Teresa von Ávila. Elisabeth Münzebrock. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisabeth Münzebrock
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783429062231
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de Cisneros angestrebte Förderung der humanistischen Werte erste Früchte trägt. Die Universitäten erleben eine neue Blütezeit und durch eine Fülle gedruckter geistlicher und weltlicher Bücher erweitert sich der Horizont einer zunehmend gebildeteren Leserschaft. Für Teresa bedeutet dies die Möglichkeit, sich in persönlicher Lektüre weiterzubilden und eine für ihre Zeit und ihren (niederen) Adelsstand beachtliche Bildung zu erreichen.

      Kastilien öffnet sich für Europa und anfänglich setzt Karl V. alle Hoffnungen auf die geistigen Neuerungen des niederländischen Humanisten Erasmus von Rotterdam (1466–1536), der 1516 von Kardinal Cisneros persönlich nach Spanien eingeladen wird und dessen Werke (Enchiridion: Handbüchlein des Soldaten Christi; Wie man beten soll; Das Gebet des Herrn) ab 1527 ins Spanische übersetzt werden. Ab 1530 jedoch gerät jener immer mehr in das Visier der Inquisition, die ihn schließlich verfolgt und seine Werke verbietet.

      Die nobelste Aufgabe des Herrschers ist nach seinem Verständnis die Aufrechterhaltung einer universellen christlichen Monarchie zur Bewahrung der neuen Werte des Humanismus und die Erneuerung der katholischen Kirche. Karl V. sieht nach unzähligen wirtschaftlichen und politischen Krisenszenarien noch zu seinen Lebzeiten sein „Werk“ brüchig werden und zieht sich 1555/56 – nach seiner Abdankung – verbraucht und verbittert in die Einsamkeit eines Klosters in Yuste zurück.

      Nahtlos folgt auf ihn am 15. 1. 1556 sein Sohn Philipp II., seines Zeichens nunmehr König von Spanien, Portugal, Neapel, Sizilien und Sardinien, Herzog von Mailand, Herrscher der Niederlande und Herzog von Burgund. Zusätzlich wird er durch seine Eheschließung mit Maria I. (iure uxoris) König von England und Irland, Graf von Habsburg, Flandern und Tirol …

      Allerdings – und im Gegensatz zu seinem Vater – ist Philipp II. kein Mann großer Visionen; er kümmert sich nur noch um den Erhalt der spanischen Reiche und unterdrückt alle abweichenden politischen oder religiösen Meinungen. In der Folge entstehen neue Nationalismen und schlussendlich eine Spaltung der Christenheit, welche Philipp mit eiserner Hand durch die stets sich ausweitende Herrschaft der Inquisition und die gefürchteten „Autos de Fe“ (Glaubensgerichte) vergeblich zu verhindern sucht. 1559 verbietet Philipp das Studium an außerspanischen europäischen Universitäten und die Einfuhr ausländischer Bücher. Für Teresa wird diese „kopernikanische politische Wende“ zum Verhängnis, weil sich im Volk eine panische Angst vor der Verurteilung und den Strafen der Inquisition breitmacht, die ihren traurigen Höhepunkt 1559 im sogenannten „Index der verbotenen Bücher“ finden, der jegliche Lektüre geistlicher Bücher in der Muttersprache untersagt. Teresa sieht sich der für sie entscheidenden geistlichen Bücher beraubt und klagt: „Als viele in der Volkssprache geschriebenen Bücher weggenommen wurden, damit sie nicht mehr gelesen würden, litt ich sehr darunter, denn es verschaffte mir Erholung, manche von ihnen zu lesen, aber das konnte ich nun nicht mehr, weil man sie nur noch auf Latein zuließ“ (V 26,6).

      Spanien zieht sich auf sich selbst zurück, gefährdet dadurch seine Wirtschaft und verpasst die Öffnung hin zu einer neuen Zeit. 1563 erbaut Philipp sich im Escorial das Stein gewordene Symbol seiner Regierungszeit: ein Grabmal in perfekter architektonischer Symmetrie, einen kalt anmutenden Palast, in dessen Mitte er sich in das Kloster San Lorenzo zurückzieht und von dort aus sein Weltreich regiert. Seine zahlreichen Kuriere berichten ihm von den Unruhen in den Niederlanden, von der rasanten Verbreitung von Martin Luthers neuem Gedankengut im fernen Deutschland, bringen Kunde von einer drohenden Kirchenspaltung, melden die zunehmend hohe Staatsverschuldung und den Verlust politisch wichtiger Territorien. Kurz: Ein Weltreich steht vor seinem Niedergang. Als Philipp II. im Jahr 1598 stirbt, hat sich der politische Schwerpunkt Europas bereits vom Mittelmeer zum Atlantik hin verschoben.

       Welchen geistlichen Strömungen begegnet Teresa durch ihre gelehrten Beichtväter?

      Die spanische Kirche des 16. Jahrhunderts ist im Wandel vom Mittelalter zur Renaissance begriffen, in welcher der Mensch sich selbst entdeckt und zum Mittelpunkt allen Geschehens erhebt. Dennoch gibt es Bereiche, die den Gläubigen nicht zugänglich sind, wie beispielsweise das persönliche Beten im Gegensatz zum vorformulierten, mündlichen Gebet. Teresa bringt es später auf den Punkt, wenn sie fordert: „Es geht hier nicht darum, viel zu denken, sondern viel zu lieben“ (F 5,2). Eine Kluft tut sich auf zwischen der Theologie und der Mystik.

      Aus dem niederländischen und deutschen Sprachraum war die Kunde von der als Devotio moderna bekannt gewordenen geistlichen Strömung, die sich bewusst in der Betrachtung übte, bis zur Iberischen Halbinsel vorgedrungen. Namen wie Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse übten auf Kleriker und Laien großen Einfluss aus. Aus Flandern stammten Ruusbroec und sein Schüler Hendrik Herp. Teresa hatte Zugang zu einigen Schriften der berühmtesten Autoren ihrer Zeit, wie Bernardino de Laredos (1480–1540) Aufstieg zum Berge Zion, ferner kannte sie das Leben Christi des Kölner Kartäusers Ludolph von Sachsen, seine Meditationen und einiges mehr. Ferner die Abhandlung über das Gebet und die Meditation des von ihr sehr verehrten großen Büßers Pedro de Alcántara (1499–1562) und die Schrift Von der Kunst, Gott zu dienen des Alonso de Madrid.

      Gerhard Groote hatte in den Niederlanden die Gemeinschaft der Brüder des gemeinsamen Lebens gegründet, die miteinander beteten und geistliche Codices abschrieben. Man betonte die persönliche Beziehung zu Christus, die Betrachtung seines Leidens und Sterbens und seiner Auferstehung als Zugangstor zu einer neuen Innerlichkeit. Teresa kannte auch die Nachfolge Christi des Thomas von Kempen.

      In Spanien findet das Gedankengut der Devotio Moderna unter anderem Verbreitung durch die Textsammlung der Übung des geistlichen Lebens des Benediktinerabts (und Neffen des Großinquisitors!) García de Cisneros.

      Der Einfluss des Girolamo Savonarola, der wohl schillerndsten Figur der italienischen Dominikaner, wird seinerseits prägend für Gestalten wie Luis de Granada, dessen geistliches Umfeld Teresa in Valladolid, Ávila und Salamanca kennenlernen wird.

      Teresa hat im Prinzip drei Quellen für ihre Selbst-Bildung: die geistlichen Autoren ihrer Zeit, die Predigten ihrer Beichtväter und den persönlichen Dialog mit jenen hochgebildeten Geistlichen. Da sie seit ihrer Kindheit begierig danach strebt, Neues kennenzulernen, und außerdem mit einer überdurchschnittlichen Phantasie begabt ist, verschlingt sie während ihrer schweren Krankheit sämtliche verfügbare geistliche Literatur ihrer Zeit. Ihr Gefühlsreichtum wird in dem Maß geweckt, in dem sie sich entschieden Christus in seinem Leiden zuwendet.

      Und wir erkennen einen weiteren Zug in Teresa: ihr übergroßes Bedürfnis, das, was in ihrer Seele geschieht, „zu geworten“, um es zugleich auf seinen Wahrheitsgehalt zu prüfen. Das wird ihr zeit ihres Lebens viel Leid einbringen.

      Die großen spanischen Heiligen Fray Luis de Granada und S. Pedro de Alcántara – „ich sah, dass er mich aus seiner eigenen Erfahrung heraus verstand“ (V 30,4) – werden sie von nun an zu neuen Weisen der Kontemplation „inspirieren“ und in ihren „unerhörten“ Erfahrungen bestärken.

      Auch beeindruckt und prägt sie die Lektüre der Bekenntnisse des hl. Augustinus um das Jahr 1554 (V 9,8), weil sie sich hier verstanden und bestärkt fühlt in ihrer Intuition, einerseits Christus im tiefsten eigenen Inneren suchen zu müssen und dass andererseits „Sammlung und Aktivität“ sich nicht ausschließen.

       5.„Es ist ein anderes, neues Buch ab hier …“: neue „Innenansicht“ der Teresa von Ávila

      Drei Etappen auf einem lebenslangen Weg der Gottsuche können wir bei Teresa von Ávila ausmachen: die spontane und eher begeisterte Art des Betens ihrer ersten Klosterjahre (bis 1554), die schwierigere Zeit einer wirklichen Konfrontation ihrer Seele mit ihrem Gott und schließlich das mystische Gebet als Erschließung immer neuer Horizonte und beglückende Erfahrung Seiner Freundschaft.

      In ihrer Autobiographie benennt Teresa selbst zwei große Wegstrecken ihres Gebetslebens und unterscheidet ein „Vorher“ und ein „Nachher“, wenn sie schreibt: „Es ist ein anderes, neues Buch ab hier,