10. So viele Schüler zu haben ist ein Privileg, das kein deutscher Kollege teilt
Beglückende Stunden während der Arbeit mit den Promovenden
Pädagogik : „Ich habe meine Doktoranden immer hundertprozentig gefördert“ / Mäßigung : „Es erscheint mir wichtig, dass meine Schüler keine Ideologen sind“ / Kontakt : „Man merkt es, wenn zu runden Geburtstagen nicht mehr gratuliert wird“
11. In der Zeit des Niedergangs sollte man nicht allzu viel über Bord werfen
Judentum, Exegese, Kirchengeschichte und der Unwille gegen das Christentum
Erfinder : „Das sind letztlich Hegels Schablonen aus dem 19. Jahrhundert“ / Vorurteil : „Nüchterne Betrachtung und Ehrlichkeit haben immer noch Chancen“ / Lehrer : „Ich habe viele protestantische Regionalbischöfe hervorgebracht, das genügt“
12. Überängstliches Karrieredenken hinter dem Mangel an Offenheit
Einen Blick für die wesentlichen Geheimnisse bekommen
Schaufel : „Am Strand verwende ich meine Zeit, um Städte aus Sand zu bauen“ / Apokalypse : „Die Kirche als Gegenöffentlichkeit zu den politisch Mächtigen“ / Rückschau : „Ich blicke überhaupt nicht zurück. Ich blicke nur nach vorne“
Vorwort
Die Krise der Kirche ist zuerst eine Krise der Bibelwissenschaft. Beinahe 200 Jahre sind ins Land gezogen, seit diese die Heilige Schrift und besonders das Leben Jesu „kritisch bearbeitet“ (David Friedrich Strauß). Die Wirkung ist verheerend. Indem sie in immer neuen Anläufen die historische Zuverlässigkeit biblischer Erzählungen und Personen in Frage stellt, untergräbt sie die Existenzgrundlage der christlichen Religion. Hierzulande meist an staatlichen Lehranstalten angesiedelt und mit kirchlichem Auftrag ausgestattet, beziehen ihre Vertreter Solde und Pensionen für ein fragwürdiges Geschäft. Keineswegs ist der Glaube in Europa „verdunstet“, wie in kirchlichen Kreisen verharmlosend behauptet wird, als ob wir es mit einem unvermeidlichen Naturereignis zu tun hätten. Nein, er wurde systematisch ausgehöhlt. Wozu das Selbstverständnis vieler – freilich nicht aller – Bibelwissenschaftler, das sich vom depositum fidei glaubte emanzipieren zu müssen, maßgeblich beitrug. Aus biblischer Geschichte wurden Geschichten, Ammenmärchen, religiöse Wunschprodukte. Die Christenheit inmitten der Geschichte der Antike, der Religionsgeschichte blieb lange Zeit unbeachtet. Erst die verspätete Debatte um die zwischen 1947 und 1956 gefundenen Schriftrollen bei Khirbet Qumran im Westjordanland leitete ein gewisses Umdenken ein. So wird deutlich : Mitnichten war die allseits bemühte „Naherwartung“ des eschaton das alles bestimmende, jedes Geschichtsbewusstsein tilgende Motiv der Alten Kirche.
Im Gegenteil : Das Christentum ist eine Religion, die wie keine andere auf Geschichte beruht. In ihrem Kern gründet es auf die feste Überzeugung, dass in einem bestimmten Augenblick der Geschichte des Kosmos der ewige Logos Gottes in einem Menschen namens Jesus von Nazaret „inkarniert“, das heißt „Fleisch“ (Joh 1,1.14), geschichtliche Person geworden ist. Gott wurde sterblich. Und die Person, die über den Gottmenschen das Todesurteil sprach, ist ebenso eine Gestalt der Geschichte : Pontius Pilatus, 26 bis 36 n. Chr. Präfekt der römischen Provinz Judäa. Damit sein Name nicht vergessen und der geschichtliche Kern des Christentums nicht in eine mythologische Spekulation aufgelöst würde, hat man Pilatus in die Magna Charta dieser Religion, in das christliche Glaubensbekenntnis, aufgenommen. Wie aber soll man dies (und noch viel mehr !) glauben, gar sein Leben darauf bauen können, wenn die moderne Bibelauslegung zu dem Ergebnis kommt, es sei alles ganz anders gewesen, als der blanke Buchstabe verspreche ? Wie noch an Jesus, an seine Auferstehung von den Toten glauben, wenn die Mehrzahl seiner Worte und Taten sich als „unecht“ beziehungsweise „spätere Gemeindebildung“ herausgestellt haben sollte ? Wie ihm nachfolgen, wie zu ihm beten, wenn er sich – zum Beispiel – mit der Ankündigung des Reiches Gottes noch zu Lebzeiten seiner Zuhörer (nach Mk 9,1) komplett „geirrt“ haben sollte ? Die Anzahl jener, die durch solche „Erkenntnisse“ der „aktuellen“ theologischen „Forschung“ den Glauben verloren haben, dürfte immens sein. Darunter auch Geistliche, die, wenn sie im Amt bleiben, ihren als Wissenschaft verbrämten Unglauben auf ihre Gemeinden streuen. Allein in meiner Verwandtschaft mütterlicherseits hatten von 16 Vettern und Basen vier ein Theologiestudium aufgenommen. Zwei brachen es infolge bohrender Zweifel vorzeitig ab, zwei fielen vom überlieferten Glauben ab, einer davon „glaubt“ jetzt, wie er sagt, an Friedrich Nietzsche. Familie, Gymnasium, Universität hatten ihnen nicht das Rüstzeug zu geben vermocht, mit dem man die Waffen der Kritik gegen diese selbst richten muss, will man den tatsächlichen Erkenntniswert moderner Bibelwissenschaft richtig einschätzen können.
Ihr Flaggschiff, die „historisch-kritische Methode“, ist ein typisches Produkt der (klassischen) Moderne. Wo sie religionsgeschichtliche Vergleiche zieht und die unterschiedlichen Texte des Alten wie des Neuen Testamentes mit sprachwissenschaftlichen, also text- und literarkritischen, form-, redaktions- und traditionsgeschichtlichen Mitteln untersucht, zeitigt sie bisweilen staunenswerte Ergebnisse. Doch wie die Moderne selbst ist auch die „historisch-kritische Methode“ in die Jahre gekommen. Es konnte nicht ausbleiben, dass sie nach ihrem beispiellosen Triumphzug durch die theologischen Fakultäten selbst zum Gegenstand kritischer Untersuchungen wurde. Doch das Beharrungsvermögen etablierter Institutionen und scientific communities, zu denen die Mehrheitstheologen wie kaum eine andere Zunft zusammengeschweißt sind, sorgt dafür, dass solche Arbeiten unterdrückt oder lächerlich gemacht werden. Ich erinnere mich gut, wie 1993 der Würzburger Ostkirchenkundler Hans-Joachim Schulz seine bahnbrechende, trotz „erhebliche(r) Einwände“ von Rudolf Schnackenburg, wie dieser im Vorwort schrieb, in die renommierte Herder-Reihe Quaestiones disputatae aufgenommene Studie über „Die apostolische Herkunft der Evangelien“ (3. Aufl. 1997) veröffentlicht hatte und das exegetische Establishment tat, was in der Wissenschaft seit jeher die tödlichste Waffe ist : es schwieg ! Dabei zeigte das Buch – neben der Verortung der Evangelienentstehung in die liturgisch-anamnetische Praxis der frühen Christengemeinden –, was für Historiker und Altphilologen als längst ausgemacht galt : Die tragenden Prämissen, auf denen die moderne Bibelauslegung beruht, stammen aus der Mottenkiste des 19. Jahrhunderts, das wiederum rationalistische Engführungen der Aufklärung transportiert hat. Wunder beispielsweise