Mit diesen Worten wandte sich der Erzbischof von Wien Kardinal Christoph Schönborn am 2. April 2012 an die Seelsorger2 seiner Diözese und verdeutlichte die besonderen Herausforderungen, mit denen Seelsorger heutzutage in der Ausübung von pastoraler Sorge konfrontiert werden. Die direkte Umsetzung des Sendungsauftrages der katholischen Kirche, den Armen die frohe Botschaft zu verkünden und durch die Feier der Heilsmittel immer wieder aufs Neue ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen (Lk 4,18f), werde dadurch erschwert, dass Menschen in Lebenskonstellationen bzw. -situationen leben, die der kirchlichen Lehre offenkundig widersprechen – ohne dass sie selbst diese Empfindung teilen würden. Diese Diskrepanz zwischen kirchlicher Lehre einerseits und gelebter Wirklichkeit andererseits führe auf Seiten der Seelsorger zu einer großen Verunsicherung und Unklarheit über das pastoral richtige Handeln und die rechtmäßigen Möglichkeiten seelsorglicher Begleitung.3 Die Seelsorger nämlich wüssten sich aufgrund ihres Kirchenamtes oder ihrer Beauftragung durch den Bischof und dem damit einhergehenden Sprechen im Namen der Kirche grundsätzlich der kirchlichen Lehre verpflichtet, empfänden aber gleichzeitig ein konkretes Sendungsbewusstsein zu den Menschen und wollten dieses auch in schweren Momenten in seelsorgliches Handeln umsetzen. Ein solches emotionales Hin- und Hergeworfen-Sein im Sinne eines einerseits …, andererseits … berge die Gefahr in sich, dass die Seelsorger in zweifelhaften und spannungsgeladenen Situationen auf der Suche nach Orientierung die geltenden kirchenrechtlichen Normen vor allem zur Sakramenten- und Sakramentalienspendung entweder absolut rigoristisch interpretieren, was zu Restriktion und Verweigerung führe, oder aber ein laxes Rechtsverständnis im Sinne eines Alles ist irgendwie möglich bzw. einer falschen Barmherzigkeit zugrunde legen. Beide Extreme scheinen nach Schönborns Ansicht ungeeignet, sich den konkreten Lebenssituationen der Menschen in angemessener Weise zu nähern, deren theologische und rechtliche Implikationen zu reflektieren und schließlich vor dem Hintergrund der kirchlichen Rechtsnormen eine Entscheidung zu treffen, in der der konkrete Sachverhalt mit seinen ganz eigenen Umständen und in seiner Komplexität zum Tragen kommt.
Sowohl das von Kardinal Schönborn angesprochene Spannungsverhältnis zwischen kirchlicher Lehre und deren Verkündigung sowie der gelebten Wirklichkeit als auch die daraus resultierenden Unsicherheiten auf Seiten der Seelsorger über die Frage, was getan werden könne und dürfe, lassen sich vor allem dort beobachten, wo die katholische Kirche als Institution und in ihrer Vertretung ihre Seelsorger vor Ort mit Fragen konfrontiert werden, die das pastorale Handeln und somit die Ausübung der Seelsorge betreffen. Nicht selten erwachsen solche Suchbewegungen aus der Diskrepanz einer staatlich legitimierten Handlung bei gleichzeitig existierender kirchlicher Verurteilung derselben. Überdies treten solch empfundenen Spannungen und Unsicherheiten immer dann auf, wenn Menschen ihr Leben nicht an der kirchlichen Lehre orientieren, aber dennoch ihren Glauben leben und die kirchlichen Heilsgüter empfangen wollen.
Einem solchen Seelsorgebereich mit seinen eigenen komplexen Fragestellungen, Spannungen und Unsicherheiten seitens der kirchlichen Seelsorger widmet sich die vorliegende Studie. Die Rede ist von der möglichen Gestaltung von Seelsorge im Kontext von Euthanasie und Behandlungsabbruch bzw. -verzicht. Da es der kirchlichen Lehre widerspricht, selbst bei schwerstem Leiden den eigenen Tod bewusst herbeizuführen oder in dessen Herbeiführung einzuwilligen oder aber eine medizinische Handlung abzubrechen bzw. zu unterlassen, um den Tod herbeizuführen, stellt sich für die katholische Kirche und ihre Seelsorger bei derart geäußertem Wunsch oder Vollzug die Frage, ob und wie Seelsorge für diese Menschen vor dem Hintergrund des kirchlichen Sendungsauftrages gestaltet werden kann, darf oder muss. Theologische wie rechtliche Anfragen beziehen sich in diesem Kontext einerseits auf die Wirkungskraft und die rechtmäßige Spendung der Krankensalbung, des Viatikums und des Bußsakraments sowie andererseits nach dem Eintritt des Todes durch Euthanasie oder Behandlungsabbruch bzw. -verzicht auf die Feier des kirchlichen Begräbnisses für den Verstorbenen.4
Die vorliegende Studie beschränkt ihren Fokus auf das mögliche oder sogar geforderte pastorale Handeln nach der bewussten Herbeiführung des Todes. Es wird unter Berücksichtigung der theologischen, liturgischen und moraltheologischen Aspekte aus kirchenrechtlicher Perspektive gefragt, ob das kirchliche Begräbnis gespendet werden darf, kann oder sogar muss, wenn der verstorbene Gläubige vor seinem Lebensende die Herbeiführung des Todes gewünscht und in entsprechende Handlungen eingewilligt hat. Konkret wird der Seelsorger vor Ort mit der Frage konfrontiert, ob er katholischen Gläubigen, die aufgrund einer bewussten Herbeiführung des Todes, durch Behandlungsabbruch oder -verzicht im Sinne eines Zulassens des Sterbens oder aufgrund eines in Kauf genommenen Todes durch Schmerzmittelgabe aus dem Leben geschieden sind, vor dem Hintergrund ihres fundamentalen Rechts auf ein kirchliches Begräbnis und der Pflicht der Kirche, ein solches zu feiern, die Feier eines solchen gewähren oder verweigern kann, darf oder muss.
1.1. Forschungsfrage und Problemskizze
Die politischen, gesellschaftlichen und medizinischen Debatten über die staatliche Legitimierung von medizinischen Handlungen am Lebensende wie bewusste Lebensbeendigung, Behandlungsabbruch und -verzicht sowie (ärztlich) assistierter Suizid besitzen zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor allem in den westlich geprägten Teilen der Welt eine kaum zu übertreffende Aktualität und Brisanz.5 Durch den kontinuierlichen medizinischen Fortschritt, der es Ärzten ermöglicht, auf nahezu jede Krankheit mit einer Vielzahl von Therapien zu reagieren und das Leben ausweglos Erkrankter über Jahre zu verlängern, ist die Lebenserwartung signifikant gestiegen.6 Menschen werden häufiger und intensiver mit dem eigenen physischen Abbau, mit psychischen Einschränkungen wie Altersdemenz oder auch anderen chronischdegenerativen Krankheiten konfrontiert. Im Gegensatz zur praeintensivmedizinischen Epoche, fordert die heutige Zeit im Übergang vom Leben zum Tod von jedem Einzelnen eine Positionierung über die eigenen Wünsche. Von der Gesellschaft wird eine Reflexion über eine menschenwürdige „Kultur des Sterbens“ erwartet, die thematisch nicht an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden darf, sondern als Teil des Lebens wahrgenommen werden muss.7
Dass es zumindest im öffentlichen Diskurs einen breiten Konsens darüber gibt, was gutes Sterben zu sein scheint, belegt die immer wieder aufkommende Forderung nach einer gesetzlichen Regelung der Mitsprache des Patienten über Behandlungsansätze und Therapien, ihre Dauer und Intensität. Hinter dieser optionalen Flucht vor den Belastungen einer durchtechnisierten Medizin mit ihrem Dogma des medizinisch Machbaren8 verbirgt sich oftmals der Wunsch nach eigenberechtigter Mitgestaltung des eigenen Lebens und Sterbens. Im Sinn eines menschenwürdigen Sterbens wird das Ziel verfolgt, am „Ende des Lebens einem schmerzvollen Leiden entgehen zu können und nicht bis zuletzt im Räderwerk einer als fremdbestimmend empfundenen Geräte- und Arzneimittelmedizin gefangen zu bleiben, die nicht nur das Leben, sondern auch das Leiden verlängern kann.“9 Immer weniger Menschen sind heutzutage bereit, ein Leben mit starken Schmerzen und hohen Belastungen, gezeichnet von Krankheit und therapeutischen Maßnahmen „schicksalsergeben hinzunehmen, wenn es […] durch ungünstige, unverschuldete innere oder äußere Entwicklungen zur Last und Qual geworden ist.“10 Seitens der Ärzteschaft werden ungeachtet der inhaltlichen Präferenz ebenso Forderungen nach einer gesetzlichen Regelung an die Gesetzgeber gestellt. Hinter diesen Bestrebungen, deren inhaltliche Bandbreite sich von der Forderung nach Legalisierung bis hin zum Verbot jeglicher den Sterbeprozess fördernder medizinischen Maßnahmen erstreckt, liegt der Wunsch nach Rechtssicherheit und Klarheit über das rechtlich Erlaubte begründet.11
Aus diesen medizinischen und politischen Diskussionen gingen in den verschiedenen Rechtsstaaten unterschiedliche, rechtlich legitimierte Gestaltungs- und Verfügbarkeitsoptionen über die letzte Phase des menschlichen Lebens hervor, wodurch sich die Bedeutung des subjektiven Faktors in Krankheit und Therapie exponentiell erhöhte. Diese weltweite Entwicklung erfordert von der katholischen Kirche, die seit Jahren als gefragter Gesprächspartner an entsprechenden wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Diskussionen teilnimmt und die als „global player“ mit diesen divergierenden staatlichen Rechtslagen zu Sterbehilfe und (ärztlich) assistiertem Suizid konfrontiert wird, nicht nur eine kontinuierliche Reflexion auf moraltheologischer