„Das schafft ihr nicht“, meldete sich der alte Meister Til wieder zu Wort, „eure Geschütze sind zu schwach für die Strecke über den Taleinschnitt hinweg. So ist das Gesetz der Natur.“
„Ich weiß, Meister Til, aber wir haben es schon mit einer größeren Menge Schießpulvers und leichteren Geschossen aus porösem Stein erfolgreich versucht. Wir können die Burg erreichen.“
„Erreichen vielleicht. Aber was werdet ihr bewirken? Die erschlaffte Kraft solcher Geschosse wird drüben auf dem Frauenberg keine Mauer brechen.“
„Wohl nicht, da habt Ihr Recht. Aber vielleicht machen wir den Bischöflichen dort ein wenig Angst und auf jeden Fall werden wir sie beschäftigen. Heute in der späten Nacht soll es beginnen.“
„Ich hoffe, Florian, das werden keine Schüsse ins eigene Fleisch. Denn anders als eure Feldschlangen, tragen die Geschütze der Bischofsfestung sogar über den Fluss hinweg in die Stadt hinein.“
„Seid unbesorgt, wir beschäftigen sie dort oben nur etwas. Sie sollen spüren, wie es sich anfühlt, belagert zu werden.“
„Euer Wort in Gottes Ohr.“
Martin Cronthal hatte bisher geschwiegen. Jetzt wandte er sich mit seinen Gedanken an den kleinen Kreis der hier Zusammengefundenen, welcher wie eine Feuerwehr danach trachtete den ganz groß aufkommenden Weltenbrand noch zu löschen und in einem Anflug von Humor ihre täglichen heimlichen Zusammenkünfte auch ebenso benannte. Sie waren die Feuerwehr: „Was wird geschehen, wenn das Fürstenheer des Bundes bei Würzburg eintrifft, und wir haben die Bischofsburg bis dahin noch nicht nehmen können? Wieviel Zeit haben wir, eine Woche, zwei? Oder anders gefragt, meine Herren, was muss geschehen, damit die Burg rechtzeitig zu nehmen ist?“
Götz von Berlichingen und Florian Geyer sahen sich an. Es war im Einverständnis schließlich Götz, der antwortete.
„Ist die Burg bei Eintreffen des Fürstenheeres nicht genommen, so wird es ein Blutbad geben, das auch die Stadt und alles Leben darin vernichtet. Ein biblisches Ereignis, mein Freund, die Apokalypse. Deshalb sollten Heere, Truppen oder einzelne Haufen sich nicht bei Würzburg zur Schlacht begegnen, ohne dass die Burg gewonnen und besetzt wurde. Dafür müssen wir sorgen.
Uns bleiben den Berichten nach vielleicht noch zehn Tage zur Erstürmung. Das heißt, dass Aushungern nicht mehr in Frage kommt. Die Burg ist stark gerüstet und befestigt. Sie ist wehrhaft gegen Angriffe von welcher Seite auch immer. Aber trotz dieser Wehrhaftigkeit sind sie dort oben nur eine begrenzte Anzahl von Kämpfern und wir um ein Vielfaches überlegen. Sie kann genommen werden, wenn alle zwanzigtausend Bauern und Bürger gleichzeitig anrennen, und zwar von allen Seiten her. – Das ist der einzige Weg diese Festung noch rechtzeitig zu bezwingen, aber Ihr habt es im Bauernrat selbst erlebt, diejenigen auf den steilen Ost- und Südflanken wollen nicht mitmachen, weil sie sich wie im Schach nur als Bauernopfer für den Erfolg anderer sehen.“
Florian Geyer ergänzte: „Wir haben gemeinsame Ziele und eine Idee, aber wir haben nicht die Ordnung und den Gehorsam, um wirklich zusammenzustehen. Deshalb können wir unseren Vorteil der großen Überlegenheit nicht ausspielen. Etwas einreißen hier, ja, etwas nehmen und plündern dort, ja, aber die alte Welt mit den neuen 12 Artikeln einreißen? Das wird wahrscheinlich nur ein kurzer Traum bleiben.“
„Ihr glaubt nicht an den Erfolg der Bauern?“, erschrak sich Cronthal.
„Wir sehen die Umstände in der Erfahrung des Lebens.“
„Aber was tun wir dann jetzt? Viele werden sterben.“
„Wir halten den Schaden so klein, wie es uns möglich sein wird.“
Berlichingen und Geyer standen auf und empfahlen sich bis zur darauffolgenden Abendstund des nächsten Tages.
Wagenknecht blickte ihnen etwas pikiert hinterher: „Seid ohne Sorge. Die Stadt Würzburg übernimmt eure Zeche nur zu gerne.“
Martin starrte freudlos den Wein in seinem Becher an, beobachtete die leichte Bewegung der Oberfläche und die Bildung feiner Bläschen, welche gleich darauf wieder zerplatzten, dann nahm er einen tiefen Schluck: „Was ist die Arbeit eines Lebens wert, wenn zum Ende hin doch nur alles wieder zerschlagen wird? All die Schätze und heiligen Werke Gottes in den Klöstern, all die Leben? Was wird mit unserer Stadt geschehen, wenn die Ordnung nicht mehr gehalten werden kann und das Plündern und Morden losgeht? Es geschieht ja bereits draußen vor den Mauern und allenthalben in den Vierteln und Winkeln.“
Meister Til klopfte dem Ratsgenossen und Stadtschreiber auf die Schulter. „Dann werden Männer wie wir unser Werk von neuem beginnen müssen.“
„Noch einmal wirst du Figuren erschaffen wie die Nackten drüben an unserer Bürgerkirch oder die Heiligen im Neumünster?“
Tilman lachte unfreiwillig. „Da war ich noch ein junger Mann. Nein, in unseren Tagen wird das Werk anders gebildet. Der Lauf der Zeit ist unglücklicherweise nicht stehen geblieben.“
„Genau, das ist es“, ließ sich nun auch Johann Wagenknecht vernehmen, „Martin hat recht. Was einmal zerschlagen ist, kommt nicht wieder zurück. Wir dürfen nicht Zusehen, bis es geschieht, wir müssen vorher etwas tun.“
„Aber was denn? Du weißt nicht, wann und wo geplündert wird.“ Tilman zuckte mit den Schultern, wie man es als Marotte von ihm kannte.
„Nein, das wissen wir nicht, aber wir wissen um die wertvollste Kunst und die heiligsten Schätze, die wir besitzen. Diese müssen wir schützen.“ Martins Niedergeschlagenheit war mit einem Mal verflogen. Ein neuer Plan kündigte sich an und ließ das wache Funkeln in seine Augen zurückkehren. Die Schankmagd des Gressenwirtes brachte drei weitere Becher mit Wein aus dessem besten Fass. „Wir bringen das, was der Stadt am wichtigsten ist, in Sicherheit, wir verstecken es.“
Tilman gluckste. „Du willst Adam und Eva abmontieren und irgendwo vergraben? Hast du überhaupt eine Ahnung wie schwer die sind, und wie kompliziert ein Transport wäre?“
„Aber doch nicht Adam und Eva. Vergib mir, Meister Til. Ich spreche von dem Wertvollsten und Heiligsten, das wir besitzen. Ich spreche von etwas, ohne das es unser Würzburg nicht gäbe und auch nicht geben kann. Deshalb müssen wir es retten. Und zwar ohne dass es dabei ein Aufsehen gibt.“
Johann ging ein Licht auf. „Unsere Frankenapostel! Aber sag, warum sollten Bauern oder Aufständische unsere Reliquien angreifen? Darin wäre kein Wert und kein Gewinn zu finden. Außerdem wurden sie doch schon sicher in ihren alten Steinsarg aus Burkards Tagen gelegt.
„Gewinn? Raserei des Pöbels kennt keinen Gewinn. Denk doch nur daran, was sie im Kloster Bronnbach getan haben.“
„Das ist uns nur berichtet worden. Wir wissen nicht immer, was stimmt und was nicht.“
„Es stimmt, Johann, es stimmt. Ich kenne als Schreiber des Rates alle Briefe, Berichte und Zeugenstimmen. Wir müssen handeln. Die Kriegsherren suchen ihr Geschäft, wir gehen dem unseren nach. Und das ist, die Seele unseres geliebten Würzburg zu retten.“
„Was willst du tun? Die Gebeine heimlich des Nachts etwa stehlen?“
Martin antwortete nicht.
Tilman zuckte mit den Schultern. „Also gut. Wir suchen jeder noch ein paar vertrauenswürdige Seelen zusammen und geben uns morgen während des Tages über Martin Nachricht zu einem weiteren Treffen. Aber nicht hier, kommt zu mir in den Hof.“
Johann Wagenknecht wollte gerade noch etwas erwidern, als Conrad Ochsner, Mitglied des Rates, den Erker stürmte, völlig außer Atem: „Es ist der Bermeter! Sie rotten sich zusammen mit etlichen Bauern am Schottenanger und im ganzen Meeviertel dort. Der Schuppel und der Spengler machen auch mit. Sie schimpfen nimmermehr nur auf den Bischof mit seiner Obrigkeit, sondern hetzen jetzt auch gegen die Hauptleute der