Wer bin ich?. Keith Hamaimbo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Keith Hamaimbo
Издательство: Bookwire
Серия: Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429062040
Скачать книгу
Enneagramm als Typologie grundlegend für die Arbeit am Wachstumsprozess ist. Der Einstieg in diesen Prozess fängt mit einer Typisierung an. Ebert sagt zu Recht, dass die Identifikation mit einem bestimmten Enneagramm-Muster seine Rechtfertigung in der Desidentifikation findet.367 „Erst wenn ich weiß, was mich persönlich besetzt, kann ich mit Gottes Gnade die nächsten Schritte zur eigenen Befreiung finden.“368 Ebert beteuert, dass es fatal wäre, wenn man bei der Identifikation bliebe, und schlimmer wäre es, wenn das herausgestellte Enneagramm-Muster als Selbstrechtfertigung benutzt würde.369 Unabhängig davon wäre vielleicht die Frage wichtiger, welche Konsequenzen es für den Einzelnen hätte, wenn er von einem Außenstehenden falsch typisiert würde. Für Zuercher ist „Erkenntnis […] schon Wandel.“370 Einen Schritt weiter geht Bartels, indem er an die Zweckmäßigkeit der Erkenntnis mahnt. „Das Enneagramm nicht gesetzlich, sondern heuristisch zu gebrauchen, würde auch bedeuten, dass die Einordnung eines Menschen nie Selbstzweck sein darf, sondern immer nur der berühmte ‚erste Schritt zur Besserung’“371 ist. „Der Wandlungsprozess von der Fixierung hin bis zu Integration und Versöhnung beginnt paradoxerweise mit der Diagnose, das heißt, mit dem Innehalten und mit der nüchternen Wahrnehmung des eigenen Lebensskripts und des automatisierten Verhaltensmusters.“372 Das macht die Typisierung zu einem zentralen Punkt in der Arbeit mit dem Enneagramm. Durch die Typisierung werden die typologischen Beschreibungen von lebendigen Menschen wahrgenommen und repräsentiert. Es geht nicht mehr um eine Verallgemeinerung, sondern um einzelne, individuelle Personengeschichten. Daher ist nach Palmer das Typisieren keine so einfache Angelegenheit, weil „Menschen […] sehr viel beweglicher und komplexer als alles [sind], was durch eine Liste von Charakterzügen beschrieben werden könnte.“373 Trotzdem ist die Identifikation mit den Charakterzügen maßgebend für die Arbeit mit dem Enneagramm. Im Interview bemerkt Martha, wie es ihr deutlich wurde, dass – solange das „richtige“ Enneagramm-Muster nicht festgestellt wird – kaum mit der Arbeit an sich angefangen werden könne. Für Martha war das Herausfinden ihres Enneagramm-Musters damit verbunden, dass sie sich darin gut gefühlt habe (auch wenn dieser Prozess schwierig gewesen sei), d.h., dass sie sich mit den Beschreibungen besser habe identifizieren können.374 Andererseits gibt es auch Menschen, die sich mit ihrem Muster sicher sind, obwohl es sein könnte, dass es nicht stimmt. So bemerkt Naranjo, dass er bei vielen Leuten nicht einverstanden sei, wenn sie ihm sagten, dass man sie für ein bestimmtes Muster typisiert habe.375 Es wird weiter gezeigt, dass wegen solcher Fälle kritisch mit dem Typisieren umgegangen werden sollte und nicht nur sich selbst gegenüber, sondern das ganze Typisierungssystem in Frage gestellt werden dürfe.

       2.4.1. Typisierungsverfahren: Fragebogen/Typisierungsinterview

      Meiner Ansicht nach wäre für die Typisierungsverfahren der Vorschlag von Rohr und Ebert für eine zusammenfassende Aussage über die Typisierung zutreffend. So schreiben Rohr und Ebert:

      Um dem eigenen Muster auf die Spur zu kommen, ist jedenfalls zunächst die Selbsteinschätzung durch nichts zu ersetzen. Danach kann man sich mit Menschen austauschen, die einem nahe stehen und einen gut kennen. Als dritte Priorität wäre der Austausch mit einer Person zu nennen, die das Enneagramm gut kennt. Erst dann wäre ein Kontrolltest sinnvoll.376

      Mit dem Titel „Discovering Your True Ennea-Typ“ beschreibt Barbara Garro, wie sie sich habe anstrengen müssen, um auf ihr richtiges Enneagamm-Muster zu gelangen. Auf diesem langwierigen Weg habe sie mehrere Autoren gelesen, mit einigen Autoren selbst gesprochen und an Enneagramm-Seminaren teilgenommen, wo sie die Gelegenheit hatte, andere Menschen kennen zu lernen, die bei den Panelgesprächen über sich sprachen. Dazu füllte sie drei publizierte Enneagramm-Fragebögen aus. Nach all dem konnte sie ihr Muster durch ein Gespräch mit einer ihr nahestehenden Person bestätigen.377 Mit dem Beispiel von Garros „Weg“ wird jetzt auf einige Praktiken der Typisierung eingegangen, vorwiegend auf Fragebögen und Typisierungsinterviews.

      Auf die einzelnen Fragebögen wird in dieser Arbeit nicht eingegangen. Mein Anliegen ist es nun, die Tücken, die mit den Fragebögen einhergehen, zu beschreiben und auf sie aufmerksam zu machen.

      Bei Rohr und Ebert gelten die Fragebögen als Kontrolltest, d.h., sie dienen der Überprüfung der bis dahin herausgestellten Muster. In einer Diskussion im „Enneagram Monthly“ bemerkt Ed Jacobs, dass Menschen, die ihr Muster schon kennen, mit den Fragebögen so umgehen, dass sie die Antworten basierend auf dem Vorwissen ihres Musters auswählen.378 Sogar wenn die Werte der Fragebögen wissenschaftliche Daten liefern, spielt die Objektivität bei der Beantwortung der Fragen eine maßgebende Rolle.

      Es kann auch vorgeschlagen werden – so wie es Mona Coates in der zuvor erwähnten Diskussion tut –, dass es sinnvoller wäre, die Bögen nicht als Kontrolltest, sondern als „Primär-Test“ für diejenigen zu verwenden, die sich zum ersten Mal mit dem Enneagramm beschäftigen. Hier liegt das Problem darin, dass – obwohl die Werte nach Punktzahlen Informationen über die möglichen Muster liefern – die Motivationen aber nicht berücksichtigt werden. So kritisieren Metz und Burchill, dass bei einem solchen Zugang die Werte immer zumindest begrenzt seien, da diese Fragen statt der Motivation das Verhalten beträfen.379 Nach Schulz „spiegeln [die Fragebögen] in der Regel nur den gegenwärtigen Stand und differenzieren nicht zwischen Hinweisen auf das Grundmuster und den Wunschvorstellungen bzw. Projektionen.“380 Daher schlagen Metz und Burchill vor, dass die Fragen in den Bögen nicht neutral bleiben dürfen, sondern so gestellt werden sollten, dass sie über die Motivation von bestimmtem Verhalten Bescheid wissen wollen.381 Ansonsten basieren sie lediglich auf der oberflächlichen Beschäftigung mit Verhaltensmustern. Nur wenn dies vermieden wird, kann differenzierter mit den einzelnen Themen umgegangen werden.

      Schulz behauptet, dass die von Palmer entwickelte systematische Interviewtechnik (Typisierungsinterview) viel genauer sei, wenn es darum geht, das richtige Muster herauszufinden. Allerdings bringt Schulz seine Bemerkung in Bezug auf die Interviewtechnik den Aspekt des professionellen Trainings und der Selbsterkenntnis hinzu. Nach ihm sind diese voneinander nicht zu trennen. Unter „Supervision“ werden die Techniken des Typisierens vermittelt. Dabei wird die Selbsterkenntnis an vorderste Stelle gesetzt. Nur wenn man den „inneren Beobachter“ für die Selbsterkenntnis einsetzen könne, dürfe man sich zutrauen, anderen bei der Typisierung zu helfen.382 Nach Naranjo kann das auch bedeuten, dass man nicht mehr auf die Musterbeschreibungen, die zum Teil irreführend seien und beliebig interpretiert werden könnten, angewiesen sei, wie man es für nötig halte, sondern man auf eine tiefere Menschenkenntnis zurückgreife. Man lernt, durch andere zu sehen, aber unter der Voraussetzung, dass man sich selber durchschaut hat. Das Typisieren bleibt somit nicht beim methodischen Vorgang, sondern geht weiter zu ‚sich in den Anderen hineinversetzen‘ und ‚auf einer tieferen persönlichen Ebene verstehen lernen‘.383 Somit betonen auch Schulz und Naranjo, dass viel Wert auf die Kunst des Typisierens gelegt werden sollte

      Ein anderer Aspekt, der bei der Typisierung betont werden sollte, ist der des Austausches. Im vorigen Zitat von Rohr und Ebert und schließlich bei Garro wird gezeigt, wie hilfreich es sein kann, wenn man mit nahestehenden Menschen ins Gespräch kommt und über das eigene Muster spricht. Coates schlägt sogar vor, dass man als Alternative im Umgang mit Fragebögen so vorgehen könne, dass Personen, die einem nahestehen, die Fragebögen ausfüllen und die Werte gemeinsam auswerten könnten.384 Dadurch, dass andere die Antworten, gewinnt die Übung einen höheren Grad an Objektivität. Einen anderen Menschen über sich sprechen zu lassen, ist zudem ein Zeichen von Vertrauen und Offenheit. Ein Beispiel hierfür ist das von Herrn Schulte. Er berichtet, dass – um sicherzustellen, dass er das richtige Muster gefunden habe – er andere Personen gefragt habe, wie sie ihn sähen und erlebten. Nach Herrn Schulte sei er positiv überrascht gewesen, dass andere ihn tatsächlich so sähen, wie es zum Teil in den Beschreibungen stehe. Für ihn war dieser Schritt hilfreich, nicht nur weil er sich mit dem herausgefundenen Muster wohlgefühlt und sich damit identifiziert habe, sondern weil er merkte, dass Andere ihn wahrnähmen, so wie er sei, und die Schwierigkeiten, die er im Leben hatte, zum Teil nachvollziehen konnten.385 Die Übung hat nicht