„Vor allem aber wird dieses Reich offenbar in der Person Christi selbst, des Sohnes Gottes und des Menschensohnes, der gekommen ist, ‘um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für die Vielen’ (Mk 10,45). Als aber Jesus nach seinem für die Menschen erlittenen Kreuzestod auferstanden war, ist er als der Herr, der Gesalbte und als der zum Priester auf immerdar Bestellte erschienen (vgl. Apg 2,36; Hebr 5,6; 7,17-21) und hat den vom Vater verheißenen Geist auf die Jünger ausgegossen (vgl. Apg 2,33). Von daher empfängt die Kirche, die mit den Gaben ihres Stifters ausgestattet ist und seine Gebote der Liebe, der Demut und der Selbstverleugnung treulich hält, die Sendung, das Reich Christi und Gottes anzukündigen und in allen Völkern zu begründen. So stellt sie Keim und Anfang dieses Reiches auf Erden dar. Während sie allmählich wächst, streckt sie sich verlangend aus nach dem vollendeten Reich; mit allen Kräften hofft und sehnt sie sich danach, mit ihrem König in Herrlichkeit vereint zu werden.“ (LG 5)
Die Kirche hat also einen Auftrag, eine Mission, die sie erfüllen soll. Sie ist gesandt, um das „Reich Gottes anzukündigen und in allen Völkern zu begründen“ (LG 5).
„Aber die Kirche mit all ihren Institutionen ist ein Mittel für die Menschen, und diese sind ihr Zweck.“32
Das Werkzeug dient auf diese Weise einer Verbesserung der Zustände in der Welt. Schon für die Propheten im Alten Testament gehört die kritische Wahrnehmung des Sozialen zu ihrem Glauben. Es ist ein Gebot der Nächstenliebe, dass sich Kirche für einen positiven Fortschritt unserer Gesellschaften einsetzt. Das drückt sich auch in der Option für die Armen aus.33
„Das Ziel der Mission ist die eschatologische Einheit der Völker, die Beförderung von Frieden und Gerechtigkeit unter den Menschen und damit die Heraufführung der einen Welt in Frieden und Freiheit.“34
„Darum hat die Kirche von Anfang an bis zum heutigen Tag ihre Mission immer so verstanden, dass sie im pädagogischen, diakonischen und politischen Bereich am Aufbau einer humanen Welt und eines friedlichen Zusammenlebens der Menschen mitwirkt.“35
Natürlich ist die Heilssendung an den konkreten Problemen zu verwirklichen. Zugleich ist das Heil im christlichen Verständnis immer etwas Größeres, das von Gott her kommt. Indem man als Glaubender Christus nachfolgt, wird man ihm ähnlich. Man empfängt so die Liebe Gottes und kann darauf antworten. Als Glaubender ist man gleichzeitig aufgefordert, dies wieder in die Gemeinschaft zurückzugeben.36
„Erst dann, wenn die Einsammlung der ganzen dazu bereiten Menschheit zur Einheit mit Gott und untereinander geglückt ist, hat auch die Kirche ihr Ziel erreicht (…). Indem sie identisch wird mit der ganzen versöhnten Menschheit, findet sie selbst zu ihrer eigenen vollen Identität. (…) So nimmt (…) die Kirche dieses Reich in seinem ganzen Sinngehalt als durch Christus in der Welt angekommener Friedens-, Gerechtigkeits- und Lebenswille Gottes ‘realsymbolisch’ vorweg; sie darf im Vollzug der Nachfolge Jesu bereits in der Geschichte die Antizipation des alle Geschichte transzendierenden und vollendenden Reiches Gottes sein.“37
Kirche ist pilgerndes Volk Gottes, eine Weggemeinschaft, die auf die Vollendung hofft, die ein gemeinsames Ziel vor Augen hat. Kirche ist von den Menschen in ihr geprägt, daher kann das Ziel nicht abschließend erreicht werden.38 Kirche ist Teil der Welt, sie ist kein fertiger Idealzustand, sondern auf dem Weg. Das endgültige Heil bleibt also unerreicht und kann erst letztlich durch das göttliche Element geschenkt werden.39
„Die Kirche steht im Zeichen des schon erschienenen und doch noch nicht vollendeten Heils. Die Einheit, der Friede und die Versöhnung mit Gott und der Menschen untereinander (…) sind in der Kirche in vorläufiger und antizipatorischer Weise schon präsent, und sie sollen durch die Kirche als Zeichen und Werkzeug allen Menschen zuteil werden.“40
Das Werkzeug „Kirche“ hört zu diesem Zweck zunächst auf das Wort Gottes, um dann die Impulse aufzunehmen und umzusetzen. Liturgie, Verkündigung und Diakonie sind dazu wichtige Handlungsbereiche, um die Liebe Gottes den Menschen zuteil werden zu lassen.
„Die Liebe Gottes wird in Jesu Proexistenz offenbar; sie ist Gottes innerstes Wesen. (.,.,) Liebe kann ja nicht bei sich selber bleiben; (…) sie will sich selbst verströmen und sich selbst mitteilen. (…) das Heil, welches die Kirche bezeugt, ist Gottes Selbstmitteilung; es ist Gott selbst und die Gemeinschaft mit ihm (…).“41>
Der Auftrag an die Kirche geht also vom Beispiel Jesu aus, der selbst mit seinem Leben und seiner Hingabe für andere ein leuchtendes Beispiel gegeben hat, dem die Glaubenden nachzufolgen aufgerufen sind. Die Mission der Kirche lebt also von und aus der Liebe Gottes, die den Menschen zuteil werden soll. Das Reich Gottes und seine Herrlichkeit sind wünschenswerte Idealzustände, die es lohnt anzustreben.42 Sie enthalten einen wesentlichen Mehrwert, der das Leben erst richtig erfüllt.
„Deshalb ist die der Kirche aufgetragene Mission Epiphanie der Herrschaft und Herrlichkeit Gottes in der Geschichte.“43
„Sie soll die Wunden heilen, welche die Entfremdungen unter den Menschen und im Menschen geschlagen haben; in ihr soll die neue Schöpfung in zeichenhafter Weise schon jetzt Sichtbar werden.“44
Als „Sakrament des universellen Heils“45 hat Kirche einen Dienst an und in der Welt zu leisten. Gott neigt sich seiner Schöpfung zu. Das war und ist in besonderer Weise mit Jesus zu erfahren. Am Beispiel Jesu wird auch deutlich, wie Kirche ihren Dienst für das Heil in der Welt umsetzen kann.46 Konkret greifbar wird dieser Auftrag mit Hilfe von theologischen Schlüsselbegriffen, die sich in der kirchlichen Praxis wiederfinden: wie z. B. „Frieden“ im Sinne einer größeren „heilen“ Ordnung, „Befreiung“ aus einer „sündhaften“ Struktur oder die „Option für die Armen“, „Hoffnung“ gegen Hoffnungslosigkeit, „Leben“ aus dem Glauben heraus gegen vielfältige Lebensgefährdungen (z. B. Orientierungslosigkeiten, Frustrationen, Manipulationen, Zwänge, aber auch die Art und Weise des Sterbens) oder auch „Heilwerden“ an Leib und Seele (als ganzheitlicher Blick auf den Menschen).47
Um den eigenen Auftrag als Kirche ausfüllen zu können, wirkt der Geist Gottes in der Kirche, wenn auch nicht nur in ihr. Die Kirche ist gefordert, die Zeichen der Zeit und die darin enthaltene Botschaft für das Wirken der Kirche stets wahrzunehmen und zu bedenken. Sie muss diese entgrenzende Kraft des Geistes immer wieder neu als Gabe empfangen und sich dadurch herausfordern lassen. Der Geist fordert immer wieder heraus, das Evangelium neu in die jeweilige Zeit und Kultur hineinzutragen.48