, sowie eine Hermeneutik der strikten Kontinuität, die das II. Vatikanum in das Rahmenwerk von Trient und dem I. Vatikanischen Konzil einzuordnen versucht, erscheinen für eine authentische Interpretation wenig zielführend.848 Das Konzil ist eher zwischen „Tradition und Innovation zu verorten“849, da sich viele Elemente der konziliaren Erneuerung „der Wiederentdeckung des biblischen, patristischen und spirituellen Erbes der Kirche sowie dem neuen Gewicht, das ursprüngliche liturgische Formen (wieder) bekamen“850, verdanken. Insofern gibt es eine Bandbreite unterschiedlicher vermittelnder Positionen, die von einer Hermeneutik des „Ereignisses“851, des „Prozesses“852, der „Reform“853, von „Abschied und Aufbruch“854 sprechen. Für die nachkonziliare Zeit ist zudem das Verhältnis von Geist und Buchstabe des Konzils von Bedeutung. Immer wieder wird als hermeneutisches Kriterium die Einheit von Geist und Buchstabe des Konzils mahnend eingefordert.855 Doch während der Buchstabe des Konzils in unzähligen Texteditionen vorliegt, ist man von einer eindeutigen Bestimmung des Geistes jener Versammlung weit entfernt. Herbert Vorgrimler beschreibt anhand von Aussagen Karl Rahners und Papst Johannes XXIII. den „Geist des Konzils“ als die Fähigkeit der Kirche, sich von der geistigen Not der Menschen heute beunruhigen zu lassen, „und zwar in dem Maß, dass sie imstande ist, diese Not innerlich mitzufühlen, sie zu teilen.“856 Nach Karl Lehmann