„Diesmal ist es anders.“
Martin ging hinüber zu seinem Stehpult und nahm das dort ausgelegte Blatt Papier in die Hand. „Ich will versuchen den Kampf und das Morden doch noch abzuwenden. Dies ist ein Schreiben an den Kommandanten Rotenhan droben auf der Festung. Freies Geleit in die Obhut des Rates soll die Leben dort wie auch innerhalb unserer Mauern schützen. Ich weiß mir einfach keinen anderen Rat mehr das Blutvergießen zu verhindern.“ „Aber Vater. Er wird dein Ansinnen verschmähen. Du weißt, dass er die Burg nicht übergeben darf. Sie sind dort oben gebunden an das Wort des Bischofs. Es gibt keine Lösung.“
„Thüngen ist feige geflohen, als noch viel zu retten war. Die Herren und all die Leut wissen, dass er sie zu opfern bereit ist. Vielleicht ist das eine letzte Möglichkeit für uns alle. Ich muss es einfach versuchen. Aber ich kann dies nicht als Vater von dir verlangen, du müsstest es aus eigener Entscheidung tun.“
„Was soll ich tun, Vater?“
„Du sollst das Schreiben im Schaft eines Pfeiles mit der Armbrust über die Mauern der Burg schießen. Bei der Geschützstellung neben dem Sonnenturm zum Gleßberg hin. Rotenhan weiß Bescheid.“
„Er weiß Bescheid?“
„Ja, während der letzten Unterhandlungen haben wir es so vereinbart. Das war, bevor der Bischof floh.“ Martin zog die Lade an seinem Pult auf, nahm das schwere Stadtsiegel sowie die rote Siegelwachskerze heraus und entzündete diese an der Lampe auf dem Pult. „Nicht alle streben nach Blutvergießen. Auf beiden Seiten nicht. Und Rotenhan gehört dazu. Ebenso wie ich.“
Hanne pfiff durch die Zähne, rieb sich mit der Rechten nachdenklich das Kinn, wie es zumeist die Männer taten, wenn sie mit der Hand durch die modisch geschnittenen Bärte fuhren. „Aber das ist Verrat! Auf beiden Seiten ist es das. Vater, hast du dir das gut überlegt, der Krieg ist doch schon da. Es kostet dich den Kopf, wenn es herauskommt.“
Martin begann damit die Briefe des Rates an verschiedenste Städte und Bürgerschaften in Nah und Fern zu siegeln. „Kind, ich weiß das und habe es mir sehr gut überlegt. Deshalb kann ich ja auch nicht verlangen, dass du weiterhin für mich Dienste verrichtest und dich in Gefahr begibst.“
„Wen kannst du mit dieser Botschaft schicken, wenn ich es nicht tue?“
„Ich weiß es nicht. Vertrauen ist in diesen Tagen ein sehr brüchiges Geschäft. – Aber ich finde jemanden, Hanne. Du darfst es nicht machen, weil dein alter Vater sich in den Kopf gesetzt hat unser Würzburg zu retten. Es müsste aus Glaube an das Richtige getan werden.“
„Gib dir keine Mühe, Vater. Du weißt, dass auch solche Worte mir kaum eine Wahl lassen. Und du weißt, dass ich es nicht ertragen würde, wenn du ins Unglück gerietest.“
„Verzeih mir, Tochter. Ich selbst kann es nicht tun, ich muss mich noch heut Abend wieder mit einigen Räten und Hauptleuten zusammen tun, und dein Bruder …“
„Schon gut Vater. Ich schleich mich an den Berg heran, wenn in der Nacht alles zur Ruh gekommen ist. Eine Frage habe ich aber noch: Wieso glaubst du, dass die Burgleute jetzt ihre Meinung geändert haben könnten, wenn sie doch vor etlichen Tagen nicht einmal die Pferde ziehen lassen wollten, damit wenigstens die armen Tiere überleben würden?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht ist ihnen nun die Übermacht der herangezogenen Bauernhaufen deutlicher geworden. Sie sprachen davon, zehntausend Kämpfer tapfer abwehren zu können. Jetzt aber belagern weit über zwanzigtausend schon die Burg, dazu die Bürgerschaft. Es ist eine Zeit, in der sich alle Tage alles ändert. In die eine und dann aber auch wieder andere Richtung. Man muss handeln, wenn der Augenblick gekommen ist. Das wissen die Kriegsherren, aber auch solche, die nach Frieden und Ordnung trachten.“
Hanne pfiff wieder leicht durch die Zähne, das war ihre Art. Dazu nickte sie. „Wie also soll ich es machen?“
Martin ging zu einer der schweren Truhen mit seinen Dokumenten, entnahm jetzt aber einen stabil und massig wirkenden Bolzen, wie er mit der Armbrust verwendet wurde, zog die eiserne Spitze ab und zeigte Hanne den Hohlraum im Schaft. Dann rollte er das Blatt mit seinem Schreiben an den Burgkommandanten fest zusammen, steckte es in den Schaft und setzte die Spitze wieder darauf. Zum Schluss ließ er noch etwas Siegelwachs darüber tropfen.
„Das ist unser verabredetes Zeichen.“
Hanne nahm den Bolzen, nahm auch die nunmehr gesiegelten Briefe an sich und verließ das Kabinett des Vaters.
***
„Es ist sicher“, sagte Johann Wagenknecht, einer der beiden Bürgermeister Würzburgs aufgebracht in die versammelte Runde, „Bermeter wird gemeinsam mit etlichen Haufen gegen die Festung anrennen. Viele seiner Anhänger haben schon unauffällig über den Fluss hinüber gesetzt. Noch vor dem Morgengrauen soll es losgehen. Bei den Bauern sollen es vor allem solche sein, die unter deinem Befehl bei Höchberg und den Zeller Auen liegen. Odenwälder und Neckartaler …“
Götz von Berlichingen stand die Wut ins Gesicht geschrieben: „Diese Saukerle“, entfuhr es ihm. „Pressen mir ab sie zu führen und stiften dann nichts wie Aufruhr und Ungehorsam. Wenn ich die in die Finger bekomme. Das sollen sie zweifach büßen, in diesem törichten Sturm und in meinem Zorn!“ Es schepperte gewaltig, als die berühmte Eisenfaust zu Tisch fuhr.
Götz war ein freier Reichsritter und aufgrund zahlloser Fehden zu einer gewissen Berühmtheit gekommen, bis ihn schließlich die mehrfache Reichsacht und weitere Umstände gezwungen hatten, den Landfrieden des Schwäbischen Bundes anzuerkennen und einen heiligen Fehde-Verzicht zu beeiden, die sogenannte Urfehde.
Daran hatte er sich gehalten, bis die Bauern des sogenannten Hellen Haufens, Weinsberger, Odentaler und andere Gruppen, ihn unter der Führung von Georg Metzler gegen Verschonung seines Besitzes zu einem Vertrag zwangen. Und obwohl er durchaus mit manchen der 12 Memminger-Artikel der Bauern sympathisierte, war dieser Krieg nun einmal nicht der seine. Himmel, mütterlicherseits war er gar verwandt mit Thüngen, dem geflohenen Bischof. Das würde ihnen noch leidtun, insbesondere dem Metzler, diesem Hundsfott.
„Wenn es stimmt, was du sagst, Johann, so ist das doch Verrat. Wir haben im Bauernrat zwar den Sturm auf die Festung beschlossen, da eine Übergabe aber nicht zu erreichen ist, müssen wir auf die starken Geschütze aus Tauberbischofsheim und Rothenburg warten. Ist der Bermeter denn völlig von Sinnen?“
Der langjährige Ratsherr, zeitweilige Bürgermeister und weithin gerühmte Bildschnitzer Tilman Riemenschneider war ebenfalls mit von der Partie in dieser Runde, die sich seit kurzem allabendlich beim Gressenwirt noch einmal traf. Die jüngsten Entwicklungen des Tages sollten dabei nach Möglichkeit besser abgestimmte Pläne der Vernunft schmieden, als es in dem von Undurchsichtigkeit und aufgewühlten Gefühlen geprägten Bauernrat geschah, der gleichfalls alle Tage im nahen Kloster der Barfüßer zusammen kam.
„Er will seinen Sturm und will ihn unbedingt jetzt gleich. Es berauscht ihn, dass die Leute seinen Worten folgen und sich gar gegen die Oberen der eigenen Stadt stellen.“ Die Worte kamen von Florian Geyer, dem ebenfalls sehr charismatischen Anführer des Schwarzen Haufens, der bei Heidingsfeld lagerte; Wagenknecht gab ihm mit einem freudlosen Nicken recht. „Damit findet er auch viele Anhänger in den einzelnen Häuflein. Aber er weiß, lange hält eine solch feurige Hitze und Stimmung im gemeinen Volk nicht an; deshalb schreit er danach die Burg sofort zu berennen, denn in drei Tagen werden die Einfältigen ihm vielleicht schon nicht mehr folgen.“
„Und dennoch ist er selbst nichts weiter als ein tumber Tropf“, brummte Götz und leerte seinen tönernen Weinpokal in einem Zug, „die haben dort oben weittragende Kanonen, hohe, massive Mauern und eine ganze Anzahl schwer gerüsteter Ritter. Wie will er da mit einer Bande leicht bewehrter Bauern und Bürger überhaupt eindringen? Und wenn es doch gelingt, stellt euch nur vor, was diese dort oben versammelte Schar an Kriegsherren und Rittern dann mit ihnen macht.“ Sein Blick ging durch die Runde. „Nein, ich werde diesen Unsinn aufhalten, bevor er beginnt. Stimmt ihr mir darin zu?“
Das Klappern der Becher und Pokale auf der Tischplatte