Danke Lena. Patrick Reichelt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Patrick Reichelt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783767911420
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werden, beim Liegendschießen dienten Sandsäcke der Bundeswehr als Auflage für den Arm, und die Entfernung zum Ziel betrug auch nur zehn Meter und keine fünfzig. Sechs Kinder hatte Anneliese Holzer schließlich zusammen, die Magdalena, dann den Albert Neuner, mit dem sie ja auch verwandt ist, und noch vier andere aus der entfernten Familie, aus dem Bekanntenkreis.

      Man könnte annehmen, dass bei neunjährigen Kindern in einem Schnupperkurs noch nicht unbedingt zu erkennen ist, ob hier ein enormes Potenzial vorhanden sei. Anneliese Holzer aber sagt: »Das Talent und der Ehrgeiz waren bei der Magdalena unglaublich. Es war deutlich zu sehen, dass daraus was werden könnte. Die Art, wie die auf dem Ski gestanden und gelaufen ist, da hast du gemeint, die hat in ihrem Leben noch nie etwas anderes gemacht. Als ob ihr der Ski angewachsen wäre.«

      Es ging ja eher spielerisch zu am Anfang, es gab Erklärungen, wie die Technik im Laufen zu verbessern sei, beim Pensum aber gab es natürlich auch klare Ansagen. »Die Lena hat das alles umgesetzt, sie hat nie widersprochen«, sagt Holzer, »sie wollte das auch, sie wollte sich richtig schinden. Und wenn du ihr gesagt hast, dass sie jetzt bitte sechs Runden laufen soll, dann hat sie nie gemotzt und gefragt, ob es nicht auch fünf täten.« Eher lief sie stattdessen sieben Runden.

      Drei Jahre lang war Magdalena Neuner bei ihrer Cousine im Training, dann lernte sie Bernhard Kröll kennen. Bernhard Kröll war damals ein junger Bursch, 22, mit 25 wurde er schließlich hauptamtlicher Biathlon-Trainer im Skigau. Damals war es noch ehrenamtlich, er betreute die Schüler ab zwölf Jahren, für den Aufwand gab es 176 Mark Benzingeld pro Monat.

      1999 kam Magdalena dann also in Krölls Trainingsgruppe, Vetter Albert auch, in Albert sah Anneliese Holzer ein ebenso großes Talent wie in Magdalena, und als sie die beiden an Bernhard Kröll übergab, gab sie ihm mit auf den Weg: »Bernhard, wenn Du aus den beiden nix machst, dann können wir das vergessen. Wenn aus der Lena und dem Albert im Biathlon nix wird, dann kommt bei uns nie was raus.« Albert Neuner sagt heute, er selbst habe auch lange auf eine große Karriere gehofft, sah auch lange gut aus. Erfolge bei den Schüler- und Jugendrennen, in Bayern lief er die Konkurrenz in Grund und Boden, aber die Probleme beim Schießen wurde er nie richtig los.

      Er schaffte es bei der Zoll-Sportfördergruppe in den B-Kader, startete im Europacup, wurde da einmal Fünfter, zu mehr reichte es nicht, immer ein, zwei Schießfehler zu viel. »Irgendwann musste ich einsehen, dass es keinen Sinn mehr macht im Biathlon, darum habe ich es dann sein lassen.« Mit 20, als die Magdalena gerade dreifache Weltmeisterin wurde. Albert Neuner blieb nach dem Ausscheiden aus der Sportfördergruppe bei seinem Arbeitgeber, er wurde Zollsekretär im Mittleren Dienst für Kontrollen auf Baustellen, in Gaststätten, bei Reinigungskräften, kurz, er macht Jagd auf Schwarzarbeiter. Ohne Gewehr.

      Mit AC/DC nach Oberhof

      Bei Bernhard Kröll kämpften Albert und Magdalena Neuner anfangs noch miteinander und gegeneinander, »Die Lena«, sagt Albert, »ist immer bei uns Buben mitgelaufen, wir haben uns schon zusammenreißen müssen, dass wir mitkommen mit ihr. Und wenn wir keinen ganz guten Tag gehabt haben, dann hat sie uns auch geputzt.« Von einem Mädchen geschlagen zu werden, für Buben in der Pubertät eher eine Demütigung, doch an Ärger deswegen kann sich Albert Neuner nicht erinnern, eher an die lustigen Ausflüge zu den Wettkämpfen, die hin und wieder weit weg waren und manchmal auch sehr weit weg. »Wenn wir fünf, sechs Stunden nach Oberhof gefahren sind«, sagt der Cousin, »da hatten wir die höchste Gaudi.« Herumgeblödelt hätten sie viel und natürlich auch viel Walkman gehört, da dann doch andere Musik als daheim im Trachtenverein oder bei der Heimatkapelle. Eher was Härteres. AC/DC und so.

      Hart war es für Bernhard Kröll in seiner Trainerlaufbahn, viele Talente wegbrechen zu sehen. Kommt oft vor, wenn aus Kindern Jugendliche werden, wenn der spielerische Elan in der Pubertät einer dumpfen Lethargie weicht, wenn die Mädchen mehr mit den eigenen Hormonen kämpfen als mit den Konkurrentinnen im Biathlon, wenn es eh angesagter ist, abzuchillen statt auszupowern. Auch bei Magdalena hatte Kröll diese Sorge, glücklicherweise jedoch unberechtigt. »Diese Situation, dass ein junger Sportler sehr gut und vielversprechend ist und dann ein Knackpunkt kommt, das war bei der Lena zum Glück nicht.« Kontinuierlich sei sie ihren Weg gegangen, ohne Schwankung im so schwierigen frühen Teenager-Alter, wo die Athleten, wenn sie weitermachen wollen, danach wieder fast von vorne anfangen müssen oder es eben gleich bleiben lassen. Nein, Magdalena war anders, für Kröll war sie ein Traum.

      »Sie war sehr leicht zu trainieren«, sagt er, »sie hat alles gut umgesetzt. Sie war lernbegierig, sie hat durchaus auch die Anweisungen hinterfragt, weil sie wissen wollte, warum etwas wie gemacht wird, aber dagegen aufgemuckt hat sie nie.« Weil sie eben Träume hatte und klare Ziele, klare Vorstellungen. Schon mit 13 Jahren sagte sie zu Kröll, dass sie nach dem Realschulabschluss in die Fördergruppe des Zoll-Sports wolle, als Basis für die weiteren Schritte, hin zur Weltmeisterin und zur Olympiasiegerin.

      Diesen Traum hatte sie immer, und auch wenn sie zum Schluss ihrer Karriere meinte, sie habe nie richtig berühmt werden wollen, ein bisschen dachte sie natürlich schon daran, wie sie einmal zugab. »Ich wollte als Jugendliche eines dieser schönen roten Autos, das es vom Hauptsponsor immer gibt«, sagte sie, »und ich stellte mir vor, Autogrammkarten von mir zu verteilen.« Damit sollte es noch dauern, ins Fernsehen kam Magdalena Neuner aber schon recht bald.

      Als 13-Jährige im ZDF. Im Kinderprogramm Tivi.

      Fernseh-Premiere mit Zahnspange

      Da gab es nämlich einmal einen Bericht über Biathlon, ein kurzer Bericht, keine zwei Minuten. Das war im März des Jahres 2000, zu sehen war ein Rennen beim deutschen Schülercup in der Altersklasse S13. Es gab eine kurze Einführung in die Sportart, weshalb die Reporterin erklärte: »Gute Chancen beim Biathlon zu siegen hat, wer schnell langlaufen kann und gut schießen. So wie Magdalena Neuner.« Man sah ein junges Mädchen mit einer dicken Mütze auf dem Kopf und einer Zahnspange im Mund, und dann sagte diese Magdalena Neuner: »Ja, das Schießen und das Laufen macht einfach voll Spaß, ich könnte einfach nicht mehr aufhören damit.« Und weil es der Tag der Entscheidung war, das finale Rennen der Saison, hoffte sie noch vor dem Start: »Ja, hoffentlich schmeißt’s mich nicht.« Tat es nicht, und als die Reporterin noch wissen wollte, welche Körperpartien denn am meisten beansprucht würden, sagte sie klug und schlagfertig: »Eigentlich das Gehirn. Weil beim Schießen, da muss man sich schon konzentrieren.«

      An jenem Tag klappte das so halbwegs, zwei Fehler von zehn Versuchen, am Ende reichte der sechste Platz aber immerhin zum Sieg in der Cup-Gesamtwertung, und bei der Abmoderation meinte die Sprecherin: »Vielleicht erfüllt sich ja ihr Traum, irgendwann mal in der Nationalmannschaft zu laufen und zu siegen.« Tat er.

      So wie damals bereits Martina Glagow, die heute Beck heißt. Acht Jahre älter war sie, und in der Jugend das große Vorbild der kleinen Magdalena, schon bald hatte sie auch so ein rotes Sponsoren-Auto, von dem die kleine Neuner träumte. Als Magdalena gerade bei ihrer Cousine Anneliese ins Biathlon hineingeschnuppert hatte, feierte Glagow ihre ersten großen Erfolge, wurde sie zwischen 1997 und 1999 viermal Junioren-Weltmeisterin. Daheim in Mittenwald hatte es schon Tradition, dass es für Glagow dafür einen großen Empfang gab, aber es war auch üblich, dass sie selbst nach ihren Erfolgen für einen Nachmittag den Biathlon-Nachwuchs zu sich nach Hause einlud und Kuchen und Kakao spendierte. Magdalena war da immer dabei.

      Sie trafen sich auch oft am Olympiastützpunkt, beim Training in Kaltenbrunn an der B2 Richtung Garmisch, und auch da fiel Martina Glagow die junge Neuner bereits auf. »Zum einen wegen ihres lang geflochtenen Pferdeschwanzes«, sagt sie, »zum anderen wegen ihres Laufstils. Die Lena hatte schon immer eine verdammt schöne Technik, wie man sie in so einem Alter ganz selten sieht.«

      Zu sehen war ihre Lauftechnik auch in dem erwähnten TV-Bericht, und der Stil sah schon da genauso aus wie später auch, als sie groß war. Elegant, leicht, effektiv. Noch nicht abzusehen war, dass genau zehn Jahre nach dem Fernsehbeitrag Martina Glagow vor Dankbarkeit in Tränen ausbrechen sollte, weil Neuner ihr zuliebe auf einen Einsatz bei der Olympia-Staffel verzichtete.

      Erst einmal kämpfte