Im ersten Teil verknüpfe ich Erlebnisse aus den beiden Mitgliederversammlungen der Generaloberinnen (UISG) 2016 und 2019 in Rom mit Fragestellungen, die innerkirchlich unter den Nägeln brennen und mit denen sich der Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland befasst. Im zweiten Teil blende ich zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Würzburgerin und Gründerin der Kongregation der Dienerinnen der hl. Kindheit Jesu, Antonia Werr (1813–68), an kirchlichen Strukturen gelitten und sich an Themen abgearbeitet hat, die uns heute immer noch beschäftigen. Im dritten Teil positioniere ich mich zu Aspekten, die insbesondere im Forum „Frauen in Diensten und Ämtern“ beim Synodalen Weg eine Rolle spielen sowie zu einigen Themen anderer Syndodalforen und veröffentliche Statements, die unsere Kongregation bei den wichtigsten beschlussfassenden Kapiteln für den Geltungsbereich unserer Konvente in Deutschland, in den USA und Südafrika verabschiedet hat.
1.Papst Franziskus und die (Ordens-)Frauen
Im Mai 2016 habe ich zum ersten Mal an der alle drei Jahre in Rom stattfindenden Mitgliederversammlung der Internationalen Vereinigung der Generaloberinnen (UISG) teilgenommen.21 Die Tagung stand unter dem Motto „Für das Leben eine globale Solidarität weben“. Es findet traditionell im einzigen Hotel in der Ewigen Stadt statt, das – wie mir andere Teilnehmerinnen berichteten – über eine Aula verfügt, in der bis zu 1.000 Menschen auf einmal tagen können. Die versammelte Frauenpower beeindruckte mich sehr. 870 Generaloberinnen, die weltweit hunderttausende Ordensfrauen apostolisch-tätiger Kongregationen vertreten, saßen an runden Tischen, in elf Sprachgruppen aufgeteilt. Alle Meditationen, Vorträge und Impulsfragen wurden von Referentinnen aus den eigenen Reihen vorgetragen. Befremdlich war für mich allerdings, was ich dann bei den Eucharistiefeiern erlebte: Täglich um 11 Uhr betrat ein Mann – meist ein Ordensmann, ab und zu ein hochrangiger Vertreter des Vatikans – den Saal, legte das Wort Gottes aus und zelebrierte die Messe. Danach verschwand er ebenso schnell wie er gekommen war, und wir Ordensfrauen waren wieder unter uns.
Von Tag zu Tag erschien mir dieser Auftritt anachronistischer, wie ein Relikt aus vergangener Zeit, deplatziert und fragwürdig. Hier saßen Frauen, die – unabhängig davon, ob sie in Russland, Südkorea, Brasilien, Nigeria, Kanada, Indien oder Tschechien lebten – allesamt geistliche Leiterinnen katholischer Gemeinschaften sind. Sie sind vielfältig in allen vier kirchlichen Grundformen tätig: in Liturgie und Stundengebet, in der Diakonie, Glaubensverkündigung und in der Sammlung der Gemeinschaft. Alle sind beauftragt, ihren Kongregationen vorzustehen; ihre Mitglieder haben ihnen für eine gewisse Amtszeit Personal- und geschäftsführende Verantwortung übertragen. Sie entscheiden über die Aufnahme neuer Mitglieder und nehmen im Namen der Kirche deren Gelübde entgegen. Sie begleiten sterbende Schwestern und übernehmen bisweilen den Beerdigungsdienst. Sie errichten und schließen Niederlassungen; sie stehen – oft über Länder und Kontinente hinweg – in Kontakt mit Schwestern, Konventen, Regionen und Provinzen; sie korrespondieren mit weltlichen und kirchlichen Behörden. Die Kongregationen fungieren als Arbeitgeberinnen und unterhalten Einrichtungen, engagieren sich pastoral und sozial, sind im Bildungs- oder Gesundheitswesen tätig oder an der Seite von besonders verwundbaren Menschen. Sie tun dies alles in der Nachfolge Jesu, indem sie nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, seine froh machende Botschaft erfahrbar werden zu lassen, entsprechend dem jeweiligen Gründungscharisma und der ihren Gemeinschaften zugrunde liegenden spirituellen Ausrichtung. Die Generaloberinnen dürfen Unternehmen leiten, Theologie lehren, Mitglieder ausbilden, weitreichende finanzielle und wirtschaftliche Entscheidungen treffen, nur einiges Wenige dürfen sie nicht: Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi wandeln, Kranke salben und im Namen der Kirche Sünden vergeben.
Als ich an meinem deutschsprachigen Tisch während einer Reflexionsrunde einmal mein Befremden und inneres Dilemma mit der priesterlichen Situation kundtat, versuchte mich eine Kollegin aus Österreich zu trösten, die in der vierten Amtszeit Generaloberin war. Sie schilderte mir die enormen Fortschritte, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben habe. Als sie in den 1990-er Jahren erstmals an den UISG-Tagungen teilgenommen hatte, seien die Vorträge noch allesamt von männlichen Referenten, meist von Angehörigen des Jesuitenordens, gehalten worden. Sukzessive hätten Expertinnen aus den eigenen Reihen die Moderation und Gestaltung der Inhalte übernommen. Für mich wurde nie deutlicher als in jenen Tagen, wie sehr die Feier der Eucharistie ein Ämterverständnis spiegelt, in dem die Weihevollmacht und sakramentale Amtshandlung strikt an das männliche Geschlecht gebunden sind. Und mehr als jemals zuvor hat mich dies zutiefst befremdet und irritiert.
Drei Tage später am 12. Mai 2016 fand eine Audienz mit Papst Franziskus in der Aula Paul VI. statt.22 Schon Wochen vor unserem Treffen in Rom waren wir per Mail eingeladen worden, Fragen an die Koordinatorinnen unserer elf Sprachgruppen zu schicken, die wir Papst Franziskus stellen wollten. So kamen insgesamt 250 Einzelfragen zusammen, die vom Präsidium der UISG zu sechs Fragenkomplexen gebündelt und im Vorfeld an den Papst weitergeleitet worden waren. Obwohl er sich schriftlich auf die Audienz vorbereitet hatte, suchte Franziskus den Dialog mit den Ordensfrauen und bat die Präsidentin Sr. Carmen Sammut MSOLA (Malta), ihre Fragen erneut zu stellen. Im ersten Anliegen ging es um die bessere Einbindung von Frauen in die Entscheidungsprozesse der Kirche sowie um die Möglichkeit für Frauen, in der Eucharistiefeier zu predigen. Hier gab der Papst zu, dass Frauen noch zu wenig in Entscheidungsprozesse eingebunden sind und versprach Abhilfe. Im Fall der Predigt in der Eucharistiefeier verwies er auf die Einheit von Wortgottes- und Eucharistiefeier, in der der Priester den Vorsitz habe und „in persona Christi“ handelt.
Das zweite Thema betraf die Einführung eines ständigen Diakonates für Frauen mit der Begründung, dass gerade (Ordens-)Frauen sehr stark im diakonalen Bereich tätig sind und gipfelte in den Fragen: „Was hindert die Kirche daran, auch Frauen unter die ständigen Diakone aufzunehmen, genau wie es in der frühen Kirche geschehen ist? Warum setzt man keine offizielle Kommission ein, die diese Frage untersuchen könnte?“23 Der Papst versprach, diesen Vorschlag aufzugreifen. Weitere Anliegen bezogen sich auf die bessere Einbindung von Ordensfrauen in Belange des geweihten Lebens. Es wurde die Frage gestellt, wie es möglich ist, dass die Stimmen von 2000 weiblichen Ordensinstituten „sehr oft vergessen und nicht einbezogen werden“, etwa in den Vollversammlungen der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und für die Gesellschaften des apostolischen Lebens? „Kann die Kirche es sich erlauben, über uns zu sprechen statt mit uns zu sprechen?“24 Auch sprach das Präsidium der UISG über die Erfahrung von Ordensfrauen, in ihrem Dienst an der Seite von Armen und Ausgegrenzten bisweilen von Vertretern der kirchlichen Hierarchie als politische Sozialaktivistinnen hingestellt zu werden. „Einige kirchliche Autoritäten möchten, dass wir mystischer und weniger apostolisch“ sind.25 Hier ermutigte Papst Franziskus die Schwestern, ihrem eigenen Charisma zu trauen, in der Freiheit des Geistes Gottes zu handeln, und betonte, dass das Kirchenrecht ein Werkzeug sei, das der Wirklichkeit angepasst werden könne und müsse, wenn es die Notwendigkeiten erforderten.
Die Nachricht über das Vorhaben des Papstes, eine Studienkommission einzusetzen, die das Frauendiakonat weiter untersuchen sollte, hatte noch am selben Abend weltweit die Schlagzeilen beherrscht.26 Mit einer Gruppe der in Rom versammelten deutschsprachigen Generaloberinnen feierten wir das Ereignis. Gemeinsam hatten wir Hoffnung geschöpft, dass die verschlossen geglaubte Tür zur Frauenordination möglicherweise nur geschlossen, aber nicht dauerhaft zugeschlagen oder gar verriegelt sei. Weitere Hoffnung, dass es Franziskus ernst sein könnte mit der Frauenförderung in der katholischen Kirche, keimte auf, als die Liturgiekommission wenige Wochen später den 22. Juli aufwertete. Seitdem wird der Tag in Erinnerung an die erste Osterzeugin Maria von Magdala gleichrangig wie ein Apostelfest begangen, und es gibt eine eigene Präfation im liturgischen Hochgebet.
Überhöhung des Papsttums