- in die kirchliche Terminologie, d. h. in den Deutungs- und Interpretationskontext des kirchlichen Lehramtes transferieren.
Erst mit diesem hermeneutischen Zugang kann die Evaluation des moralischen Gehalts der vollzogenen Handlung unter Beurteilung ihrer Natur und der Intention des einwilligenden Verstorbenen erfolgen und gelingen. Dieser Prozess muss zeitlich gesehen noch vor der Betrachtung und Anwendung der kanonischen Normen zur Begräbnisverweigerung geschehen. Erst wenn zweifellos sicher ist, dass die vollzogene Handlung in die Kategorie ethisch unzulässig einzustufen ist, kann der nächste Schritt im Entscheidungsprozess gegangen werden.
Wünschen die Angehörigen des Verstorbenen trotz verurteilenswürdiger Handlung im konkreten Fall die Feier eines kirchlichen Begräbnisses, dann wird das eingangs nachgezeichnete Spannungsverhältnis zwischen der abstrakten kirchlichen Lehre bezüglich bestimmter Handlungen am Lebensende und der gelebten Wirklichkeit im konkreten Sachverhalt deutlich. In Reaktion auf diese Diskrepanz muss der Seelsorger in der Ausübung seines pastoralen Dienstes zwar die kirchliche Lehre verkündigen, aber ebenso auf die konkreten Wünsche und Ängste der Gläubigen eingehen und eine der entsprechenden Situation angemessene Seelsorge gestalten.23 Die liturgische Begräbnisfeier dabei als Instrument zur Annahme der kirchlichen Lehre seitens der Gläubigen zweckzuentfremden, ist nicht zulässig und rechtswidrig. Mit Blick auf den kirchlichen Sendungsauftrag, das Recht des Verstorbenen auf ein kirchliches Begräbnis sowie das kirchliche Begräbnisrecht als solchem ist der Seelsorger im konkreten Sachverhalt gefordert, die kirchliche Lehre und sein pastorales Handeln in eine kongruente Verbindung zu bringen. Um die von Kardinal Schönborn angesprochenen Handlungsextreme Rigorismus oder Laxismus im Sinne einer ethisch, theologisch und rechtlich verantworteten pastoralen Handlungsweise zu vermeiden, bedarf der Seelsorger daher grundsätzlich fundierte Kenntnisse über
- die psychologischen Implikationen von schwerer, irreversibler Krankheit,
- die Lehre der Kirche bezüglich Euthanasie, der Anwendung therapeutischer schmerzlindernder Mittel sowie
- das theologische Proprium des kirchlichen Begräbnisses zur Abwägung der verschiedenen möglichen Feierformen und -gestalten.
Während diese Aspekte losgelöst vom konkreten Kontext betrachtet und eruiert werden können, steht der Seelsorger zusätzlich noch vor der Aufgabe, den sich ihm darbietenden Sachverhalt in seiner Gänze zu erfassen und zu formulieren.24 Vor allem die Formulierung des Sachverhalts stellt eine große Herausforderung dar, weil in ihr bereits theologische, rechtliche sowie humanwissenschaftliche Implikationen zum Ausdruck kommen, die für den Ausgang der Entscheidung von hoher Relevanz sind. Beispielsweise muss der Seelsorger nach der psychischen Verfassung des Verstorbenen und den Auswirkungen seiner schweren, unheilbaren Krankheit, der Angst vor einem qualvollen und einsamen Tod sowie der Erfahrung unerträglicher Schmerzen auf die Entscheidungsfreiheit fragen. Dafür muss er den lebens- und krankheitsgeschichtlichen Kontext des Verstorbenen kennen und vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der Humanwissenschaften, vorzugsweise der Psychologie und Suizidologie, reflektieren. Zudem ist für die Gewissensbildung des Verstorbenen das staatliche Recht nicht unerheblich, da es dem Verstorbenen suggerieren könnte, entsprechende lebensverkürzende Handlungen, die von der Kirche verurteilt werden, seien ethisch vertretbar und könnten rechtmäßig angewandt werden. Erst in der Sichtung aller den Sachverhalt tangierenden Umstände und unter Beachtung der kirchlichen Rechtsprinzipien wie beispielsweise der Epikie und aequitas canonica kann eine sowohl der kirchlichen Lehre als auch dem Leben des Verstorbenen angemessene Entscheidung über Gewährung oder Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses getroffen werden.
Aus den vorgebrachten Überlegungen über die Anforderungen an den Seelsorger ergeben sich mit Blick auf die Forschungsfrage für eine ekklesiologischkanonistische Aufarbeitung der Thematik folgende Unterfragen: Mit welcher Terminologie arbeitet das kirchliche Lehramt und welche medizinischen Handlungen werden darunter subsumiert? Nach welchen Kriterien werden sie differenziert? Welche medizinischen Handlungen gelten als ethisch zulässig und welche nicht? Welche Bedeutung wird der Intention beigemessen, die mit dem Vollzug einer bestimmten Handlung verfolgt wird? Gibt es Interpretationshilfen für Seelsorger, über subjektiv empfundene und geformte Intentionen zu urteilen, um Rückschlüsse auf die subjektive Zurechenbarkeit einer Handlung zu ziehen?
Mit Blick auf die erbetene Sakramentalie des kirchlichen Begräbnisses und der theologisch-ekklesiologischen Relevanz ihrer Feier ist nachzugehen: Was bedeutet es theologisch wie ekklesiologisch, ein kirchliches Begräbnis für einen Verstorbenen zu feiern? Was ist sein theologisches Proprium und welchen Heilscharakter hat es inne? Was wird in seiner Feiergestalt und seinen essentiellen Elementen zum Ausdruck gebracht und gibt es mögliche Abstufungen der liturgischen Feiergestalt?
Ferner ist zu fragen, wie der kirchliche Gesetzgeber das kirchliche Begräbnis durch rechtliche Normen strukturiert hat: Wer hat ein Recht auf das kirchliche Begräbnis und wem kommt die Pflicht zu, dieses zu feiern? In welcher Beziehung stehen Recht und Pflicht und wie werden sie hergeleitet? Wie wird die Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses theologisch und rechtlich begründet und welche Auswirkungen hat das Reueempfinden des Verstorbenen? Ist ein Zeichen der Reue im Kontext von bewusster Herbeiführung des Todes oder des Sterbenlassens durch Behandlungsabbruch bzw. -verzicht überhaupt denkbar? Wie könnte ein solches Zeichen aussehen? Wem kommt die Pflicht zu, die Sündhaftigkeit der vollzogenen Handlung nachzuweisen?
Schließlich ist mit Blick auf die Anwendung des Rechts folgenden Fragen nachzugehen: Welche Relevanz kommt der psychischen Verfassung des schwerkranken Patienten zu? Kann dessen Freiheit derart eingeschränkt sein, dass die vollzogene Handlung oder Einwilligung in die Herbeiführung des Todes nicht subjektiv zurechenbar war? Welche Erkenntnisse aus dem Bereich der Humanwissenschaften, besonders der Psychologie und Suizidologie können für die Betrachtung und Bewertung der konkreten psychischen Situation des schwerkranken Patienten mit Blick auf dessen Willens-, Entscheidungs- und sogar Handlungsfreiheit fruchtbar gemacht werden? Können historisch gewachsene Erkenntnisse aus dem kirchlichen Umgang mit Suizidanten auf den zu hinterfragenden Sachverhalt appliziert werden? Arbeitet der Gesetzgeber auf Basis solcher humanwissenschaftlicher Erkenntnisse eventuell mit Präsumtionen, die von vollständigem oder eingeschränktem Vernunftgebrauch ausgehen, um auf diese Weise Rechtssicherheit und Handlungsfähigkeit zu generieren? Was ist zu tun, wenn Rechts- oder Tatsachenzweifel auftreten? Existiert diesbezüglich ein auf Tradition beruhender Kriterienkatalog für weiteres Vorgehen? Nach welchen Rechtsinstitutionen und -prinzipien kann in der Rechtsanwendung der göttlichen Barmherzigkeit Wirkungskraft verschafft werden? Sind Dissimulation, Dispens und Aequitas canonica zu berücksichtigende Rechtsmittel?
Diesen Fragen ist im Rahmen der vorliegenden Studie nachzugehen. Es kann durchaus sein, dass sie nicht vollständig oder nicht zufriedenstellend beantwortet werden, weil eine vollumfassende Antwort zuvor weiterer Forschungen in anderen Wissenschaftsbereichen bedarf.
1.2. Forschungsstand
Der Forschungsfrage einer möglichen Feier des kirchlichen Begräbnisses nach Vollzug von Euthanasie und ethisch unzulässigen medizinischen Handlungen am Lebensende wurden zuvor weder eine wissenschaftliche Monographie noch andere Publikationen gewidmet. Allenfalls fand die Thematik in der Kommentierung des kirchlichen Begräbnisrechts einen mehr oder weniger rudimentären Anriss. Der italienische Kanonist Adolfo Zambon beschrieb zumindest 2002 die Fragestellung eines kirchlichen Begräbnisses nach Euthanasie im Kontext eines Aufsatzes über schwierige pastorale Situationen, ging aber nicht detailliert auf die kontextuellen Rechte und Pflichten der Betroffenen bzw. Beteiligten, die Bedingungen des konkreten Sachverhalts sowie die theologischen, ekklesiologischen und psychologischen Implikationen der Rechtsanwendung ein.25 Ein Jahr zuvor stellte der amerikanische Kanonist Robert Barry die Frage, ob vernunftbegabten Suizidanten, die sich aus Protest gegen das Verbot der Selbsttötung, aus politischen Gründen oder aber zum Beweis der vom kirchlichen Lehramt unabhängigen moralischen Gültigkeit des Freitods selbst töteten, ein kirchliches Begräbnis zu gewähren oder verweigern ist. Explizit grenzte er seine Untersuchung von der Frage nach einem kirchlichen Begräbnis nach Suizid als Flucht vor schwerer Krankheit ab.26 Entfernt ist zudem auf die Arbeit des US-amerikanischen Kanonisten John B. Doherty zu