Es hilft ihm keiner in seiner Not,
Es hilft ihm nur der bittre Tod.
Und als der Tod ans Herze kam,
Da tönt’s auf einmal wundersam.
Die Kaiserglocke, die lange verstummt,
Von selber dumpf und langsam summt,
Und alle Glocken, groß und klein,
Mit vollem Klange fallen ein.
Da heißt’s in Speyer weit und breit:
Der Kaiser ist gestorben heut!
Der Kaiser starb, der Kaiser starb:
Weiß keiner, wo der Kaiser starb?
Zu Speyer, der alten Kaiserstadt,
Da liegt auf goldner Lagerstatt
Mit mattem Aug’ und matter Hand
Der Kaiser Heinrich, der Fünfte genannt.
Die Diener laufen hin und her,
Der Kaiser röchelt tief und schwer,
Und als der Tod ans Herze kam,
Da tönt’s auf einmal wundersam.
Die kleine Glocke, die lange verstummt –
Die Armesünderglocke – summt,
Und keine Glocke stimmt mit ein,
Sie summt so fort und fort allein.
Da heißt’s in Speyer und weit und breit,
Wer wird denn wohl gerichtet heut?
Wer mag der arme Sünder sein?
Sagt an, wo ist der Rabenstein?
Mit Heinrich V. schließt die erste Reihe der zu Speyer begrabenen Kaiser. Sie ruhen nebeneinander, nur bei Konrad seine Gemahlin, die fromme Gisela, bei dem vierten Heinrich seine vielgetreue, von ihm so oft bitter gekränkte Bertha, dieselbe, von der das italienische Sprichwort redet: »Non è più il tempo che Berta filava.« Über den Gräbern erhoben sich Sarkophage von rotem Marmor, in die bezeichnende Worte eingehauen waren, die, wenn man von Sarg zu Sarg hinüberlas, die Verse bildeten:
Filius Hic – Pater Hic – Avus Hic – Proavus jacet istic,
Hic Proavi Conjunx – Hic Henrici Senioris.
Von den Hohenstaufen liegen nur König Philipp, der Ermordete, und des Rotbarts Gemahlin Beatrix nebst ihrer Tochter Agnes zu Speyer begraben, von den Habsburgern Rudolf und sein ungleicher Sohn Albrecht. Kaiser Rudolfs Ritt zum Kaisergrab – er war in dem benachbarten Germersheim, seinem Königssitz, erkrankt und ritt im Vorgefühl des Todes nach Speyer, um seinen Leib in die Gruft seiner Vorfahren zu tragen – ist von mehreren deutschen Dichtern besungen worden. In meinen »Rheinsagen« habe ich Wilhelm Wackernagels Behandlung vorgezogen, welcher folgenden schönen, von dem gleichzeitigen Chronisten Ottokar von Horneck und erhaltenen, ohne Zweifel historischen Zug einzuflechten gewußt hat. Ein Steinmetz, wie Ottokar bescheiden meldet, hatte noch bei Rudolfs Lebzeiten sein lebensgroßes Bild auf einem Stein ausgehauen, und zwar so getreu, daß auch die Falten seiner Stirn nicht vergessen waren. Als der Kaiser nun zum Grab ritt, reiste er ihm nach, um auch die letzten Furchen, die das Alter noch in das Antlitz des nun Heimgegangenen gegraben hatte, auf seinem Bild nachzutragen. Und damit verstieß er nicht gegen die Regeln seiner Kunst, denn:
»Wer so in Sorgen war des Reichs Erhalter,
Auf dessen Stirn ist jede Falte heilig.«
Dieser Stein wurde nun sein Dach, singt Ottokar. Vermutlich ist es derselbe, welcher sich jetzt in der Antiquitätenhalle befindet. Rudolfs Gestalt ist hocherhaben ausgehauen, auf dem Rücken liegend, die Hände über der Brust gefaltet. Das Gesicht zeigt einen mageren Greis, die Runzeln der Stirn sind scharf ausgegraben, das Haupt deckt die Königskrone, ein faltenreicher Talar geht ohne Gürtel zu den Füßen, die auf einen ruhenden Löwen gestellt sind. Brust und Schultern zieren Wappenschilder mit dem Adler und dem springenden Löwen.
König Albrecht von Österreich und Kaiser Adolf von Nassau, im Leben Nebenbuhler und erbitterte Feinde, ruhen in Speyer friedlich nebeneinander aus, beide Opfer des Königsmordes, Adolf von Albrechts – aber in offener, ehrlicher Schlacht –, Albrecht gleich jenem Philipp, mit diesen Schicksal das seinige große Ähnlichkeit hat, meuchelmörderisch von der Hand eines Verwandten gefällt. Wenig großmütig hatte Albrecht seinem Gegner das Grab in Speyer versagt, um ihm noch im Tod die königliche Würde zu verweigern. Nach Albrechts Hingang ließ sein Nachfolger, Heinrich VII., beide Gegenkönige an demselben Tag und nur eine Handbreit voneinander in die Kaisergruft senken. Wie gerecht richtet die Geschichte! Adolf gab sie einen beneidenswerten Tod; sein Mörder Albrecht fiel durch Mörders Hand. Adolfs Ruhe im Grab wurde nicht gestört; Albrechts Grab schändeten und beraubten die Franzosen. Über Adolfs Asche erhebt sich jetzt, nach der Zerstörung der alten Denkmäler, ein neues von seltener Schönheit, das der Herzog von Nassau seinem königlichen Ahnherrn errichten ließ.
Wir haben Speyer die Totenstadt unserer Kaiser genannt. Galt sie aber unseren Altvorderen vielleicht für die Totenstadt überhaupt? Da es schwer ist, in diesen mythischen Halbfinsternissen klarzusehen, so wollen wir die Leser selber urteilen lassen. Man weiß aus Grimm, daß hier und da auch bei den Deutschen die Vorstellung auftaucht, als ob die Seelen der Verstorbenen durch ein stygisches Wasser müßten, welches das Reich der Lebendigen von dem der Toten scheide. Selbst die Sitte, den Leichnamen eine Münze in den Mund zu legen, damit sie das Fährgeld zahlen könnten, muß uns einst nicht fremd gewesen sein. An einigen Orten, und darunter auch zu Speyer, weiß der Volksglaube, dem uralte heidnische Erinnerungen zugrunde liegen mögen, von gespenstischen Erscheinungen zu erzählen, die durchaus an solche Vorstellungen erinnern. In stürmischer Nacht wird z.B. ein schlaftrunkener Schiffer von einer unheimlichen Gestalt geweckt, die ihm den Fährlohn in die Hand drückt und über den Strom gebracht zu werden verlangt. Statt des einen steigen dann sechs ein, und wenn der Schiffer nicht gleich abstößt, so füllt sich der Kahn mit schwarzen und weißen Gästen, daß der Fährmann keinen Raum für sich selber behält. Ist er endlich drüben, so wirft ein Sturm den Kahn an die Stelle der Abfahrt zurück, wo schon neue Reisende harren und die gespenstische Überfahrt von neuem angeht. Zuweilen haben die Unbekannten auch ihre eigenen Nachen, die so gedrängt vollgeladen werden, daß der Rand kaum fingerbreit über dem Wasser steht. Nicht immer sind die Reisenden sichtbar, aber deutlich werden ihre Stimmen vernommen. Schon Prokop hat eine solche Überlieferung aufgezeichnet, jene zu Speyer von den überschiffenden Mönchen hat Georg Sabinus nach Melanchthons Erzählung in Reime gestellt. Es ist gewiß nicht zufällig, daß diese weitverbreitete Sage unter allen Rheinstädten gerade in Speyer heimisch ist. Doch könnte man fragen, ob die Gräber unserer Kaiser zu der Ansiedlung der Sage Veranlassung waren oder ob umgekehrt die fränkischen Kaiser ihre Begräbnisse nach Speyer verlegten, weil die dortige Gegend unseren Vätern für das Land der Seelen galt?
Der Dom zu Speyer ist nicht allein durch seine Kaisergräber merkwürdig. Hier war es auch, wo der heilige Bernhard in Gegenwart des ersten Hohenstaufen, Konrads III., den Kreuzzug mit so hinreißender Beredsamkeit predigte, daß der einem Krieg in so entlegenem Land ungeneigte König ihr nicht widerstehen konnte und sich gerührt das Kreuz auf den Königsmantel heften ließ. Ja, als beim Ausgang aus dem Dom das begeisterte Volk seine Huldigung so ungestüm an den Tag legte, daß der Heilige im Gedränge fast erdrückt worden wäre, nahm ihn der König ehrerbietig auf die Schultern und trug ihn aus dem Gewühl vor das Münster. Daran hängt die Wundergeschichte von dem redenden Marienbild zu Speyer. Der heilige Bernhard hatte in dem dortigen Dom dem »Salve Regina«, dem bekannten Lobgesang der Himmelskönigin, in unwillkürlicher Anwandlung dichterischen Gefühls die Worte zugesetzt: »O Clemens! o Pia! o dulcis Maria!«, welche seitdem in allen Kirchen der Christenheit bis auf den heutigen Tag gesungen werden. In Speyer aber wurde nicht nur das »Salve Regina« jahraus, jahrein täglich gesungen, es wurden auch jene zugesetzten Schlußworte in vier Messingplatten gegraben und in den Boden des Langhauses in solchen Entfernungen eingelegt, daß die erste mit den Worten »O Clemens!« beim großen Tor, die letzte mit der Inschrift »Maria!« vor den Königschor zu den Füßen des hochberühmten Marienbildes zu liegen kam. Von diesem