Das Ende des Tunnels. Dr. med. Daniel Dufour. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dr. med. Daniel Dufour
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783863744953
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frage ihn, ob es denn vorkomme, dass er an die schwierigen Situationen zurückdenkt, die er durchlebt hat. Er sagt mir, dass er manchmal Albträume habe im Zusammenhang mit einem Vorfall vor einigen Jahren, bei dem ein Mann, der im Auto eingeklemmt gewesen war, vor seinen Augen verstorben ist. Auch andere Erlebnisse gehen ihm von Zeit zu Zeit durch den Kopf. Er versteht nicht recht, warum genau diese und nicht andere, aber er vertreibt sie sofort, „um nicht mehr daran denken zu müssen“. Nach gewissen beruflichen Einsätzen fallen ihm auch manchmal vergleichbare Szenen ein. Dann wird er nervös, schwitzt stark und muss einen Moment lang pausieren, bevor er weiterarbeiten kann. Diese Vorfälle dauern bis zu einer halben Stunde. Sie hinterlassen bei ihm das seltsame Gefühl, sich selbst zuzusehen: „als schwebte ich über den Dingen und wäre mein eigener Zuschauer“.

      Spricht Paul mit jemandem in seinem Umfeld darüber? „Ja, ich habe mit einem Kollegen darüber gesprochen, mit dem ich eng befreundet bin, und das hat mich beruhigt, weil er gesagt hat, dass ihm das auch passiert.“ Er schiebt es auf den Stress bei der Arbeit, die Müdigkeit und die Tatsache, dass es ihm manchmal eben nicht so gut gehe und er dann nicht so widerstandsfähig sei. Sieht er einen Zusammenhang mit den körperlichen Problemen, die er hat? „Vielleicht gibt es einen Zusammenhang, aber ehrlich gesagt wüsste ich nicht, welchen.“

       Pauls Bluthochdruck und die Bandscheibenoperation sind nur Folgen dessen, was ihn wirklich quält, und das schon seit Langem. Paul leidet an einer PTBS. Und es kann gut sein, dass es auch dem befreundeten Polizisten so geht.

      Josette, 45, Lehrerin

      Mitten im Unterricht wurde Josette von einem Schüler angegriffen. Nachdem sie ihn zurechtgewiesen hatte, weil er so laut gewesen war, hatte er sie als „Drecksschlampe“ bezeichnet, war auf sie zugekommen und hatte versucht, sie zu würgen. Josette war stumm und wie erstarrt stehen geblieben, und nur dank anderer Schüler, die dazwischen gegangen waren und den Angreifer zurückgehalten hatten, hatte sie befreit werden können. Der Angreifer hatte ihr noch gedroht und ihr zugeraunt, dass er sie sowieso „kaltmachen“ würde.

      Der Zwischenfall liegt etwa ein Jahr zurück. Josette findet, dass ihre Vorgesetzten sie nur wenig unterstützt haben, nachdem sie Anzeige gegen den Schüler erstattet hatte. Sie waren bemüht gewesen, den Vorfall unter den Teppich zu kehren. Der Schüler wurde zwar für eine Woche vom Unterricht ausgeschlossen und musste eine schriftliche Entschuldigung vorlegen, doch bedrohte er sie noch zwei Wochen lang nach Schulschluss, ohne dass etwas unternommen wurde, um ihn daran zu hindern. Schließlich ließ sie sich auf eigenen Wunsch an eine andere Einrichtung versetzen.

      Josette sucht mich auf, weil sie seit diesem Vorfall an Schlaflosigkeit leidet, demotiviert und von der Arbeit sehr erschöpft ist. Sie hat jedes sexuelle Interesse verloren, was die Beziehung zu ihrem Mann erschwert, der ihr plötzliches Desinteresse nicht versteht. Vor zwei Monaten wurde sie von ihrem Hausarzt krankgeschrieben. Er hatte ein Burn-out diagnostiziert. Seither nimmt sie Antidepressiva und Schlafmittel. Dennoch hat sie auch weiterhin Albträume, in denen sie von Männern angegriffen wird, hat keine Lust zu arbeiten, sieht ihre Zukunft in einer Sackgasse, weiß nicht, was sie eigentlich möchte, und erlebt Augenblicke, in denen sie des Lebens überdrüssig ist. Sie meidet das Viertel, in dem ihre ehemalige Schule liegt, aus Angst, dort auf ihren Angreifer oder Mitglieder seiner Clique zu treffen. Wenn sie nach draußen geht, hat sie Angst, ihm zu begegnen. Deshalb verbringt sie viel Zeit in der Zurückgezogenheit ihres Hauses, obwohl sie vor dem Zwischenfall viel unterwegs war.

       Josette hat kein Burn-out, sondern schlicht und einfach eine PTBS.

      Pierre, 33, Rechtsanwalt

      Pierre ist Anwalt. Er wurde als Pflichtverteidiger für einen Dreizehnjährigen bestellt, der wiederholt von vier Klassenkameraden gemobbt und gequält worden war. Das ging so weit, dass sie ihn geschlagen, vergewaltigt und erniedrigt hatten. Die Eltern des Jugendlichen hatten Klage eingereicht, und Pierre entdeckte „eine Welt, von der er keine Ahnung hatte und die ihn schwer schockierte, so abartig fand er sie“.

      Die Vorfälle liegen drei Jahre zurück, der Prozess endete mit der Verurteilung der vier Peiniger.

      Pierre sucht mich auf, weil er sich seit dem Ende des Prozesses erschöpft fühlt, zur Nervosität neigt und mehr trinkt als üblich, um sich zu entspannen. Er denkt sehr häufig daran, was der Jugendliche durchmachen musste, den er verteidigt hat. Manchmal passiert es ihm sogar, dass er „alles noch einmal durchlebt, als wäre es ihm selbst zugestoßen, obwohl er genau weiß, dass es nicht ihm passiert ist“. Wenn das eintritt, fragt er sich, ob er nicht verrückt ist. Gespräche über Gewalt erträgt er nicht mehr, und er schaut auch keine Nachrichten mehr im Fernsehen. Pierre macht sich Sorgen und fragt sich, ob er nicht eine schwere Depression durchmacht, auch wenn er die Gründe dafür nicht versteht, denn in jeder Hinsicht ist sein Leben angenehm und geordnet.

       Depressionen haben nichts mit Pierres Problemen zu tun. Er leidet an einer PTBS.

      Liliane, 37, Buchhalterin

      Seit sechs Monaten fühlt Liliane sich alles andere als gut. Sie ist körperlich und nervlich am Ende, ist deprimiert, sehr reizbar, liegt oft wach und hat große Probleme, überhaupt einzuschlafen. Sie spürt, dass sie nicht mehr in der Lage ist, sich um ihre zwei Kinder zu kümmern und ihre Rolle als Ehefrau auszufüllen. Das macht sie sehr traurig. Sie leidet unter Angstzuständen: So fällt es ihr zum Beispiel sehr schwer, nach draußen zu gehen, Leute zu treffen oder eine Vorführung zu besuchen. Sie spürt, dass sie sich immer mehr zurückzieht, keine Lust mehr auf einen Austausch mit ihren Freundinnen hat und großen Zorn empfindet, sobald sie mit ihren besorgten Eltern spricht. Sie versteht nicht, was mit ihr passiert, und fragt sich, ob sie nicht allmählich „durchdreht“. Liliane hat ihren Hausarzt aufgesucht, der sie vor zwei Monaten krankgeschrieben und ihr geraten hat, ein Antidepressivum einzunehmen. Trotz der Behandlung sieht sie keinerlei Besserung ihres Zustands, im Gegenteil.

      Nach einem Sturz zu Hause war Liliane vor sechs Monaten im Krankenhaus, wo ihr rechtes Handgelenk eingegipst wurde. Sie war nur ganz kurz dort. Sie fand es so unerträglich, dass sie schon am Morgen nach ihrer Einweisung darum bat, nach Hause zu dürfen. Sie hielt es nicht aus, in der Einrichtung zu bleiben, denn es erinnerte sie an einen Krankenhausaufenthalt, den sie im Alter von vier Jahren aufgrund eines Oberschenkelbruchs erlebt hatte. Damals hatte man ihr einen Gips verpasst, der das ganze Bein und ihr Becken bedeckte. Sie hatte drei Monate im Krankenhaus verbringen müssen, was viele Unannehmlichkeiten mit sich gebracht hatte, vor allem die Trennung von ihren Eltern und ihrem Bruder. Das kleine Mädchen, das sie damals war, langweilte sich schrecklich. Obwohl sie meinte, diese schwierige Zeit vergessen zu haben, sind die schlechten Erinnerungen zurückgekommen, als sie wegen des Handgelenks kurz im Krankenhaus war.

      Seit Verlassen des Krankenhauses versetzt allein der Anblick des Gipsverbandes Liliane in heftige Panik. Sobald sie versucht einzuschlafen, tauchen vor ihren inneren Augen Szenen des Krankenhausaufenthaltes von damals auf. Sie hat Albträume davon, und manchmal passiert es, dass sie wach wird und sich selbst wie von außen betrachtet. Dann hat sie das Gefühl, ihr Handgelenk wahrzunehmen, „als sei es nicht mehr Teil von ihr“. Das ist jetzt vier Mal passiert, was sie zu der Frage treibt: Wird sie jetzt verrückt? Sie hat lieber niemandem davon erzählt, weil man sie ja für „durchgeknallt“ halten könnte. Auch mit ihrem Hausarzt hat sie nicht darüber gesprochen, weil sie Angst hat, er würde sie nicht verstehen.

       Liliane ist weder verrückt noch depressiv: Sie leidet an einer PTBS.

      Yves, 35, Banker

      Vor acht Jahren hat Yves, der in der Schweiz lebt, eine Amerikanerin geheiratet. Zwei Jahre später haben sie ihren gemeinsamen Sohn bekommen. Auch wenn Yves zugibt, dass er damals sehr in die Arbeit vertieft und mit den vielen Geschäftsreisen mehr als beschäftigt war, lief doch alles gut in seinem Leben. Dennoch wurde die Beziehung mit der Zeit immer angespannter. Seine Frau warf ihm vor, zu viel an seine Arbeit zu denken und sich nicht genug Zeit für sie und den Sohn zu nehmen. Vor vier Jahren reisten Frau und Kind zum Sommerbeginn nach Kalifornien und kehrten nie zurück. Yves bekam nur eine E-Mail von seiner Frau, in der sie ihm mitteilte, dass sie nicht in die Schweiz zurückkehren werde, da sie sich scheiden lassen wolle. Um Kontakt zu ihr aufzunehmen, musste er einen Anwalt einschalten.