1 H. J. Höhn, Herder Korrespondenz 4/2011; S. 180.
2 Einen ersten Einblick, wie es anders sein könnte, gibt R. Bucher im Herder Korrespondenz Spezial „Pastoral im Umbau“, April 2011, 6 ff.
4. Gefeierter Glaube, gegebenes Zeugnis, tätige Nächstenliebe, praktizierte Gemeinschaft: Wovon die Kirche lebt
Von Andreas Unfried
In der Pastoraltheologie ist es üblich, von drei bzw. vier Wesensvollzügen von Kirche zu sprechen: Liturgia (gefeierter Glaube), Martyria (gegebenes Zeugnis) und Diakonia (tätige Nächstenliebe) heißen die griechischen Fachbegriffe. Je nach pastoraltheologischer Schule wird die Koinonia (praktizierte Gemeinschaft) als viertes hinzugezählt oder als eine verbindende Kraft in den drei anderen Dimensionen verstanden. Um diese Wesensvollzüge für den Aufbau von Gemeinde wirklich nutzbar machen zu können, ist aber eine zusätzliche Betrachtung nötig: Für jeden dieser Grundvollzüge gilt, dass er eine Bedeutung „nach innen“ (für die Gemeinde selbst) und eine „nach außen“ (in die Gesellschaft hinein) hat. Martyria nach innen verwirklicht sich zum Beispiel in der Erstkommunionvorbereitung oder im Firmkurs. Zweifellos wird hier der christliche Glaube bezeugt – und zwar gegenüber den eigenen Kindern oder Enkeln. Es sind ja in der Regel nach wie vor die Kinder von Katholiken, die auf Wunsch ihrer Eltern getauft werden und dann im 3. Schuljahr auf die Erstkommunion vorbereitet werden wollen bzw. meist im Lebensalter um den 16. Geburtstag herum eingeladen werden, sich firmen zu lassen. Damit ist das Feld der Martyria aber noch nicht zureichend umschrieben. Wenn Kirche sich bemüht, bei einem Volksfest einen Stand zu übernehmen, wenn sie versucht, mit einer öffentlichkeitswirksamen Aktion zum Schutz des Sonntags die gesellschaftliche Diskussion zu beeinflussen, oder wenn sie in der Adventszeit im Einkaufszentrum für das Festgeheimnis von Weihnachten eintritt, indem man dort Adventslieder singt und Segensgrüße verteilt, dann ist das zweifellos ebenfalls ein gelebtes christliches Zeugnis, wenngleich zumeist von gänzlich anderer Art.
Auf diese Weise lassen sich alle vier kirchlichen Wesensvollzüge ausdifferenzieren. Man erhält auf diese Weise ein gewisses Anforderungsprofil, was Kirche leisten soll, ja muss, wenn sie dem Anspruch gerecht werden will, ihr Wesen nicht nur in Teilaspekten, sondern möglichst in Gänze darzubieten. Man könnte das im Einzelnen so beschreiben:
Das Problem eines solchen Anforderungsprofils ist nun allerdings, dass die meisten Pfarrgemeinden heutigen Zuschnitts ihm nicht (oder nicht mehr) gerecht werden dürften. Dies könnte zumindest nahelegen, dass der theologische Anspruch der Pfarrei, das Ganze der Kirche auf lokaler Ebene zu verwirklichen, unter den heutigen Bedingungen nicht mehr in den bisherigen Pfarreigrenzen realisiert werden kann. In der uns gewohnten Sicht der Dinge tragen wir dem ja auch bereits Rechnung und antworten darauf mit der verstärkten Kooperation zwischen den Pfarrgemeinden. Wo der Firmkurs von einer Pfarrgemeinde nicht mehr getragen werden kann, da erleben wir, dass die Kooperation im Pastoralen Raum, in der Pfarreiengemeinschaft (oder wie die Terminologie in den einzelnen Diözesen auch lauten mag) durchaus befriedigende Ergebnisse liefert. Dennoch: Es ist etwas anderes, ob ich eine solche Kooperation gleichsam als Notlösung betrachte gegenüber einem leider gegenwärtig nicht zu erreichenden Ideal der Selbständigkeit oder ob ich, ausgehend von der größer gedachten Pfarrei, ganz selbstverständlich davon ausgehen kann, dass nicht in jeder Teilgemeinde dieser Pfarrei das Ganze des kirchlichen Lebens repräsentiert sein kann oder braucht.
Statt also ein Ideal von Gemeinde zu formulieren und anschließend Entschuldigungen zu suchen, warum dieses Ideal gegenwärtig nur unvollkommen erreicht werden kann, auf dass die Lahmen und Blinden sich der Not gehorchend zusammentun müssen und sich gegenseitig in ihren Schwächen stützen und einander an ihren Stärken teilhaben lassen, schlage ich doch sehr entschieden vor, gleich von vornherein von der größer verstandenen Einheit her zu denken. Die Gemeinde vor Ort ist dann nicht defizitär, weil es von ihr gar nicht erst erwartet werden kann, dass sie alles kann. Das ist alles andere als bloß eine Umetikettierung, nach der sich in den neuen Flaschen immer noch der alte Wein verbirgt. Es geht vielmehr darum zu erkennen, dass unsere gegenwärtigen Gemeinden keineswegs zuallererst schwach und defizitär sind. Im Gegenteil: Sie dürfen sich als Teil des Ganzen selbstbewusst als unverzichtbar erkennen, weil die neue Pfarrei aus ihnen lebt und ohne sie nicht leben könnte.
Darum sprechen wir in unseren Diskussionen von der neuen Pfarrei als von einer „Pfarrei neuen Typs“. Sie ist etwas anderes als eine räumlich und von der Katholikenzahl her größer gedachte Pfarrgemeinde klassischer Vorstellung. So gibt es in der „Pfarrei neuen Typs“ nicht per se den einen Gottesdienst, in dem sich alle Gemeindemitglieder als Gemeinschaft erfahren können, wie es Weihnachten, Ostern, Fronleichnam oder ein Gottesdienst zum Pfarrfest für uns gute Gewohnheit gewesen sind. In der „Pfarrei neuen Typs“ gibt es für einen solchen Gottesdienst in der Regel überhaupt keinen geeigneten Kirchenraum. Es wird auch keinen Sinn machen, ein Dankeschönfest für Ehrenamtliche auf Ebene der neuen Pfarrei zu feiern. Schon an praktischen Fragen (Größe des Gemeindesaals) würde man wahrscheinlich scheitern. Die neue Pfarrei wird und muss also aus und in den Gemeinden leben. Dort wird entscheidend der Ort sein, wo man Nähe und Beheimatung erfährt – oder eben auch nicht. Die Pfarrei als solche wird nur für die wenigsten die emotionale Heimat werden. Ihre Bedeutung besteht darin, den Gemeinden einen stabilen theologischen und organisatorischen Rahmen zu bieten und dafür zu sorgen, dass Kommunikation und Miteinander gelingen können.
Damit ist aber auch bereits die Spur gelegt, durch wen künftig die Dimension der Nähe in der Kirche erfahrbar werden soll: Es wird nicht in erster Linie der Pfarrer sein können und nur sehr eingeschränkt die hauptamtlichen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nähe wird erfahrbar werden, wo die Gemeindemitglieder selbst zu Subjekten der Seelsorge werden. Das bedeutet natürlich, dass das gemeindliche Leben an vielen Stellen anders aufgebaut sein muss als heute gewohnt. Ein Kommunionkurs, der von Ehrenamtlichen selbst getragen werden können soll, muss so gestaltet sein, dass man dafür nicht wöchentlich zu Büroöffnungszeiten im Pfarrbüro präsent sein muss, weil die organisatorischen Anforderungen so hoch sind, dass sie einen ehrenamtlich Tätigen völlig überfordern. Auch müssen die pädagogischen und theologischen Anforderungen an die Katechetinnen und Katecheten an deren Kompetenzen und Möglichkeiten angepasst sein.
Vieles muss wahrscheinlich einfacher gestaltet werden. „Niveauverlust!“ rümpfen jetzt vielleicht manche die Nase. Aber mit Blick auf die absehbare Entwicklung beim Priesternachwuchs wie bei den übrigen Seelsorgsberufen kann man nur dagegenhalten: Wer nicht will, dass in zehn Jahren gar keine Erstkommunionvorbereitung in den Gemeinden stattfinden kann, der arbeite tunlichst in der nächsten Dekade daran, wie ein entsprechendes katechetisches Niveau in den Gemeinden aufgebaut werden kann. Im Bild gesprochen: Priestern wie hauptamtlichen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommt künftig weniger die Rolle des Spielers als die des Trainers (mindestens des Spielertrainers) zu. Sie müssen weniger selber agieren, als zunehmend andere zum Agieren befähigen und sie in ihrer Arbeit begleiten.
5. Die Eine, Heilige, Katholische und Apostolische Kirche: Was Kirche ist
Von Andreas Unfried
Neben der pastoraltheologischen Sicht auf Kirche und Gemeinde gibt es von alters her jenes Verständnis von Kirche, wie es sich im Glaubensbekenntnis ausdrückt: Ich glaube die „eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“. Auch aus diesem Verständnis können für den Aufbau von „Pfarreien neuen Typs“ wertvolle Einsichten gewonnen werden. Darum soll hier wenigstens kurz diese Perspektive eingebracht werden.
Die Kirche ist die „eine“ – und damit jede Form von Kirchenspaltung eine offene Wunde am Leib der Kirche. Sie ist als die eine aber auch nicht verstehbar als das Projekt einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe oder Schicht. Als die eine Kirche darf sie sich