Erst die Katastrophe des Ersten Weltkriegs dämpfte die Fortschrittseuphorie. Die Bevölkerung wurde gewahr, dass die Wissenschaften und insbesondere die Technik zerstörerische Seiten haben. Ab den 1920er-Jahren verlor die Wissenschaftspopularisierung ihre Stellung, die sie seit dem 18. Jahrhundert genossen hatte. Das Wissenschaftssystem bildete ein negatives Bild der Öffentlichkeit aus: Diese sei unwissend und wissenschaftlich ungebildet, die Bürgerinnen und Bürger ohnehin desinteressiert. Die Wissenschaftler sprachen der massendemokratischen Öffentlichkeit die Fähigkeit ab, wissenschaftliche Erkenntnisse zu verstehen. Die Popularisierung der Wissenschaft wurde «von Seiten der Wissenschaftler nurmehr als überflüssig und störend angesehen sowie inhaltlich als ‹Verunreinigung›», schreibt Weingart.19 Ein Wissenschaftler, der sich in die Niederungen der Popularisierung begab, der also einem Laienpublikum in einfachen Worten zu erklären versuchte, was er im Labor tat, schadete seinem Ruf. Die Kollegen belächelten und verachteten ihn. Wer in einem Massenmedium publizierte, galt bald schon als «Simplifizierer», der die komplexe Forschungsarbeit scheue. Wer Wissenschaft popularisiere, hiess es, habe den Anspruch aufgegeben, an der Forschungsfront zu wirken.
Der Niedergang der Wissenschaftspopularisierung in der Zwischenkriegszeit fiel mit dem Aufstieg der kommerziellen Massenmedien zusammen. Nun versuchten auflagenstarke Zeitungen, die Aufmerksamkeit des Massenpublikums mit neuen Nachrichten zu gewinnen. In ihrem redaktionellen Angebot deckten die Naturwissenschaften nur mehr einen kleinen Teil ab – und keinesfalls den wichtigsten. Sie wurden zunehmend vom sich formierenden Wissenschaftsjournalismus beackert. Dieser konzentrierte sich indes in der Logik der Massenmedien auf die Wissenschaften: «Die Wissenschaft [wurde] zur Nachricht», so Weingart.20 Diese Nachricht wurde in dramatisierter Form an die Konsumentinnen und Konsumenten verkauft. Die Wissenschaften hatten für die Medien nur dann einen Wert, wenn sie eine Neuigkeit, wenn sie «News» waren. Sie verschwanden mit dem Ende der Wissenschaftspopularisierung und dem Aufstieg der kommerzialisierten Massenmedien aus der Öffentlichkeit. Die Wissenschaften wurden dem Publikum so fremd, wie sie ihm wohl nie gewesen waren seit ihrer Entstehung im 17. Jahrhundert. Viele Wissenschaftler begaben sich ins Exil des berüchtigten «Elfenbeinturms».
Nicht von ungefähr wurde der alte Begriff um die Mitte des 20. Jahrhunderts populär: Er diente primär einer Wissenschafts- und Universitätskritik, die «irrelevante» akademische Theorien und Praktiken identifizierte. Der Verband Deutscher Studentenschaften stellte 1960 seine Versammlung unter das Motto «Abschied vom Elfenbeinturm»: Das Ziel war die Öffnung der elitären Universitäten für die Gesellschaft. Dagegen versuchen Geisteswissenschaftler bis heute, den Begriff positiv umzudeuten, um die Universität vor Ökonomisierung und Pragmatisierung zu bewahren. Nur wer in Ruhe und entlastet von ökonomischem Druck und alltäglicher Handlungsroutine nachdenken könne, gewinne wertvolle Erkenntnisse.
PUBLIC UNDERSTANDING OF SCIENCE
In den 1970er-Jahren schreckten nicht nur aufmüpfige Studentinnen und Studenten, sondern auch zivilgesellschaftliche Bewegungen die Welt der Akademie auf. Bürgerinnen und Bürger protestierten gegen pannenanfällige Atomkraftwerke und prangerten die Verschmutzung der Umwelt an. Für beides sei die fortschrittseuphorische und technikgläubige Forschung mitverantwortlich. Plötzlich fanden sich die Wissenschaftler in einer Rolle wieder, die ihnen ganz und gar nicht behagte: der des Dr. Frankenstein, der Leben zerstört.
Die Wissenschaften und ihre Institutionen reagierten: Sie riefen die moderne Wissenschaftskommunikation ins Leben – diese entstand erst in den 1980er-Jahren. Dass sie auf die Zustimmung der Öffentlichkeit angewiesen sind, haben Schweizer Wissenschaftler allerdings schon viel früher bemerkt. Bereits ab 1922 erschien die Schweizerische Hochschulzeitung (SHZ), die – zunächst noch unter dem Namen Hochschul-Nachrichten – von der Vereinigung Schweizerischer Hochschuldozenten, dem Verband der Schweizerischen Studentenschaften und der Schweizerischen Zentralstelle für Hochschulwesen herausgegeben wurde. Zwischen 1970 und 1987 wurde die Zeitung unter weiteren Namen publiziert, zuletzt als Die Synthese.21
Ihr Chefredaktor war lange Jahre der konservative Wissenschaftshistoriker Eduard Fueter, zuletzt Dozent für internationale Forschungsorganisation an der ETH Zürich. In den 1930er- und 1940er-Jahren beschäftigte sich das Blatt beispielsweise mit der Geistigen Landesverteidigung, der militärischen Organisation und den schweizerischen Mundarten. Die SHZ war ein frühes und eigenartiges Produkt einer Wissenschaftskommunikation ohne Wissenschaftspopularisierung, das indes wissenschaftspolitisch bedeutsam war. Herausgegeben von wissenschaftlichen Gremien, wendete sich die Zeitschrift an ein Publikum, das diesen Gremien nahestand. Die ausserakademische Öffentlichkeit gehörte nicht zur Zielgruppe. Was die SHZ machte, würde heute über die Kommunikationsstellen der Wissenschaftsverwaltung und der Hochschulen abgewickelt.
Wie die Historiker Antoine Fleury und Frédéric Joye bemerken, verständigten sich in der SHZ Akademiker über die Rolle der Wissenschaften in der Schweiz. Über das Blatt wurde die Gründung des Schweizerischen Nationalfonds im Jahr 1952 vorangetrieben. Die sich engagierenden Forscher waren davon überzeugt, dass ihnen eine grosse Bedeutung in der Gesellschaft zukomme und dass «sie ihren Elfenbeinturm verlassen und sich an den Bemühungen um nationalen Zusammenhalt beteiligen mussten». Die Plädoyers gingen oft in die Richtung, dass Hochschulen, Unternehmen, Politik und Bundesbehörden sich einander annähern müssten, um Ausbildung und Forschung zu unterstützen und den akademischen Nachwuchs zu sichern – und dass die Behörden dies zu wenig täten.
Der Physiker Alexander von Muralt, der Begründer des SNF, schrieb 1946: «Das ganze Volk muss die Überzeugung haben, dass die Förderung der Wissenschaft notwendig ist und im Gesamtinteresse liegt. […] Wenn jeder Bürger, jeder Unternehmer und jeder Parlamentarier überzeugt werden kann, dass von der Förderung der Wissenschaft die Kultur unseres Landes und von dieser die wirtschaftliche Wohlfahrt abhängt, so wird auch die nötige Opferfreudigkeit sich einstellen. Es bedarf also einer Aufklärungsaktion, die aber nicht Aufgabe der Bundesbehörden sein kann, sondern die von den Hochschulen ausgehen muss.»22 Alexander von Muralt forderte Jahrzehnte vor der demokratischen Öffnung der Hochschulen nichts weniger als eine Wissenschaftskommunikation avant la lettre – eine Wissenschaftskommunikation, die auf Aufklärung, Überzeugung und Politik setzte. Zu vermuten ist, dass von Muralt, auch wenn er vom «ganzen Volk» sprach, doch eher nur die Mittelschichten und nur die Männer im Blick hatte.
Diese Art von Kommunikation wird heute etwa vom Netzwerk Future, einem Verbund von Hochschulen, Wissenschaftlern und Politikerinnen, oder von Swissuniversities betrieben, der Rektorenkonferenz der schweizerischen Hochschulen – mit dem Unterschied, dass heute Kommunikationsprofis am Werk sind, wo von Muralt das Engagement seinesgleichen vorschwebte. Man kommt nicht umhin, den ideologischen Charakter seiner Zeilen zu bemerken – ideologisch in dem Sinne, dass das Eigeninteresse der Akademiker als das Interesse aller beziehungsweise das Nationalinteresse ausgegeben wird. Denn selbst wenn man konzediert, dass die Wissenschaften eine tragende Rolle spielen: Mit welchem Recht behauptet der Professor, dass das ganze Volk überzeugt davon sein müsse, die Förderung der Wissenschaft sei notwendig? Mit gleichem Recht könnte der Landwirt behaupten, dem der Nutzen von Wissenschaft und Forschung ganz und gar nicht einleuchtet, dass die Förderung der Landwirtschaft im Interesse des ganzen Landes sei. Womit er nicht unrecht hätte.
Die 1980er-Jahre also markieren die Geburtsphase der modernen Wissenschaftskommunikation. 1985 veröffentlichte die Royal Society of London, die ehrwürdige, 1660 gegründete Akademie der Wissenschaften des Vereinigten Königreichs, den «Bodmer Report», der das aus heutiger Sicht paternalistische Konzept des «Public Understanding of Science» begründete: Der Wissenschaftler erklärt dem Laien die Welt.23 Die Motivation war in etwa die gleiche wie die von Muralts: Die Wissenschaften brauchen für ihre Existenz mehr gesellschaftlichen Support. Aber die Bedingungen hatten sich geändert. Neben der Forschungsskepsis waren – zumindest in England –