Vier Pilger - ein Ziel. Christian Rutishauser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Rutishauser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783429062170
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einigem Nachdenken noch immer still ist, sagt Christian: Ich habe eine Vision. Ich will einmal in meinem Leben zu Fuß nach Jerusalem pilgern. Er nimmt mich ins Visier und fragt: Hildegard, kommst du mit? Darauf bin ich nicht gefasst. Trotzdem sage ich spontan, ohne viel nachzudenken, ohne darüber zu schlafen: ja, ich komme mit.

      Wir unterhalten uns etliche Zeit später wieder und machen uns Gedanken darüber, in welchem Jahr wir starten und wie die Gruppe aussehen könnte. Das Jahr 2009 scheint uns geeignet. Wir sind uns darin einig, dass es eine gute Voraussetzung ist, wenn die Beteiligten die Erfahrung der 30-tägigen Exerzitien mit sich bringen. Das heißt, dass es Menschen sind, die in ihrer Spiritualität geerdet und geübt sind und einen persönlichen inneren Weg kennen. Christian hätte gerne einen Juden und einen Muslim in der Gruppe gehabt. Der interreligiöse Gedanke ist faszinierend. Mich aber überfordert er und ich weiß, dass ich in meinem Umfeld niemanden kenne, der gefragt werden könnte. Das Jahr 2009 rückt näher und es zeigt sich, dass es für Christian und mich unmöglich ist aufzubrechen. In dieser Zeit aber schlage ich Christian vor, Franz Mali, einen Freund von mir, kennenzulernen. Mir scheint, dass er zu unserem Pilgerteam passen könnte. Kurz darauf begegnen sich die beiden an der Uni Freiburg / Fribourg. Christian fragt Franz nach diesem Treffen, ob er nach Jerusalem mitpilgern wolle. Franz sagt spontan, ohne weitere Bedenkzeit, ohne darüber zu schlafen: ja, ich komme mit. Er selber beschreibt seine Zusage ein wenig anders. Wenige Wochen später mache ich mich in die Langlaufferien auf. Es hat Tradition, dass ich hier mit meiner Freundin Esther ein Zimmer teile. An einem der Ferientage schneit es ohne Unterbruch. Esther und ich verkriechen uns nach dem Frühstück wieder ins Bett. Hier kommen wir ins Erzählen … Was aus dem Gespräch geworden ist, erzählt Esther in ihrer Vorgeschichte selber. Was ich noch dazu sagen kann: Esther ließ sich auf das Abenteuer der 30-tägigen Exerzitien als Vorbereitung der Wallfahrt ein. Sie meinte, dass diese bei ihr sowieso in der nächsten Zeit dran gewesen wären.

      Auf jeden Fall: Unsere Vierergruppe ist geboren und wir entscheiden uns, nicht mehr nach weiteren Interessierten zu suchen. Wir legen fest, im Jahr 2011 an Christi Himmelfahrt zu starten. Bis Weihnachten wollen wir uns für den Weg Zeit nehmen, also sieben Monate Pilgerschaft. Wir sind uns einig, an unserem Projekt viele andere Menschen teilhaben zu lassen. Es gibt thematische Vorbereitungstreffen im Lassalle-Haus zu Jerusalem, der dreimal heiligen Stadt, zum Dialog mit Juden und Muslimen und ihren Pilgertraditionen und natürlich zum Pilgern im Allgemeinen. Wir laden Interessierte ein, ein Stück des Weges mitzupilgern in der Schweiz, der Türkei und von Amman nach Jerusalem. Und wir beginnen schon im Vorfeld einen Blog zu schreiben.

      Jetzt wird die Vision konkret. Jetzt geht es um tausend Kleinigkeiten, die alle für sich überlegen, einfädeln und organisieren müssen. Das Pilgern hat für mich begonnen. (ha)

       Noch viel Wasser

      An einem Sonntag im Januar 2009 fällt im Goms viel Schnee. Nach dem Frühstück zieht es uns nochmals mit einem Buch ins kuschelig warme Bett. Hildegard erzählt davon, dass jetzt alles klar sei mit dem Pilgern nach Jerusalem, sie seien zu dritt und man könne zwischendurch mitgehen – drei Mal. Mein spontaner Ausruf: Ich komme mit! Denke mir, bei den drei Mal zwei Wochen. Worauf Hildegard fragt: die ganze Strecke? Ich schweige. Esther? Die ganze Strecke? Stille! Ja, warum nicht! Aber ich muss es zuerst Christoph, meinem Partner, erzählen. Das tue ich am Telefon. Was meinst du dazu, wenn ich sieben Monate nach Jerusalem pilgere ohne dich? Er lacht und sagt: Bis dahin fließt noch viel Wasser die Rotte runter, komm erst mal heim.

      Das Ja in mir ist klar und bedenkenfrei. Zuhause angekommen, diskutieren wir zwei das Projekt nochmals und Christoph gibt zur Antwort: Kann ich dich denn halten? Würde es unserer Beziehung guttun, wenn ich sage, bleib doch da? Du musst es tun, und ich warte auf dich.

      Es kribbelt und schafft in mir drin, und überall, wo ich davon erzähle, sind die Menschen verblüfft und staunen. Es ist wunderbar!

      Es dauert noch über zwei Jahre, bis wir losgehen, und doch ist es mir jetzt schon wichtig, mit dem Arbeitgeber meine Situation zu klären. Ich informiere den Personalchef. Er meint, das könne er nicht selber entscheiden, er müsse zuerst den Kirchenverwaltungsrat fragen. Worauf ich nochmals sage, ich werde im Juni 2011 loslaufen. Er wiederum, das ginge nicht so schnell, er müsse es besprechen. Ich antworte ihm: Wenn es nicht geht, werde ich kündigen. Ich bin entschieden, im Juni 2011 zu Fuß nach Jerusalem zu pilgern. Stille. Okay, antwortet er schließlich, ich werde es so mitteilen. Ich gehe beschwingt aus diesem Gespräch heraus mit dem sicheren Gefühl: Es ist richtig. Es gibt kein Wenn und Aber, nur ein großes Ja. Dabei bin ich keine Mutige, sondern sehr ängstlich und sicherheitsbedürftig.

      Darüber staune ich fast am meisten.

      Irgendwie kommt es mir bekannt vor. Das habe ich in der Bibel doch schon oft gelesen. Da wird einer gerufen, lässt alles stehen und liegen und folgt Jesus nach. Ich wundere mich darüber, dass ich früher das Einfach-so-Gehen in den biblischen Texten gar nicht verstehen konnte. Man kann doch nicht einfach gehen, ohne sich zu verabschieden, etwas ganz Neues tun und nicht wissen, was die Zukunft bringt. Jetzt ist es für mich genauso. Ich kann alles stehen und liegen lassen und gehen. Es fühlt sich richtig an, dass ich dabei bin. Ich bin gerufen. Ich bin gemeint. Ich sage ja, hier bin ich. (er)

       Meine Vorgeschichte

      Hildegard hat mir erzählt, sie beteilige sich am Projekt der Wallfahrt nach Jerusalem. Sie machte mir Andeutungen, sie könnte sich gut vorstellen, dass ich auch mitlaufe. Das entscheidende Wort hatte Christian. Er fragte mich im Frühling 2008, doch musste ich da noch überlegen, ob ich es mit meinem Beruf koordinieren kann. Die Chance war, dass ich mein Freisemester für dieses Projekt einsetzen konnte, wenn mein Arbeitgeber, die Universität Freiburg / Fribourg, damit einverstanden war. Im zweiten Anlauf akzeptierte die Universität das Vorhaben und unterstützte es dadurch, dass sie mir zusagte, während meiner Wallfahrt fünfzig Prozent meines Gehaltes weiterzuzahlen. Das war eine große Erleichterung, denn zunächst hatte es nach einem unbezahlten Urlaub ausgesehen.

      Jerusalem ist für mich ein widersprüchlicher Traum. Einerseits ist es eine besondere Geschichte, die mir als Katholik besonders wichtig ist: die Geschichte des Volkes Israel und die spezielle Episode des Lebens Jesu in diesem Land. Dazu kommen die aktuelle Situation und die Ereignisse der letzten Jahrzehnte, die von der Auseinandersetzung zwischen Palästinensern und Israelis geprägt sind, von den Eroberungen der Israelis, der Verteidigung und den Angriffen durch die Palästinenser. Diese Kriegs- und Eroberungsgeschichte, das immense Leid auf beiden Seiten, hinderte mich bisher daran, nach Israel zu reisen. Einige Male habe ich es abgelehnt, wie ein Tourist oder Geschichtsprofessor hinzureisen, der aus interessiert-luxuriöser Distanz das Land und seine Geschichte durchforstet und den das leidvolle Schicksal der Bewohner unberührt lassen soll.

      So kam mir diese Anfrage, zu Fuß hinzugehen, entgegen. Ich möchte diese Strapaze auf mich nehmen als Zeichen dafür, dass ich vor den Menschen im Heiligen Land in ihrer äußerst schwierigen und verkeilten Situation Respekt zeigen will. (fm)

       Es ist so weit!

       In neun Monaten starten wir als Pilgergruppe zu Fuß von der Schweiz nach Jerusalem. Eine Vision beginnt sich zu verwirklichen. Die Vorbereitungen laufen bereits seit mehr als einem Jahr. Das Team musste sich finden und die Idee – spirituell, interreligiös und politisch unterwegs zu sein – langsam Gestalt annehmen. „Zu Fuß nach Jerusalem“ ist eine Vision für die Zukunft. Das Projekt ist keine Privatsache, sondern will möglichst viele Menschen mit auf den Weg nehmen, um das Leben als Weg zur Mitte zu verstehen. Gemeinsam in der Schweiz und nach Jerusalem unterwegs sein soll ein Netzwerk von Freundschaften entstehen lassen. Seminare und Tagungen haben wir zusammengestellt, um eine Neuausrichtung auf Frieden und Dialog und eine spirituelle Erneuerung von der Mitte der Welt her zu ermöglichen. Ohne Bildung und ohne ein Anknüpfen an die Geschichte gibt es kein verantwortetes Gestalten der Zukunft. Die säkulare Welt wie auch die jüdische, christliche und muslimische Tradition sollen je miteinander ins Gespräch gebracht werden. So können Brücken geschlagen werden, um