Der Ablauf der Wallfahrten auf den Petersberg war dem der ersten meist ähnlich, ebenso die dazugehörigen Elemente wie: Gemeinschaftsmesse,334 eine Führung samt Vortrag zur Geschichte des Petersberges, ein religiöser Singekreis, ein Laienspiel und eine abschließende Feierstunde.335 Im ersten Jahr fand das geplante Laienspiel vom Ritter Georg nicht statt. Es wurde wegen seiner militärischen Sprache und Symbolik durch Selbstzensur der Jugendlichen kurzfristig abgesetzt.336 Um auch die Verbundenheit im Kommissariat erfahren zu können, setzte sich H. Aufderbeck dafür ein, dass Propst Weskamm auf der Wallfahrt eine Ansprache hielt.337 Für viele der Jugendlichen, die mit den Verhältnissen in der Diaspora vertraut waren, löste es ein erhebendes Gefühl aus, dass nach mehr als 400 Jahren in der Kirche des ehemaligen Augustiner-Chorherrenstiftes wieder ein katholischer Gottesdienst stattfinden konnte.338 Nicht nur im Kommissariat Magdeburg, auch in Rosenthal, im Bistum Meißen, fand 1946 eine Jugendwallfahrt statt.339 Die erste Wallfahrt auf den Petersberg von 1946 war auch das Signal für die evangelische Landeskirche ab 1947 zu Himmelfahrt einen „Sternmarsch“ auf den Petersberg zu veranstalten.340
Mit der sich entwickelnden Aktivität der AG der Jugendseelsorger wurden bereits 1948 die Bekenntnistage und später auch die Wallfahrten für den gesamten Bereich der SBZ/DDR auf der Jugendseelsorgerkonferenz vorbereitet bzw. besprochen. Sie entwickelten sich immer mehr zu den zentralen Jugendveranstaltungen der einzelnen Ordinariatsbezirke.341 Die sich verschärfende Melde- und Genehmigungspflicht von überörtlichen Jugendveranstaltungen, zu denen die Wallfahrten gezählt wurden, entwickelte sich aus dem Anstoß, den die SMAD und später die staatlichen Stellen daran genommen hatten, dass die Glaubensvermittlung sich nicht nur ausschließlich in den Räumen der Kirchen vollzog.342 Doch forderten die sich stetig verändernden staatlichen Rahmenbedingungen Mut und Phantasie bei den Verantwortlichen der katholischen Jugendseelsorge heraus, die abgesteckten Grenzen so weit als möglich auszureizen. Aber nicht nur diese Einschränkungen begründeten die Tendenz, schon bald die Wallfahrten vorübergehend zu dezentralisieren. Auch die logistischen Probleme, die beim Zusammenkommen einer großen Menge von Jugendlichen auftraten, führten dazu.343
Auf Dekanatsebene behielten die Treffen zum Christkönigsfest ihre Bedeutung. Ursprünglich am letzten Oktoberwochenende terminiert, hatten diese Treffen ihren demonstrativen Charakter aus der Zeit des Nationalsozialismus verloren. Mancherorts fand an Christkönig die feierliche Aufnahme in die Pfarrjugend statt.344 Die Christkönigstreffen wurden weder vom Jugendamt zentral vorbereitet, noch hatten sie ein einheitliches Thema zum Inhalt. Dennoch blieben diese Treffen in den Dekanaten wichtige Orte der Solidaritätserfahrung. Mit der Liturgiereform des Konzils fanden sie später am letzten Wochenende im Kirchenjahr ihren Platz.
4.5.3 Von der Führer- zur Helferarbeit
Wie bereits gezeigt, setzte die Jugendseelsorge im Kommissariat Magdeburg in den ersten Jahren ihrer Arbeit einzelne Schwerpunkte. Wichtige Träger dieser Arbeit waren neben den wenigen Jugendseelsorgern und den jugendinteressierten Gemeindeseelsorgern engagierte Laien. Laienarbeit entwickelte sich in dieser Zeit der Not zur Tugend.345 Die Helfer, meist ältere Jugendliche, agierten oft ohne eigens für diese Arbeit vorbereitet worden zu sein. Eine eigene Infrastruktur für die Helferausbildung konnte systematisch erst ab 1948 mit dem errichteten Seelsorgeamt aufgebaut werden. Unter den Nationalsozialisten und deren Absicht, die Jugendarbeit in die Pfarrei zurückzudrängen, hatten sich bereits bündische Elemente einen Weg in die pfarrliche Jugendseelsorge gebahnt. Die nach dem Kriegsende noch vorhandene oder sich neu formierende „Elite“ unter den katholischen Jugendlichen erlebte sich und handelte ähnlich dem Ideal der Jugendbewegung.
Aus der aktiven Kerngruppe der Jugendlichen einer Gemeinde rekrutierten sich zunächst die „Jugendführer“. Sie wurden später „Helfer“ genannt, weil es nach dem Krieg in der SBZ nicht mehr angebracht war, den Begriff des „Jugendführers“ zu verwenden.346 Die aufkommende Helferarbeit war prinzipiell nichts wesentlich Neues. Bereits in der bündischen Jugend gab es „Führer“ und „Führerkreise“. Auch wenn der Begriff des „Führers“ nach der missbräuchlichen Verwendung unter den Nationalsozialisten einen vorbelasteten Klang erhalten hatte, wurde er nach dem Krieg kurzzeitig wieder aufgegriffen, um später ganz in den weniger anstößigen Terminus „Helfer“ überzugehen. Inhaltlich wurde der Führerkreis durch Akzente aus dem „Schar“-Gedanken des Erzbistums Paderborn ergänzt. Für die engagierten Jugendlichen in Magdeburg war neben dem Begriff des „Führers“ oder „Helfers“ auch der Begriff der „Kernschar“ oder der „Schar“, üblich, die sich als Sammlung der „kleinen Herde“ gegen die „Vermassung“ und als Ausdruck von religiösen Erwartungen347 im Kontrast zur religiösen Gleichgültigkeit und Lauheit verstand.348
Die Helfer waren in den ersten Jahren sehr wichtige Träger der Jugendpastoral. Meist gab es sie in den kleineren Gemeinden nur vereinzelt und in den größeren war eine Hand voll von ihnen zu finden.349 Vor allem in der Nachkriegszeit, als die Jugendseelsorge noch nicht über die Jugendseelsorger organisiert war, kam ihnen eine außerordentlich wichtige Bedeutung zu. Sie waren diejenigen, die die Jugendgruppen zusammenhielten, und stellten oft die einzigen Bezugspersonen für die neu ankommenden Jugendlichen dar. In den ersten Jahren nach dem Krieg lag vor allem auf den jugendlichen Helfern eine Hauptverantwortung für die Jugendseelsorge. Die Engagierten unter ihnen waren an den regionalen und überregionalen Treffen der Jugendseelsorger beteiligt. Soweit es sich nicht um kirchenpolitische Entscheidungen handelte, waren sie im Kommissariat auch sehr eigenverantwortlich tätig. Die Jugendhelfer hatten eine wichtige Funktion in der Vorbereitung und Durchführung von gemeindlichen bis hin zu dekanatsübergreifenden Veranstaltungen.350
Selbst in den einigermaßen intakten städtischen Gemeindestrukturen begann nach dem Krieg für die Helfer und Helferinnen in der Jugendseelsorge eine neue Phase. Viele der älteren Helfer waren noch in Kriegsgefangenschaft, einige kehrten gar nicht aus dem Krieg nach Hause zurück.351 Die Jugendgruppen waren anzählig mehr und größer geworden und damit veränderten sich auch die Anforderungen an die Jugendhelfer. Jugendkapläne gab es fast nicht. Da es auch noch kein funktionierendes Jugendamt gab, war eine systematische Ausbildung der Helfer nicht möglich. Sie wurden meist ihrer eigenen Erfahrung und Phantasie überlassen. Nur ab und an bekamen sie von den Seelsorgern Unterstützung. Wer noch ein Exemplar des „Christofer“ besaß oder organisieren konnte, durfte sich glücklich schätzen.352 Mit der Verbreitung der ersten sogenannten Handreichungen stand für die Helfer wieder (wenn auch noch unzureichendes) Handwerkszeug zur Verfügung.353
Trotz allen Bemühens gab es auch bei den Jugendhelfern eine Diskrepanz zwischen Stadt- und Landjugend.354 Auf dem Land waren die Helfer sehr oft auf sich allein