2.4.1. Typisierungsverfahren: Fragebogen/Typisierungsinterview
Meiner Ansicht nach wäre für die Typisierungsverfahren der Vorschlag von Rohr und Ebert für eine zusammenfassende Aussage über die Typisierung zutreffend. So schreiben Rohr und Ebert:
Um dem eigenen Muster auf die Spur zu kommen, ist jedenfalls zunächst die Selbsteinschätzung durch nichts zu ersetzen. Danach kann man sich mit Menschen austauschen, die einem nahe stehen und einen gut kennen. Als dritte Priorität wäre der Austausch mit einer Person zu nennen, die das Enneagramm gut kennt. Erst dann wäre ein Kontrolltest sinnvoll.376
Mit dem Titel „Discovering Your True Ennea-Typ“ beschreibt Barbara Garro, wie sie sich habe anstrengen müssen, um auf ihr richtiges Enneagamm-Muster zu gelangen. Auf diesem langwierigen Weg habe sie mehrere Autoren gelesen, mit einigen Autoren selbst gesprochen und an Enneagramm-Seminaren teilgenommen, wo sie die Gelegenheit hatte, andere Menschen kennen zu lernen, die bei den Panelgesprächen über sich sprachen. Dazu füllte sie drei publizierte Enneagramm-Fragebögen aus. Nach all dem konnte sie ihr Muster durch ein Gespräch mit einer ihr nahestehenden Person bestätigen.377 Mit dem Beispiel von Garros „Weg“ wird jetzt auf einige Praktiken der Typisierung eingegangen, vorwiegend auf Fragebögen und Typisierungsinterviews.
Auf die einzelnen Fragebögen wird in dieser Arbeit nicht eingegangen. Mein Anliegen ist es nun, die Tücken, die mit den Fragebögen einhergehen, zu beschreiben und auf sie aufmerksam zu machen.
Bei Rohr und Ebert gelten die Fragebögen als Kontrolltest, d.h., sie dienen der Überprüfung der bis dahin herausgestellten Muster. In einer Diskussion im „Enneagram Monthly“ bemerkt Ed Jacobs, dass Menschen, die ihr Muster schon kennen, mit den Fragebögen so umgehen, dass sie die Antworten basierend auf dem Vorwissen ihres Musters auswählen.378 Sogar wenn die Werte der Fragebögen wissenschaftliche Daten liefern, spielt die Objektivität bei der Beantwortung der Fragen eine maßgebende Rolle.
Es kann auch vorgeschlagen werden – so wie es Mona Coates in der zuvor erwähnten Diskussion tut –, dass es sinnvoller wäre, die Bögen nicht als Kontrolltest, sondern als „Primär-Test“ für diejenigen zu verwenden, die sich zum ersten Mal mit dem Enneagramm beschäftigen. Hier liegt das Problem darin, dass – obwohl die Werte nach Punktzahlen Informationen über die möglichen Muster liefern – die Motivationen aber nicht berücksichtigt werden. So kritisieren Metz und Burchill, dass bei einem solchen Zugang die Werte immer zumindest begrenzt seien, da diese Fragen statt der Motivation das Verhalten beträfen.379 Nach Schulz „spiegeln [die Fragebögen] in der Regel nur den gegenwärtigen Stand und differenzieren nicht zwischen Hinweisen auf das Grundmuster und den Wunschvorstellungen bzw. Projektionen.“380 Daher schlagen Metz und Burchill vor, dass die Fragen in den Bögen nicht neutral bleiben dürfen, sondern so gestellt werden sollten, dass sie über die Motivation von bestimmtem Verhalten Bescheid wissen wollen.381 Ansonsten basieren sie lediglich auf der oberflächlichen Beschäftigung mit Verhaltensmustern. Nur wenn dies vermieden wird, kann differenzierter mit den einzelnen Themen umgegangen werden.
Schulz behauptet, dass die von Palmer entwickelte systematische Interviewtechnik (Typisierungsinterview) viel genauer sei, wenn es darum geht, das richtige Muster herauszufinden. Allerdings bringt Schulz seine Bemerkung in Bezug auf die Interviewtechnik den Aspekt des professionellen Trainings und der Selbsterkenntnis hinzu. Nach ihm sind diese voneinander nicht zu trennen. Unter „Supervision“ werden die Techniken des Typisierens vermittelt. Dabei wird die Selbsterkenntnis an vorderste Stelle gesetzt. Nur wenn man den „inneren Beobachter“ für die Selbsterkenntnis einsetzen könne, dürfe man sich zutrauen, anderen bei der Typisierung zu helfen.382 Nach Naranjo kann das auch bedeuten, dass man nicht mehr auf die Musterbeschreibungen, die zum Teil irreführend seien und beliebig interpretiert werden könnten, angewiesen sei, wie man es für nötig halte, sondern man auf eine tiefere Menschenkenntnis zurückgreife. Man lernt, durch andere zu sehen, aber unter der Voraussetzung, dass man sich selber durchschaut hat. Das Typisieren bleibt somit nicht beim methodischen Vorgang, sondern geht weiter zu ‚sich in den Anderen hineinversetzen‘ und ‚auf einer tieferen persönlichen Ebene verstehen lernen‘.383 Somit betonen auch Schulz und Naranjo, dass viel Wert auf die Kunst des Typisierens gelegt werden sollte
Ein anderer Aspekt, der bei der Typisierung betont werden sollte, ist der des Austausches. Im vorigen Zitat von Rohr und Ebert und schließlich bei Garro wird gezeigt, wie hilfreich es sein kann, wenn man mit nahestehenden Menschen ins Gespräch kommt und über das eigene Muster spricht. Coates schlägt sogar vor, dass man als Alternative im Umgang mit Fragebögen so vorgehen könne, dass Personen, die einem nahestehen, die Fragebögen ausfüllen und die Werte gemeinsam auswerten könnten.384 Dadurch, dass andere die Antworten, gewinnt die Übung einen höheren Grad an Objektivität. Einen anderen Menschen über sich sprechen zu lassen, ist zudem ein Zeichen von Vertrauen und Offenheit. Ein Beispiel hierfür ist das von Herrn Schulte. Er berichtet, dass – um sicherzustellen, dass er das richtige Muster gefunden habe – er andere Personen gefragt habe, wie sie ihn sähen und erlebten. Nach Herrn Schulte sei er positiv überrascht gewesen, dass andere ihn tatsächlich so sähen, wie es zum Teil in den Beschreibungen stehe. Für ihn war dieser Schritt hilfreich, nicht nur weil er sich mit dem herausgefundenen Muster wohlgefühlt und sich damit identifiziert habe, sondern weil er merkte, dass Andere ihn wahrnähmen, so wie er sei, und die Schwierigkeiten, die er im Leben hatte, zum Teil nachvollziehen konnten.385 Die Übung hat nicht