Die Ufer des Zeller Sees sind nicht weniger reizend als die seines Nachbarn. Auf der badischen Seite reichen sie näher an den Höwgau und seine hohen, von alten Burgen und Festen gekrönten Basaltkegel: Hohenhöwen, Hohenstoffeln, Hohenkrähen, Hohentwiel usw. An das letztere allein, das wir hier übergehen müssen, knüpfen sich so viele Erinnerungen, daß Folianten sie nicht erschöpfen könnten. Ebenso unermeßlich ist die Aussicht, welche sich auf diesen hochragenden Kuppen in die Schweizer Berge eröffnet.
Die andere, schönere Seite des Seeufers bildet der sangesreiche Thurgau. Ein anmutiger Bergrücken durchzieht ihn, an dem im dreizehnten Jahrhundert unzählige Sängerburgen standen. Hier ist die wahre Heimat des Minnesangs. Auch auf dessen Entwicklung hat das nahegelegene St. Gallen günstig gewirkt. Tutiolo, ein St. Galler Mönch, Notkers und Ratperts Freund und Karls des Dicken, der auf der Reichenau starb, besonderer Liebling, war in allen Künsten, besonders in Musik und Dichtkunst, erfahren. Mit Erlaubnis des Abtes Hartmuot unterrichtete er die Söhne der benachbarten Edlen in Gesang und Saitenspiel. Aus dieser Schule, die sich mehrere Jahrhunderte lang hielt, gingen die vielen ritterlichen Sänger hervor, auf die der Thurgau stolz ist.
Auch das Städtchen Stein am Rhein, bei dem der Rhein aus dem Zeller See tritt, erinnert durch sein hochliegendes altes Schloß, die Steiner Klinge genannt, an das im Thurgau heimische Geschlecht derer von Klingen, dem die kaum zwei Meilen auseinanderliegenden Rittersitze Hohenklingen (Steiner Klinge), Klingenberg und Altenklingen ursprünglich gehört zu haben scheinen. Späterhin mögen sich die Besitzungen wie die Geschlechter getrennt haben. Walther von Klingen, ein Dienstmann Rudolfs von Habsburg, der im Kloster Klingental bei Basel, das er gestiftet hat, mit drei seiner Töchter begraben liegt, war einer der besten Sänger seiner Zeit. Heinrich von Klingenberg, Bischof von Konstanz, war erst Abt in der Reichenau, dann Propst im großen Münster zu Zürich, wo er die Scholasterei und Kantorei wiederaufrichtete und letzterer den Liederdichter Conrad von Mure vorsetzte. Hadloub rühmt von Heinrich, er könne Weise und Wort, das heißt, er sei Dichter und Komponist. Als Kanzler Kaiser Rudolfs war er so gefürchtet, daß Gebhard, Kurfürst zu Mainz, sich von seinem Vetter, König Adolf von Nassau, versprechen ließ, den von Klingenberg nie in seinen Dienst zu nehmen. Die Vermutung, daß er der in der sogenannten »Manessischen Sammlung« unter dem Namen Kanzler vorkommende Minnesänger gewesen sei, wird hier nicht zum erstenmal ausgesprochen.
Der Große Laufen
Der Rheinfall bei Schaffhausen hat nicht nur den Namen dieser Stadt in aller Welt berühmt gemacht, sondern er ist es eigentlich, dem sie Entstehung und Blüte verdankt. Dies geschah nicht etwa durch den Besuch der Fremden, welche ein so einzigartiges Naturschauspiel zu betrachten zahlreich herbeieilen – obwohl auch diese nicht ganz unbedeutend dazu beitragen mögen –, sondern durch das natürliche Stapelrecht, das der Rheinfall zugunsten der Stadt, besser, als es ein kaiserliches Privilegium vermöchte, begründet hat. Da kein Schiff, ohne in tausend Stücke zu zertrümmern, den Rheinfall hinab kann, so müssen alle Güter, die aus dem Bodensee usw. hierhergelangen, oberhalb Schaffhausen ausgeladen, auf der Achse durch die Stadt geführt und unterhalb des Wasserfalls wieder an Bord genommen werden. Die großen Schiffe fahren daher nur bis nach Schaffhausen; kleinere, aus leichten Tannendielen – sogenannte Lauertannen – gezimmerte, werden wie ihre Ladung durch die Stadt, am Wasserfall vorbeigetragen und unterhalb desselben wieder auf den Strom gesetzt. Vermutlich lag hierin der Grund der ersten Ansiedlung, aus der Schaffhausen, dessen Name auch von Schiff oder dem lateinischen Scapha abgeleitet wird, hervorging. Dabei könnte aber befremden, daß Schaffhausen eine gute Stunde oberhalb des Wasserfalls liegt; deshalb müssen wir des Umstands gedenken, daß schon vor der Stadt die Schiffahrt durch einen Felsendamm gehemmt wird, der bei niederem Wasserstand sichtbar hervorragt. Er besteht, gleich der Felswand und den Felszacken des Wasserfalls, aus Kalksteinen, was den Zusammenhang beider Steinmassen mit dem hier auslaufenden Juragebirge bestätigt. Die Volkssprache nennt die Felsen des Damms die Lächen.
Bei Schaffhausen hört man den Rheinfall schon toben und brausen. Er befindet sich aber erst bei dem Züricher Schlößchen Laufen, das auf der linken Rheinseite auf einem hohen Felsen liegt. Dieser bildete wohl einst mit dem Steindamm, den hier der Rhein zu durchbrechen hatte, eine fortlaufende Bergwand, von der die Felsblöcke, die sich jetzt mitten im Strom dem Sturz entgegenstemmen, nur Überbleibsel sind.
Die Tiefe der Felswand, die sich der Rhein herabzustürzen hat, beträgt etwa siebzig bis achtzig Fuß. Aber eben da er den Anlauf zum Hinabspringen nimmt, stemmen sich ihm drei (früher fünf) Felsblöcke entgegen, welche aus der Wand emporragen. Einer derselben wird ganz überströmt, die übrigen nur bei dem höchsten Wasserstand. Der überströmte Felsen ist dem Schloß Laufen am nächsten, an dessen Fuß das Gerüst Fischenz, ein hölzerner, balkonartiger Vorbau über dem Abgrund, die vorteilhafteste Stellung gewährt, um den ganzen vollen Eindruck des erhabenen Schauspiels mit einem Mal zu gewinnen.
Schon oberhalb des Sturzes mußte sich der Strom in ein enges Felsenbett zwängen lassen, aus dem zahllose Klippen empor starrten. Darüber schäumend vor Unmut, gelangt er mit starkem Gefälle in die Nähe der Felszacken, wo der Boden schon unter ihm weicht und der Fall, obwohl erst allmählich, beginnt. In gewaltsamer Eile schießt er gegen die Felsblöcke hinab, an denen sein Fall sich bricht, der erst jetzt eigentlich geschehen soll. Beim Anprall gegen die Felsen zerstäubt ein Teil des Wassers und steigt als dichte Nebelwolke in die Höhe, ein anderer bildet siedende, schäumende Gischt, ein dritter wälzt sich in großen Massen über den Felsen und gelangt hinab in den Kessel, wo das Sieden, Schäumen und Strudeln von neuem anhebt. Denkt man sich dies in der größten Geschwindigkeit hintereinander und zugleich nebeneinander, da ein Teil des Wassers schon im Kessel zischt und brandet, wenn der andere erst gegen die Felsen prallt und über sie hinausspritzt; denkt man sich dieses Schauspiel bei jedem der Felsblöcke mit der Abänderung wiederholt, daß nur der erste Felsen überströmt wird, und läßt man dann die Sonne sich entschleiern, um den mannigfaltigsten, herrlichsten Farbenwechsel hervorzubringen, indem sie die vom Wind gekräuselten Säume des Schaums vergoldet, den Wasserspiegel mit Glanz überstrahle und im aufsteigenden, schnell bewegten Dunst den flüchtigen Regenbogen hervorzaubert, dessen Oberes von der Luft hin und her getrieben, vom neu aufwallenden Nebel verwischt und doch gleich wieder neu erzeugt wird, während der Fuß ruhig und unbeweglich in Gischt und Schaum des Kessels steht – faßt man dies alles in eine Vorstellung zusammen, so hat man ein schwaches Bild dessen, was an dem Phänomen sichtbar ist. Auf das Ohr wirkt gleichzeitig das ungeheuere Donnergetöse des Sturzes so gewaltsam, daß man es in stiller Nacht auf zwei Meilen weit hört, in der Nähe aber niemand sein eigenes Wort vernimmt. Auch dem Gefühl macht es sich durch die Lufterschütterung und den Staubregen bemerkbar, der den Zuschauer in kurzer Zeit durchnäßt, wenn er sich dem Anblick zu unbedachtsam hingibt.
Vom Gerüst Fischenz kann man die dem anderen Ufer näher liegenden Fälle nicht deutlich erblicken, deswegen begibt man sich wohl nach einem in der Nähe des Schlosses stehenden Pavillon oder fährt nach dem jenseits liegenden Schlößchen Wörth, das auch das schaffhausische Laufen genannt wird, wo man sich der Mitte des Falls gerade gegenüber befindet, obwohl schon