Der Schluß hat unstreitig einige Übereinstimmung mit der Ballade. Aber Valentin Schmidt geht wohl zu weit, wenn er behauptet, daß man die hohe Vortrefflichkeit des Schillerschen Gedichts nur würdigen könne, wenn man diese Legende lebhaft im Gedächtnis habe. Er glaubt nämlich, die Ballade setze die Legende voraus. Doch hören wir ihn selber:
»Die schwergekränkte Gattin, deren Unschuld endlich anerkannt ist, spricht die erste Strophe zu dem von Reue, Scham und Sehnsucht nach Wiedervereinigung still weinenden Gatten. Das Heftig-in-die-Arme-Pressen beim Abschiednehmen deutet auf das frühere eheliche Verhältnis, das seit jener furchtbaren Störung nach Iddas Willen nunmehr einem unvergänglichen Bund auf immer weichen muß. Der Zug des Ritters gegen die Ungläubigen, zugleich um Buße zu tun und Ruhe zu gewinnen, erreicht wenigstens den letzten Zweck nicht. Die Neigung zur früher mißhandelten und verstoßenen Gemahlin nimmt nur zu. Nicht länger als ein Jahr hält er es aus in der Ferne. Dann kehrt er zurück voll der irdischen Hoffnung, sie begütigt und versöhnt zu finden. Aber erst jetzt tritt der echte und fruchtreiche Schmerz ein, und mit ihm die wahre Reue und Buße. Die Nonne kann nicht wieder zur Ehefrau werden, jeder Weg, die irdische Neigung zu befriedigen, ist zerstört, und so muß sich auch des Ritters Trieb, welcher nach dem Besitz selbstisch haschte, notgedrungen in einen nicht sinnlichen verwandeln. Allein sehr entfernt ist er noch von der Leidenschaftslosigkeit und heiteren Seelenruhe Iddas. Sie, ›des Himmels Braut‹, sie, ›die Gott getraut‹, ist ein ruhiges engelmildes Bild, durch dessen erquickenden Anblick nur sein Hinaufschwingen zum Ewigen vermittelt wird. Ihm allein, ohne ihre kräftigende Nähe, würde dies nicht gelingen.«
Obwohl ich der Meinung bin, daß Schillers Gedicht für sich allein recht wohl bestehen könne und der Beziehung auf die Legende nicht bedürfe, um als vortrefflich gewürdigt zu werden, so mag es doch Stimmungen geben, wo wir die sentimentale Liebe des Toggenburgers, der sich und die Welt so ganz über einer Geliebten vergißt, die ihn ohne allen Grund verschmäht, mit unseren Begriffen von männlicher Würde nicht im Einklang finden, wo uns daher seine völlige Hingebung an dieselbe bis in den Tod erklärlicher scheinen würde, wenn wir sie mit dem Gefühl der Reue und dem Bedürfnis der Buße zu verbinden wüßten.
In einer solchen Stimmung war es vielleicht, daß ich mich verleiten ließ, die Legende der heiligen Itha, wie sie das Volksbuch meldet, als Einleitung zu Schillers »Ritter Toggenburg« zu behandeln. Um die genaue Verbindung der Legende mit der Ballade zu zeigen, auf die es dabei abgesehen war, setze ich jene hierher und lasse ihr die erste Strophe der Ballade unmittelbar folgen. Der Leser, dem die folgenden Strophen im Gedächtnis sind, wird nun imstande sein, sich für oder wider eine solche Verbindung zu entscheiden:
Itha von Toggenburg
»Wem hast du den Ring gegeben?
Die so züchtig schien!
An des Jägers Finger eben,
Falsche, sah ich ihn.
Den Verräter schleiften Pferde
Nieder in sein Grab;
Daß die Schmach gerochen werde,
Sollst auch du hinab.«
Reden will die Gräfin, wenden
Schimpflichen Verdacht;
Zornesflammen ihn verblenden,
Hat des Worts nicht acht.
Hebt sie auf mit starkem Arme,
Von dem hohen Saal
Stürzt der Wüterich die Arme
Tief ins tiefe Tal.
Gute Geister schweben nieder
Aus des Himmels Zelt,
Spreiten himmlisches Gefieder,
Daß sie sanfter fällt;
Betten ihr auf weichem Moose,
Und erwacht sie jetzt,
Ruht die Reine, Fleckenlose
Heil und unverletzt.
»Gnade deiner Magd erwiesen
Hast du, süßer Christ,
Nimmer wird es ausgepriesen,
Wie du gnädig bist.
Heiligend zu neuem Bunde
Lädt der Gnade Schein:
Dir von dieser Schreckensstunde
Leb’ ich, Herr, allein.«
Wo sich Ranken dicht verstricken
Bei des Adlers Horst,
Birgt sie vor der Menschen Blicken
Sich im tiefen Forst;
Nährt den Leib von Waldeskräutern,
Schöpft aus klarer Flut,
Sucht die Seele nur zu läutern
In der Andacht Glut.
Baut ein Hüttchen dann von Zweigen,
Deckt’s mit Rinde rauh:
Betend in der Wildnis Schweigen
Kniet die heil’ge Frau.
Hat in Kreuzesform verbunden
Sich zwei Stäbe Holz,
Wunderbare Lust empfunden,
Wenn das Herz ihr schmolz.
Wollt’ es dann nicht länger tagen,
Helles Licht herbei
Bracht’ ein Edelhirsch getragen
Zwischen dem Geweih.
Und so saß sie viele Tage,
Saß viel Jahre lang,
Lauschend ohne Schmerz und Klage
Himmlischem Gesang.
Doch des Grafen Herz durchschnitten
Scharfe Zweifel oft,
Ohne Schuld hat sie gelitten
Fürchtet er und hofft.
Spät verhört er seine Leute,
Allzuspät fürwahr
Wird dem Toggenburger heute
Ithas Unschuld klar.
Jenen Ring, des Bräut’gams Gabe,
Glänzend war sein Schein,
Diebisch haschend trug ein Rabe
Ihn vom Fensterstein,
Hielt das leuchtende Geschmeide
Froh im Schnabel fest,
Seine Jungen spielten beide
Gern damit im Nest.
Zogen Jäger drauf im Walde
Streifend da vorbei,
Hört der eine bei der Halde
Flügger Raben Schrei.
Sieht den Ring im Neste blitzen,
Schiebt ihn an die Hand,
Froh, das Kleinod zu besitzen,
Kommt er heimgerannt.
Tückisch lauschen grimme Strafen
Seiner Goldlust dort;
Aber schwer gereut den Grafen
Bald der Doppelmord.
Nächtlich fährt er aus dem Schlummer,
Träumt bei hellem Tag,
Da vernimmt er, was den Kummer
Wohl besänft’gen mag.
»Nicht