»Geh nimm’s nur widder mit!
Die Bure sorje uns für Brot,
Sunsch sterbe mir de Hungertod;
Trah alles widder furt!«
‘s Fräule krint, der Vatter schilt:
Ȁ Bur mir nit als Spieldings gilt,
I lüd nit, daß me murrt.
Pack alles sachte widder iin
Unn trahs aus nemli Plätzel hin
Wo des genomme hest!
Baut nit der Bur sin Ackerfeld,
Seh fehlt’s bi uns an Brot unn Geld
In unserm Felsennest!«
Diese auch am Rhein häufig wiederkehrende Sage schließt zuweilen mit der altertümlichem Wendung, daß dem Riesen vor dem winzigen Bauern doch heimlich graut, denn er sagt zu der Tochter: »Tu’s weg, mein Kind; wir müssen fort aus diesem Land, und sie werden hier wohnen.« Der Ackerbau, wie alle menschliche Betriebsamkeit, ist dem Riesen verhaßt, er ahnt, daß er und sein Geschlecht einst von Bürgern und Bauern verdrängt werden. Und so spricht diese Sage gleichsam prophetisch aus, was wir in den gewerbefleißigen Wasgautälern erfüllt sahen.
Auch an der großen deutschen Heldensage hat das Elsaß keinen geringen Anteil. Die Katastrophe des nur in Eckeharts lateinischer Umdichtung erhaltenen Liedes von »Walther und Hildegunde« begibt sich im Vogesenwald an dem sogenannten Wasgenstein, der auch in den »Nibelungen« erwähnt wird und von dem Walther in der »Vilkinasage« den Namen trägt. Es ist der höchste Punkt der Vogesen, an welchem vorzeitig die alte Heerstraße von Elsaß nach Lothringen vorbeizog. Der Ort heißt noch heute Framont (Mons fractus) und liegt drei Stunden Weges von der Abtei Senones, sechs von Molsheim, unweit der Quelle der Plaine, die in die Meurthe mündet.
Der durchbrochene Berg wird uns so genau beschrieben wie kaum ein anderer Schauplatz unserer Heldenlieder. Zwei gewaltige Felsen fügen die Häupter zusammen und bilden unten ein enges Tor, zu dem nur ein schmaler Pfad Zutritt gibt. Auf diesem mußten die Reisenden durch die Höhle, welche Räubern oft zum Schlupfwinkel diente. Sie ist unten mit grünem Gras bewachsen, oben vom Gipfel des Felsen überwölbt. Eine weite Aussicht in der Ferne bieten ihre äußeren starren Wände. Dies ist der Wasgenstein der Heldensage, wo Walther von Wasgenstein den kühnen Kampf mit den Helden von Worms focht und Hagen von Tronje, wie ihm der alte Hildebrand in den »Nibelungen« vorwirft, teilnahmslos auf dem Schild saß, während ihm Walther so viele der Freunde schlug. Auch König Pharamunds Grab soll nach der Sage auf diesem Felsen liegen, an den sich noch andere Überlieferungen knüpfen. Ganz in der Nähe finden sich noch die Trümmer eines alten Schlosses. Ob hier oder auf dem zerstörten Bergschloß Wasenberg bei Niederbronn im unteren Elsaß das urkundlich nachgewiesene Rittergeschlecht derer von Wasichenstein zu Hause war, bleibt noch zu ermitteln. Merkwürdig ist aber das von Mone bekannt gemachte Siegel dieser Ritter, welche sechs abgehauene Hände im Schild führten. Da jenem Walther von Wasgenstein des Heldenlieds im Kampf mit Hagen, als dieser doch endlich zu den Waffen griff, die rechte Hand abgehauen wurde, so ist die Beziehung auf die Sage nicht zu verkennen. Ob Siegfrieds Ermordung im Wasgau oder im Odenwald stattgefunden hat, läßt sich aus dem Lied nicht mit Gewißheit entnehmen. Die Burg, von welcher der grimme Hagen benannt ist, Tronje oder Kirchberg, wird aber im elsässischen Nordgau zu suchen sein. Auf so manchem Blatt der deutschen Volks-und Kulturgeschichte steht der Name des Elsasses dankbar eingetragen. In den Münstern von Thann und Straßburg, wozu noch der des gegenüberliegenden Freiburg zu rechnen ist, hat die deutsche Baukunst das Höchste erreicht, was sich in der Verbindung des Erhabenen mit dem Zierlichen leisten ließ.
Fast jede Stadt, jedes Städtchen des Elsasses hat einen modernen Heiligen, das heißt, einen berühmten Mann hervorgebracht. Bei Mülhausen ist das Städtchen Ensisheim der Geburtsort des bekannten neulateinischen Lyrikers Balde, dessen schwungreiche Oden unser Herder verdeutscht hat. Das benachbarte Kolmar ist mit Recht stolz auf seinen Pfeffel, den liebenswürdigen Greis, der mit dem mythischen Homer das Los leiblicher Blindheit teilte. Man beabsichtigt ihm ein Denkmal zu errichten. Das schönste Denkmal, das Dichtern gesetzt werden könnte, wären wohlfeile, geschmackvolle und fehlerlose Ausgaben ihrer Werke, jener unvergänglichen Denkmäler, die sie sich selber gesetzt haben. Eines solchen Monuments ist freilich noch kein deutscher Dichter gewürdigt worden. Bei Pfeffel, der in Deutschland viel zuwenig bekannt ist, wären namentlich wohlfeile Ausgaben des Gediegensten, was er hervorgebracht hat, zu wünschen. Wenn man aber einst zu der Einsicht gelangen wird, daß wir vor allem solchen Männern Monumente schuldig sind, deren nachwirkende Verdienste gleichwohl nicht durch bleibende Denkmale von ihrer eigenen Stiftung anerkannt werden, wie dies bei Feldherrn, Staatsmännern usw. der Fall ist, so werden die Kolmarer wohl zuerst ihrer Rösselmänner gedenken. Ein Johannes Rösselmann war es, der sie aus der angemaßten Gewalt Walthers von Geroldseck, Bischof von Straßburg, durch eine List befreite, die an die Einnahme Trojas mittels des hölzernen Rosses erinnert. Als nämlich Rudolf von Habsburg das von den Söldnern des Bischofs besetzte Kolmar belagerte, ließ sich Johann Rösselmann in einem riesenmäßigen Faß in die Stadt schaffen, schlüpfte in der Nacht heraus und öffnete, von den berauschten Wächtern unbehindert, den Habsburgern das Tor. – In diesem Sinne hat das arme Dorf Waldbach oder Waldersbach bei Rothau seinem berühmten Seelsorger Friedrich Oberlin, einem der edelsten Menschenfreunde, ein bescheidenes, aber doch mit dem Bild des Unvergeßlichen durch den Straßburger Bildhauer Ohnmacht geziertes Denkmal gewidmet.
Von Kolmar kommen wir auf Schlettstadt, das auch seine Heiligen hat, den Reformator Bucer und den Humanisten Bilde von Rheinach (Beatus Rhenanus). So hat Weißenburg seinen Otfried, Hohenburg seine Heirvat von Landsberg, Kaisersberg seinen Geiler; auch Sebastian Brant und Thomas Murner, aber schwerlich Fischart, waren Elsässer. Von Straßburgs gefeierten Namen nenne ich nur den ältesten, Gottfried von Straßburg, den liebesseligen, süß redenden Dichter des »Tristan«. Auch in der neueren Zeit hat diese Stadt bildend auf Deutschland zurückgewirkt, indem Goethe dort im Kreise geistig erregter Freunde die Jahre verbrachte, welche den ersten Ausströmungen seines Genies unmittelbar vorangingen.
Baden
Das dem Elsaß und der Rheinpfalz gegenüberliegende badische Land, dem wir schon in der Schweiz begegneten, wird in seinen malerisch und romantisch hervorragendsten Punkten in der Sektion Schwaben besprochen. Nur ausnahmsweise haben wir uns erlaubt, bei Breisach zu landen, weil diese Rheinstadt in der Schilderung des alten romantischen Landes wegen ihres Bezugs auf die Heldensage nicht vermißt werden darf. Wir können aber unsere Blicke von diesem schönsten und glücklichsten deutschen Land nicht wenden, ohne noch eine Bemerkung über seine ethnographische Lage beizufügen. Gegen Frankreich und die Schweiz begrenzt Baden das westliche und südliche Deutschland; von Württemberg wird es durch die Höhen des Schwarzwaldes geschieden. Aber innerhalb seiner selbst sowie gegenüber, wo sich Elsaß und die Rheinpfalz berühren, begibt sich die wichtige Scheidung der rheinischen Völker in Alemannen und Franken, so daß Baden als die Vermittlung dieser Hauptunterschiede in der rheinischen Bevölkerung gelten darf. Auf den Breisgau folgt nämlich rheinabwärts die Ortenau, die noch zum Herzogtum Alemannien oder Schwaben gehörte, während der nun folgende Uffgau, worin Baden-Baden liegt, schon zum rheinischen Frankenreich gezählt wurde, demjenigen Herzogtum, in dem von jeher die Stärke des Reiches lag. Soweit wir bisher dem Rhein gefolgt sind, floß er zwischen alemannischen Gauen hin, deren Charakter gleich dem des Volks ein vorherrschend idyllischer ist. Jetzt nähern wir uns einer anderen deutschen Stammeseigentümlichkeit, der fränkischen, die ein freieres Bewußtsein, eine heroischere Gesinnung auszeichnet. Der Alemanne ist mehr der Natur hingegeben, der Franke mehr dem Geist; jener gehört der Empfindung und dem Genuß, dieser dem Gedanken und der Tat. Doch können sich diese Gegensätze hier nicht scharf gegenüberstehen, da das ganze rheinische Frankenreich ein einst von den Alemannen besetztes, diesen abgerungenes Land ist, in welchem dann die Sieger mit den Besiegten vermischt lebten und beider Stämme eigene Sinnesart sich durchdrang und ausglich.
Ursprünglich mochten die Alemannen