Die Einordnung des AKH durch Johannes Braun wird noch detailliert zu hinterfragen sein. Seine nachträgliche Bewertung von Adolf Brockhoff und des AKH in dem 1999 erschienen Buch „Ich lebe, weil Du es willst“ ist keine historische Darstellung, sondern vor allem geeignet, ein subjektives Geschichtsbild zu tradieren.714 Von Beginn an gab es zwischen Johannes Braun und dem AKH einen elementaren Dissens. Die Basisgruppe hatte sich nicht nur formiert, um einen eigenen Kandidaten für die Rintelennachfolge nominieren zu können. Es war das erklärte Ziel des Kreises, den von verschiedener Seite protegierten Rektor des Norbertuswerkes als zukünftigen Magdeburger Bischof zu verhindern. Die im Zuge dieser Auseinandersetzung entstandenen Verwundungen bei Johannes Braun haben die Bewertung des Kreises und seiner Mitarbeiter nachhaltig beeinflusst. Die Legenden über dieses Spannungsverhältnis sind unbestätigt.715 Aus den kirchlichen Quellen lässt sich allerdings über einen Zeitraum von über 15 Jahren nachweisen, dass Bischof Braun den AKH nie als legitime kirchliche Vereinigung angesehen hat. Wie weit diese persönliche Distanz reichte, wird unter der Fragestellung einer „Unheiligen Allianz“ noch ausführlich erörtert.
Der Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck war erst durch den „Jäger-Brief“ in die Entwicklungen um den AKH verflochten worden. Seine Herkunft als Paderborner Priester, die langjährige Tätigkeit als Priester in Halle (seit 1938) und das wegweisende Wirken als Magdeburger Seelsorgeamtsleiter (1948-1962) hatten ihn natürlich mit den späteren Gründungsvätern des AKH in enge und teils freundschaftliche Verbindungen gebracht. Für Claus Herold war Hugo Aufderbeck seit 1938/39 Lehrer und Beichtvater.716 Mit Adolf Brockhoff verband ihn seit 1953 die gemeinsame Arbeit.717 Obgleich die engen Verbindungen zwischen Herold, Brockhoff und Aufderbeck auch nach dessen Weggang aus Magdeburg 1962 bestehen blieben, war das Verhältnis in den kommenden Jahren nicht ungetrübt. Daher kann von einem Erfurt-Hallenser Schattenkomplott gegen Weihbischof Rintelen, wie von Prälat Jäger mit dem Diktum einer „fünften Kolonne“ insinuiert, kaum gesprochen werden, selbst wenn man eine bleibende Distanz zwischen Rintelen und Aufderbeck konzediert.718 Die überhitzte Situation im Kommissariat Magdeburg vor und nach der Weihe von Bischof Braun und die Verwirrung durch den veröffentlichten Jäger-Brief hatten es dem Erfurter Bischof Aufderbeck mehr als geboten erscheinen lassen, sich nicht gegenüber dem AKH zu positionieren. Bereits im April 1970 zeigte er sich distanziert und warb für eine Überwindung der vorhandenen Spannungen.719 In einem ausdrücklich persönlichen Brief wandte sich Hugo Aufderbeck am 13. Oktober 1970 an Claus Herold.720 Darin kritisierte er nicht nur Fehler im letzten AKH-Rundbrief721, sondern bezog auch direkt und indirekt Stellung zum Aktionskreis: „Zur Arbeitsweise Eures Aktionskreises möchte ich mich nicht äußern. Nur würde ich es sehr bedauern, wenn einer meiner jungen Mitbrüder durch diesen Kreis in eine Richtung käme, die wahrscheinlich für ihn nicht gut ist, zumal wenn er dadurch vielleicht noch veranlasst würde, hier eine ähnliche Gruppe zu gründen. Ich bemühe mich, für alle Gespräche offen zu sein und dazusein. Du tätest mir damit keinen Freundesdienst.“722 Stellte das Vorgehen des Aktionskreises tatsächlich die Freundschaft beider auf die Probe oder kann dieser Brief nicht auch als correctio fraterna interpretiert werden? Ähnlich persönliche Empfehlungen gab ein weiterer Freund Claus Herolds, der Paderborner Weihbischof Paul Nordhues.723 Drei Jahre später, im November 1973, bezog Hugo Aufderbeck noch einmal Stellung gegenüber dem AKH und Claus Herold. Ausschlaggebend für einen scharfen Brief Aufderbecks war eine Zeitungsmeldung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29. Oktober 1973, die die Problematik von aus dem Amt geschiedenen Priestern in der DDR anhand von Aussagen des Aktionskreises thematisierte.724 Aufderbeck fühlte sich von der Verleumdung in der bundesdeutschen Presse verletzt und kritisierte vor allem die „globale Diffamierung“ der ostdeutschen Bischöfe, die durch die Aussagen des AKH ermöglicht wurde.725 Beide Briefe deuten klar auf eine distanzierte Haltung Aufderbecks gegenüber den Hallenser Aktivitäten hin.
Von weiteren ostdeutschen Bischöfen sind entweder nur Faszikel oder keine schriftlichen oder mündlichen Stellungnahmen zum AKH überliefert. Der Berliner Erzbischof Alfred Kardinal Bengsch hat keine schriftliche Stellungnahme zum Hallenser Aktionskreis abgegeben, die in kirchlichen Archiven oder dem Privatarchiv des Aktionskreises überliefert ist. Doch weisen die kritischen Auseinandersetzungen des Kardinals mit Adolf Brockhoff im Rahmen des Hallenser Sprachenkurses sowie mit Claus Herold im Hinblick auf seine Tätigkeit als Sprecher der DDR-Jugendseelsorger auf eine kirchenpolitisch wie theologisch begründete Distanz hin. Dies wird auch von einzelnen Kommentaren gegenüber Dritten belegt. In einem Brief an den Leipziger Oratorianer Pfarrer Dr. Wolfgang Trilling726 wandte sich Alfred Bengsch im Juni 1969 gegen dessen Darstellungen zur Kirchenpolitik der Bischöfe in der DDR.727 Der Vorsitzende der BOK führte dabei aus, dass die Vorliebe für den Pluralismus in der Kirche unter den „uns auferlegten Bedingungen gelegentlich zurücktreten [müsse, SH], denn eine Kirche, die in unserer Staatsform leben muss, darf doch wohl den innerkirchlichen Dialog nicht so führen, dass sie anderen Kreisen direkt die Möglichkeit bietet, ihr schwer zu schaden.“728 Trillings Äußerungen wirkten umso mehr, so die Wahrnehmung Bengschs, da er von der BOK als Dozent für Exegese beauftragt ist. Es hat deshalb, so der Kardinal weiter, „eine andere Wirkung als die permanenten Äußerungen des Unbehagens, die etwa Pfarrer Brockhoff als Beitrag zum Leben der Kirche liefert.“729 Im Nachlass Bengsch findet sich eine Sammlung von AKH-Rundbriefen, die allerdings nicht kommentiert wurde.730 Sein Nachfolger, Joachim Kardinal Meisner731, hatte den Berliner Prälaten Paul Dissemond 1985 beauftragt, dem „sogenannten Aktionskreis Halle“ mitzuteilen, dass es nach bischöflicher Auffassung ein innerkirchliches Gremium mit diesem Namen nicht gäbe.732 Die Bischöfe von Erfurt und Meißen, Joachim Wanke733 und Gerhard Schaffran, standen dem Kreis nicht ausdrücklich ablehnend gegenüber.734 Entgegen dem unter Kardinal Bengsch gepflegten „Ignoranzparadigma“ gegenüber dem AKH, antwortete der Schweriner Apostolische Administrator und Bischof Heinrich Theissing 1982 auf einen Brief von Joachim Garstecki. Der Vordenker des AKH in Friedensfragen hatte dem Schweriner Bischof seinen Text „Zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit: Auf der Suche nach Frieden“ als Reaktion auf Theissings Hirtenbrief zur Friedensfrage 1982 übermittelt.735 Die knappe bischöfliche Antwort ist wohl die einzige dokumentierte positive Äußerung eines ostdeutschen Bischofs gegenüber inhaltlichen Ansätzen des Hallenser Aktionskreises bis 1989: „Diese realistischen und