Man kann dieser Frage scheinbar elegant ausweichen, indem man Zuflucht bei einem „All-Einheits-Denken“ oder einem erneuerten Pan(en)theismus sucht und diesen obendrein als kompatibel mit dem Paradigma „Evolution“ bzw. einer naturwissenschaftlichen Kosmologie ausgibt.35 Die Verschiedenheit von Gott und Welt wird dabei so angesetzt, dass sie nochmals von einer Hyper-Einheit umgriffen ist, die ihrerseits Gott zugerechnet wird. Alles Endliche und Geschaffene geht in diesem Modell aus einer (evolutiven) Selbstdifferenzierung des Absoluten bzw. Göttlichen hervor. Fraglich ist jedoch, wie bei einem solchen Versuch die Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz sowie die radikale Autonomie des Welthaften und die Alterität Gottes noch gedacht werden können. Gleichwohl kommt ein derartiger Ansatz vielen religiös Suchenden und ihrem Bedürfnis nach mystischer Vereinigung oder Einheit mit dem Göttlichen entgegen.36 Und er scheint auch dialogfähig mit spirituellen Traditionen zu sein, die hinduistisch oder taoistisch geprägt sind.37 Ob stattdessen die christliche Theologie nicht eher auf einem dialogischen Gegenüber von Gott und Mensch insistieren oder die Gemeinschaft von Gott und Mensch derart denken sollte, dass sie eine „communio“ der bleibend Verschiedenen impliziert, eröffnet eine grundsätzliche Alternative, deren Erörterung breiten Raum beansprucht.38
Beiden Seiten dieser Alternative geht es gleichwohl um eine gemeinsame Grundfrage, die zudem für die Streitsache Offenbarung nicht weniger zentral ist als für die Streitsache Heilswege: Wie kann der endliche und bedingte Mensch das Unendliche fassen oder den Unbedingten erfassen – in der Weise unbegrenzten Selbstseins oder im selbstlosen Aufgehen im Grenzenlosen? Wo und wie kann er sich vom Ungreifbaren ergreifen lassen? Kann überhaupt ein unmittelbares Verhältnis zwischen Endlichem und Unendlichem, Bedingtem und Unbedingtem gedacht werden? Ist der Mensch überhaupt „capax Dei“? Inwiefern kann er Subjekt eines Verhältnisses zu Gott sein? Vor allem aber geht es um die Frage, unter welchen Bedingungen überhaupt ein Gottesverhältnis des von Gott radikal verschiedenen Menschen und ein Weltverhältnis des gegenüber der Welt transzendenten Gottes widerspruchsfrei gedacht werden können. Sollten Zweifel an deren Denkbarkeit ausgeräumt sein, bleibt immer noch zu diskutieren, unter welchen Umständen diese Verhältnisse offenbar werden können.
Wer auf diese Frage eine affirmative Antwort geben will, wird umgehend mit der Skepsis konfrontiert, ob ein überkommenes „substanzontologisches“ Verständnis der Wirklichkeit Gottes und einer Gott/Welt-Beziehung noch aufrechterhalten werden kann. Hierbei werden sowohl die Wirklichkeit Gottes als auch die des Menschen als zwei „in sich“ und „für sich“ bestehende Entitäten verstanden, für die eine Beziehung stets ein nachträglich realisiertes Verhältnis darstellt. Eine Beziehung besteht hier nur zwischen zwei Größen, aber kann niemals diese Größen selbst konstituieren. Bleibt man bei dieser Prämisse, dann errichten Beziehungen ein „Zwischen“, das zwei Größen nicht weniger trennt, als es sie einander nahekommen lässt. Ein „All-Einheits-Verhältnis“ von Gott und Welt ist dann aber ebenso wenig denkbar wie eine Selbstvergegenwärtigung Gottes in der Welt (Offenbarung). Und religiöse Heilswege können dann bestenfalls in eine Sphäre zwischen Gott und Mensch führen, von der man vermuten kann, dass hier ein Niemandsland beginnt.
Bei der Suche nach Alternativen habe ich mit einer Relationalen Ontologie eine Referenztheorie gewählt, die von etlichen Prämissen Abschied nimmt, die derzeit in vielen theologischen Konzepten noch vorausgesetzt werden und zu den angedeuteten Problemen führen. Es handelt sich um Voraussetzungen, denen der Abschied zu geben ist, soll unter den Denkplausibilitäten der Gegenwart noch verantwortbar von einem Gott/Welt-Verhältnis, von Offenbarung und Erlösung, von der Besonderheit des Christentums angesichts anderer Religionen und seiner Gemeinsamkeit mit ihnen gesprochen werden. Von dieser Referenztheorie nimmt die Neuformatierung der „klassischen“ fundamentaltheologischen Traktate, ihrer Beweismittel und -ziele ihren Ausgang.39 Verbunden ist damit auch ein verändertes Arrangement der einzelnen „demonstrationes“.
Zur Debatte steht zunächst mit der Streitsache Gott die Verantwortbarkeit einer Rede von Gott, für die angesichts einer Gott los gewordenen Moderne weder eine klare Anschlussfähigkeit für innerweltliche Notwendigkeiten noch für Weltentstehungsreflexionen besteht. Darauf folgt die Streitsache Offenbarung, die nicht nur formal den Geltungsanspruch des Christentums anhand der Leitkategorien „Verhältnis“ und „Relation“ darlegt, sondern auch materialiter Auskunft über die Kernbotschaft des Christentums von der Selbstvergegenwärtigung Gottes als Ereignis unbedingter Zuwendung in den Lebensverhältnissen des Menschen gibt – und dies angesichts einer kategorisch bestrittenen Möglichkeit der Präsenz des Unbedingten im Bedingten. In der Streitsache Heilswege geht es nicht nur um die Frage, inwieweit die christlichen Konfessionen Ort und Ereignis des Heilswillens Gottes sein können. Hier ist vielmehr zu erörtern, inwieweit die Universalität dieses Heilswillens aus christlicher Sicht auch andere Religionen als Ort und Ereignis seiner Antreffbarkeit zu denken erlaubt, selbst wenn diese Antreffbarkeit von gänzlich anderer Art sein mag, als sie das Christentum von sich bezeugt. Auf diese Weise lassen sich für die konkrete Begegnung der Religionen wie für die theologische Reflexion des interreligiösen Dialoges neue (transversale) Beziehungsmuster entdecken. Somit wird der Themenkomplex einer Theologie der Religionen in ein fundamentaltheologisches Curriculum inseriert und umgekehrt die „quaestio catholica vel oecumenica“ in einen größeren Kontext gestellt.
Fragen einer theologischen Erkenntnis- oder Prinzipienlehre40 bzw. Erörterungen zur Wissenschaftstheorie der Theologie41 werden bei dieser Neuformatierung nicht gesondert traktiert. Zum einen sind die notwendigen methodischen Absicherungen in die einzelnen „demonstrationes“ eingegliedert. Zum anderen gilt für sie, was auch für eine der „demonstratio religiosa“ vorgeschaltete religionsphilosophische Reflexion42 zu notieren ist: Sie verdienen eigentlich eine eigene monographische Behandlung.
Widerspruch gegen dieses veränderte Arrangement ist nicht nur einkalkuliert, sondern durchaus erhofft. Kritik und Widerspruch gehören zur wissenschaftlichen Streitkultur. Wo die Theologie ihr keinen Raum bietet, wird sie selbst steril und langweilig. Langeweile aber ist tödlich. Zur Vermeidung von Langeweile werden im Folgenden sämtliche Plädoyers zu den Streitfällen „Gott – Offenbarung – Heilswege“ mit Hinweisen auf Alternativ- und Gegenpositionen versehen, mit denen ich mich kritisch auseinandersetze. Die Lektüre dieser Texte halte ich für lohnend. Bei aller Kritik können aus ihnen kontrastive oder komplementäre Sichtweisen zu meiner eigenen Position entwickelt werden. Vielleicht haben die von mir kritisierten Autoren am Ende ja doch Recht!? Ein Urteil darüber können und sollen aber nicht die betroffenen Autoren, sondern nur unsere Leserinnen und Leser fällen. Was ihnen dazu abverlangt wird, ist die Bereitschaft zu bisweilen anstrengender Kopfarbeit und ein gerüttelt Maß an intellektueller Beweglichkeit.
Nicht selten bricht Streit aus bei Menschen, die gemeinsam unterwegs sind und sich uneins sind, auf welcher Route die Reise fortgesetzt werden soll: auf der kürzesten oder schnellsten, auf der bequemsten oder beschwerlichsten? Ich habe mich entschlossen, bei jeder fundamentaltheologischen „demonstratio“ auch Vorstöße in bislang wenig erkundete Problemregionen der Theologie zu unternehmen. Dies schließt ein, dass ich mich jeweils für die am wenigsten abgesicherte Route entschieden habe – und dies erklärt wiederum den in der Gliederung der einzelnen Kapitel verwendeten Terminus Expeditionen. Als Entsprechungsvokabeln bietet das Synonymwörterbuch an: Entdeckungs-, Forschungsreise, Feldzug, Trekkingtour. Bei solchen Unternehmungen sind explorative, investigative und sportive