»Jetzt, wo du es sagst. Was ist eigentlich aus dem Auto geworden? Weißt du das?«
Adina überlegte. »Es wurde aus dem Teich gefischt und eingelagert. Für bessere Tage, mit mehr Kunstverständnis und weniger Kulturbanausen. Kann also dauern.«
Markus wandte sich seinem Laptop zu. »Lass uns die Karte durchgehen. Ich erkläre dir meine Vorstellungen. Du kannst mich gern ergänzen. In zwei Wochen legst du mir ein erstes Konzept vor. Nur grob. Die Reihenfolge überlasse ich dir, da bist du vollkommen frei und kannst auch gern umswitchen, wenn es sich anders ergibt. Dann das Übliche: Recherche, Schreiben, Fotos machen, Blog vervollständigen. Und vergiss nicht, die Daten regelmäßig zu aktualisieren. Wir wollen uns doch von der großen Masse mit ihrer unsäglichen Informationsfülle und veralteten Daten abheben. Nimm dir ruhig zwischen den neuen Orten immer wieder Zeit für alles, was du schon beackerst hast. Wenn du dann bitte den unbefristeten Vertrag unterschreibst … Ich habe dich ein wenig höhergestuft.«
»Oh Markus, das ist klasse. Unbefristet ist noch besser als Verlängerung. Ich danke dir. Dann reicht es bei Feinberg’s heute Abend für ein zweites Glas Wein. Wo ich schon auf mein Israel-Volontariat verzichtet habe! Bevor dein Angebot kam, hatte ich mich bereits beworben. Ein Jahr ohne deutschen Winter! Aber wie so oft durchkreuzte das Leben all die schönen Pläne. Also, dann wenigstens israelisch in Berlin, mit sonnengereiftem Wein aus dem Galil. Weit gereist und schon deshalb nicht so billig.«
»Scherzkeks. Ich lade euch natürlich ein. Geht aufs Haus«, erwiderte Markus, ohne Adinas geöffneten Mund wahrzunehmen. Sie hatte heute ihren Stauntag und wunderte sich schon nicht mehr sehr über Markus’ Großzügigkeit.
Nach der Besprechung traf sich Adina mit Oli bei einem Kaffee. »Wir sind das Projekt komplett durchgegangen. Ich freu mich so auf die Recherchen.« Das Strahlen ihrer Augen unterstrich die Begeisterung, mit der sie sich am liebsten sofort in die Arbeit gestürzt hätte. Aber jetzt war sie erst einmal in Berlin, hatte einige Pflichtbesuche zu erledigen und wollte Oli ein paar Hauptstadt-Raffinessen zeigen.
»Du sagst gar nichts. Bist du schon Berlin-müde?«
»Das Revier hat angerufen. Ich soll eher nach Dresden kommen. Die Akten auf dem Schreibtisch türmen sich, und deine Kollegen vor Ort nerven.«
»Aber das ist doch kein Problem. Dann fahren wir am Freitag zurück und haben das Wochenende in Annaberg vor uns. Am Montag beginnen wir beide mit einer neuen Aufgabe. Ich werde kommende Woche in Chemnitz unterwegs sein. Du kannst dich in Dresden eingewöhnen. Ich komme bald nach.«
»Du bist toll, Adina. Ich dachte, du möchtest vielleicht länger hierbleiben. Bei deiner Familie und deinen Freunden.«
»Berlin läuft nicht weg. Du hast irgendwann frei, und wir können wieder herkommen. Wir haben morgen den ganzen Tag. Heute Abend treffen wir uns mit Mia und Markus im Feinberg’s. Markus hat uns eingeladen. Ich freue mich schon auf das Essen.«
»Feinberg’s? Ein jüdisches Restaurant, ja? Die stehen doch öfter in den Schlagzeilen wegen Bedrohung, Antisemitismus und so was.«
»Ja, aber hier in Berlin musst du nicht ermitteln, und der Abend soll ganz entspannt werden. Die Küche ist jüdisch-sephardisch, also mehr dem Morgenland zugewandt als im Schalom in Chemnitz. Das habe ich dann nächste Woche wieder.«
Am Donnerstag kümmerte sich Adina um ihre Berliner Wohnung, die schon eine Weile nicht mehr gelüftet war. Mia hatte zwar einen Schlüssel, war jedoch im Winter auch nicht so oft vor Ort. »Ich sollte meine privaten Sachen einlagern, was ich brauche, mit nach Annaberg nehmen und die Wohnung an einen Studenten oder Azubi vermieten, was meinst du?«, fragte sie Oli. »Keine schlechte Idee. Bezahlbare Wohnungen auf Zeit sind gefragt. Ich kenne einen Veranstaltungstechniker, der immer eine Woche hier zur Ausbildung ist und dringend eine Bleibe sucht. Er muss jedes Mal im Hotel schlafen, wenn er zur Berufsschule geht.«
»Na, das wäre doch etwas. Wenn du ihn sogar kennst! Sprich mit ihm. Ich packe noch ein paar Sachen ein, die wir morgen mitnehmen. Und meine Papiere und persönliche Dinge kann ich wegsperren.«
Für den Nachmittag waren Adina und Oli zu Adinas Eltern eingeladen.
Zurück in Annaberg nahm Adina die Freie Presse zur Hand. Der tägliche Blick in die regionale Tageszeitung gehörte zu den Ritualen am Beginn ihrer Arbeitstage. Durch die Zeitung war sie schon auf manche Attraktion aufmerksam geworden, die dann später gut recherchiert Eingang ins Tourismusportal gefunden hatte.
»Guck dir das an!« Ihre Stimme ließ Olis Alarmglocken schrillen.
»Was gibt es? Ich hätte mich beinahe geschnitten vor Schreck. Wenn ich fertig bin mit Rasieren, komme ich zu dir.«
Adina begann, den Artikel hastig zu überfliegen.
»In Chemnitz hat man einen Toten gefunden.«
»So etwas ist nicht ungewöhnlich. Was meinst du, wie oft die Feuerwehr zu Türnotöffnungen gerufen wird!«, erwiderte Oli.
»Das glaubst du nicht!«
»Na los, sag schon!« Olis Neugier war geweckt, obwohl er in Boxershorts und weißem Feinripphemd gerade keine klassische Beamtenfigur abgab. Der Rest Rasierschaum am Kinn störte ihn nicht, als er ins Wohnzimmer lief. Auf dem Titelblatt war ein riesiges Foto von einem Auto mit geöffnetem Kofferraum. »Das ist doch …«
Adina ließ ihn nicht ausreden. »Genau das ist es. Das Auto der Kunstaktion in Chemnitz, über das wochenlang heiß diskutiert wurde.«
Adina drückte Oli die Zeitung in die Hand und begab sich zum Computer. »Das muss ich mir genauer anschauen«, sagte sie und begann mit der virtuellen Suche nach Informationen.
Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, hatte Oli die Zeitungen der letzten Tage gelesen. »Ein Mann, Mitte 40, offenbar schon tot, als er mit dem Auto in Berührung kam.«
»Das habe ich genau so im Internet gefunden. Kein natürlicher Tod. Und das auf dem Weg zur Kulturhauptstadt und in einem Auto, das als umstrittenes Kunstwerk in der Bewerbungszeit für Schlagzeilen sorgte.«
»Stand im Internet etwas zur Todesursache, ich meine, außer Spekulationen?«
»Deine Kollegen scheinen sich bedeckt zu halten. Ich habe nicht herausbekommen, ob die Leiche mit im Wasser war oder erst später in den Kofferraum befördert wurde. Das Übliche: Ermittlungen nicht gefährden und so. Aber kommende Woche bin ich in Chemnitz. Da kann ich ein bisschen herumhorchen.«
»Adina, du weißt doch: Dein Part ist das Tourismusportal, unsere Arbeit sind die Verbrechen. Wie oft soll ich dir das noch erklären? Bring dich bloß nicht wieder in Gefahr!«
»Keine Sorge, Oli. Ich bin schon groß und kann ganz gut auf mich aufpassen. Ob der Künstler etwas damit zu tun hat?«
»Er lebt im Ausland und ist wohl zurzeit mit einem Projekt in Schweden beschäftigt. Irgendetwas mit Schnee. Ich weiß nur, was in der Medieninformation der Polizeidirektion und in der Zeitung steht.«
»Du bist doch am Montag im Revier. Vielleicht haben deine Kollegen mehr erfahren. Jetzt lass uns fix einkaufen und etwas kochen. Worauf hast du Appetit?«
»Buttermilchgetzen oder etwas anderes Regionales. Aber einkaufen, nee, null Bock. Komm, lass uns essen gehen. Ich lade dich ein. Oben im Restaurant Zum Türmer oder am Markt im Neinerlaa? Ich mag beides.«
»Das Neinerlaa ist nicht so weit.« Oli musste lachen. Die erzgebirgische Aussprache des traditionellen Weihnachtsgerichtes, nach dem das Restaurant im Rathaus benannt war, beherrschte Adina noch immer nicht. Diesen A-Laut brachten nur Sachsen richtig heraus. Berliner hatten da keine Chance. Dafür reichten nicht einmal Adinas Chemnitzer Wurzeln.
»Du willst wegen des Schnees nicht so weit laufen, stimmt’s? Mir ist erst in Berlin aufgefallen, was ich dir mit der sibirischen Kälte hier zumute.«
»Naja, ich habe schon ein wenig Angst vor dem Alleinsein, wenn du in Dresden bist. So ganz ohne Wärmflasche am Nordpol!«