Wenn eine Wissenschaftlerin an ihrer Universität eine Vorlesung hält, ist das noch keine Wissenschaftskommunikation, sondern wissenschaftlicher Diskurs, egal wie verständlich, unverständlich oder exzellent diese Vorlesung auch sein mag. Wenn aber die Wissenschaftlerin ihre Vorlesung in einem Text verdichtet, der auf der Webseite der Kommunikationsabteilung erscheint, ist dies Wissenschaftskommunikation, weil der wissenschaftliche Diskurs den Filter der Kommunikationsabteilung passiert hat. Selbst wenn der Text in der Kommunikationsabteilung nicht verändert wurde: In den Augen des Wissenschaftssystems hat er an wissenschaftlicher Qualität verloren. Man rezipiert die verschriftlichte Vorlesung nicht mehr als reine Wissenschaft, da sie nun im Dienst der PR steht. Und das tut sie tatsächlich. Ein auf der Webseite der Universität publizierter Text eines Wissenschaftlers wird weder Kritik an der Universität noch an Fachkollegen enthalten, auch nicht an solchen einer anderen Schweizer Hochschule. Denkbar hingegen ist, dass eine solche Kritik im Seminar geäussert wird. Die PR schränkt die Äusserungsmöglichkeiten des Wissenschaftlers ein.
Wenn eine Professorin sich nicht an ihre Fachkollegen wendet, sondern mit einem Vortrag an ein nicht wissenschaftliches Publikum, handelt es sich nicht um Wissenschaftskommunikation, weil erstens keine Wissenschaftskommunikatorinnen und zweitens die Institution nicht involviert sind. Wenn Wissenschaftler die Öffentlichkeitsarbeit selbst übernehmen, also sich explizit an ein breites, nicht wissenschaftliches Publikum wenden, spreche ich von Wissenschaftspopularisierung. Als Beispiel ist die Kinderuniversität zu nennen: Wissenschaftler lassen sich möglicherweise von den Wissenschaftskommunikatorinnen ihrer Hochschule oder von Experten für Social Media schulen, treten aber selbst in Kontakt mit den kleinen Kundinnen. Das heisst: Der Wissenschaftler will seine Arbeit aus einem letztlich aufklärerischen Impetus unter das Volk bringen, auch wenn Eigeninteresse oder narzisstische Motive ausschlaggebend sein können. Er will sein Wissen mitteilen; welche Rolle dabei seine Institution spielt, ist ihm egal. Er will sie nicht legitimieren und denkt dabei nicht an ihren Ruf. Und er denkt wohl auch nicht an seine Fachkollegen.
Die Wissenschaftspopularisierung ist mit der Wissenschaftskommunikation und dem Wissenschaftsjournalismus verwandt. Wenn der Wissenschaftskommunikator Wissenschaft kommuniziert, popularisiert er auch, aber der Unterschied bleibt bestehen: Er berichtet über etwas, das er nicht selbst produziert hat, und er berichtet im Interesse der Institution. Die Tätigkeit der Wissenschaftsjournalistin hat auch einen kommunikativen Aspekt, aber sie ist keine PR, sondern eben: Journalismus. Und das heisst definitionsgemäss: subjektiv, investigativ, provokativ, kritisch. Historisch betrachtet geht die Wissenschaftspopularisierung dem Wissenschaftsjournalismus und der Wissenschaftskommunikation voraus. Angesichts des beeindruckenden Aufstiegs der Wissenschaftskommunikation in den letzten beiden Jahrzehnten geht oft vergessen, dass nicht sie die Erfinderin der Vermittlung akademischen Wissens an ein nicht wissenschaftliches Publikum ist. Die Wissenschaftspopularisierung existierte bereits im 18. und 19. Jahrhundert, als es noch keine Kommunikationsexperten gab.
VERGESSENE ANFÄNGE
Schon die Naturforscher des 17. Jahrhunderts wandten sich nicht nur an ihresgleichen, sondern auch an ein interessiertes Publikum. Man unterschied kaum zwischen Wissenschaftlern und Laien – die Trennung bestand noch nicht, weil es weder ein ausdifferenziertes Wissenschaftssystem noch eine eigentlich bürgerliche Öffentlichkeit gab. Die ersten Zuschauer der Demonstrationen der Wissenschaftler waren die höfische Gesellschaft und der Adel. Die Forscher suchten dieses Publikum, weil dessen Status ihren Experimenten Glaubwürdigkeit verlieh. So wohnten den Versuchen des englischen Naturforschers Robert Boyle «Gentlemen» bei, und auch «Galileis Erkenntnisse [bedurften] der Patronage des Grossherzogs der Toskana, um ‹epistemologische Würde› zu erlangen», wie der Wissenschaftssoziologe Peter Weingart schreibt.5
Im 18. Jahrhundert weitete sich das Publikum aus, zumal zahllose Amateurwissenschaftler die Bühne betraten. Öffentliche Demonstrationen von Experimenten mit Überraschungseffekten und Unterhaltungswert bezogen das Publikum mit ein: im vornehmen Salon, in der Akademie (die der Universität vorausging), im Hörsaal der Universität, im Kaffeehaus, vor der Jahrmarktsbude und zunehmend auch in den Zeitschriften. Eine bürgerliche Öffentlichkeit entstand. Sie liess sich von den Wissenschaften verblüffen und war für diese eine Garantin der Wissenschaftlichkeit. Ohne Publikum hätten die Wissenschaften keine Gewähr gehabt, dass sie valide waren. Und sie wollten ihr Publikum nicht nur belehren oder aufklären, sondern auch amüsieren und unterhalten. Diese zwei Aspekte einer wissenschaftskommunikativen Beziehung sollten bis zur Jahrtausendwende fast vollständig verschwinden.
Im 19. Jahrhundert veränderte sich das Feld der Wissenschaften: Mit neuen Akademien, Universitäten, technischen Hochschulen, Experimentierräumen und Labors entstanden spezielle Orte, an denen wissenschaftliches Wissen gelehrt und produziert wurde. Sie waren nicht für ein Publikum gedacht. Die neuen naturwissenschaftlichen Präzisionsinstrumente mussten von ihm abgeschottet werden, da seine Anwesenheit die Messresultate verfälscht hätte. Das Forschungsphänomen wurde nicht mehr unmittelbar demonstriert, sondern nachträglich mit mittelbaren Darstellungen bezeugt, insbesondere mit Texten. Auszunehmen von dieser Entwicklung sind die Geisteswissenschaften: Ihre Spezialisierung hat sie nie im gleichen Masse von der Öffentlichkeit entfernt wie die Naturwissenschaften. Viele prominente Historiker, Philosophen und Literaturwissenschaftler waren immer in Kontakt mit einer zumindest bildungsbürgerlichen Öffentlichkeit, die ihre Werke rezipierte. Insbesondere die Historiker standen Staat und Gesellschaft nahe, indem sie diese mit Nationalgeschichten versorgten.
Die Kommunikation der Wissenschaft spaltete sich laut Weingart im 19. Jahrhundert auf: Die primäre Kommunikation richtete sich via Fachjournale an die Fachkollegen und die «Scientific Community». Allmählich bildeten sich disziplinäre Fachsprachen aus. Daneben entstand die Wissenschaftspopularisierung hauptsächlich der Naturwissenschaften: der Biologie, Zoologie, Botanik, Geologie und Astronomie. Die «Popularisierer» oder «Popularisatoren», wie sie hiessen – Naturwissenschaftler, Schriftstellerinnen, zunehmend Journalisten –, wandten sich zunächst an das gebildete Bürgertum, das sich in Lesegesellschaften und Vereinen organisierte. In der Schweiz nahm die Zahl der Vereine fast explosionsartig zu, wie der Historiker Hans Ulrich Jost gezeigt hat: Sind für das Jahr 1810 etwa fünfzig Vereine bekannt, rechnet er für das Jahr 1910 mit knapp 1200.6 Wie viele davon sich mit Wissenschaften beschäftigten, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich hatte aber jeder Kanton seine eigene Naturforschende, Antiquarische oder Historische Gesellschaft und ähnliches mehr.
Man besuchte Sternwarten, botanische Gärten und Museen, man las populäre Zeitschriften und Magazine. Wissenschaftliches Wissen galt als nützlich, unterhaltsam und spannend, wobei die Aufklärung der Laien stets ein Vermittlungsmotiv blieb. Es ist paradox: Das bürgerliche Publikum, das sich für Wissenschaften interessierte, trug zu deren Verselbstständigung in einer autonomen Sphäre bei, schreibt der Historiker Andreas W. Daum.7 Doch die beiden Sphären, die wissenschaftliche und die gesellschaftliche, waren nie ganz getrennt. In den Vereinen etablierte sich zum Beispiel der populärwissenschaftliche Vortrag, der ein breites Publikum adressierte. Vorträge wurden nicht nur von enthusiastischen Amateurwissenschaftlern gehalten, sondern auch von Professoren, die für ihre Ausführungen ein Honorar erhielten. Die Ausrichtung am Publikumsgeschmack war erwünscht, wie Daum zeigt. In Hamburg etwa bat man den deutschen Physiologen Emil du Bois-Reymond, damals einer der prominentesten Wissenschaftler überhaupt, seinen Vortrag etwas zu «colorieren», worauf er ihm einen neuen Titel verlieh: «Warum müssen wir für unser tägliches Brot beten, und was versteht die Physiologie unter täglichem Brote?»8 1899 schrieb der ebenfalls