ZWEI
Die Strafe des Imperiums
Eine militärisch hochgerüstete Rasse kam aus dem Atlantik und fiel mit einer großen Flotte und einer starken Armee in ganz Westeuropa und Nordafrika ein, bis hin zur libyschen Wüste. Ohne Rücksicht auf Nationen, die in jenen fernen Tagen neutral bleiben wollten, überrannten sie jedes Land zwischen Gibraltar und der heutigen Levante.
HAROLD T. WILKINS:
MYSTERIES OF ANCIENT SOUTH AMERICA
Mit Memnons Tod verloren seine Soldaten den Kampfesmut. Er war Trojas letzte Hoffnung gewesen. Nach zehnjähriger Belagerung fiel die Hauptstadt in einem Feuersturm, als Homers Achäer Ilios plünderten. Ihre Schiffe, mit Beute und Sklaven beladen, kehrten über das Ionische Meer nach Griechenland zurück. Die atlantische Flotte forderte sie nicht heraus, sondern zog still in südlicher Richtung ab. Bei jedem Versuch, die Dardanellen zu erobern, wären sie nun mit den siegreichen Mykenern auf der einen Seite und den abwartenden Hethitern auf der anderen Seite konfrontiert gewesen – eine Situation, die es zu vermeiden galt. Selbst wenn sie die Meerenge hätten einnehmen können, wäre es doch unmöglich gewesen, sie zu halten.
Auch wenn die Atlanter eine Armee verloren hatten, repräsentierten ihre Schiffe doch immer noch eine weitgehend intakte, starke, wenn auch von ihrer Basis entfernte Seemacht. Ein Rückzug aus dem Mittelmeer wäre eine Demütigung gewesen, die man nicht in Betracht ziehen konnte – und zudem gefährlich, weil ihre Autorität untergraben würde, was sich kein Imperialist leisten kann, der seine Untertanen in hinreichender Ehrfurcht halten möchte.
Die atlantischen Strategen ließen sich jedoch nicht entmutigen. Trotz des Debakels von Troja waren ihre libyschen, italienischen, palästinensischen und sonstigen Verbündeten noch immer bereit zum Handeln. Inzwischen zerfiel die Einheit der Griechen bereits wieder in die zerstrittenen Fraktionen der Vorkriegstage, und nachdem die Griechen Ilios nach der Plünderung brennend zurückgelassen hatten, waren die Hethiter damit zufrieden, sich die trojanische Einflusssphäre im Nordwesten Kleinasiens kampflos einzuverleiben. Obwohl offiziell mit Ägypten verbündet, hatten sie nicht vor, es vor Angriffen von außen zu verteidigen, besonders wenn die Seevölker sich dem Niltal zuwandten und Kleinasien dabei in Frieden ließen. Ein atlantisch-ägyptischer Krieg würde sicher beide Seiten schwächen, zum Vorteil der Hethiter.
Die atlantischen Kommandeure waren jedoch zuversichtlich, dass sie mehr als ein Patt mit Ägypten erreichen könnten. Kurz nachdem der trojanische Krieg begonnen hatte, starb der mächtige Ramses II. im Alter von 97 Jahren und hinterließ den Thron einem anderen alten Mann, seinem dreizehnten Sohn. Zum Zeitpunkt seiner Inthronisation im Jahre 1236 vor Christus war Pharao Merenptah etwa sechzigjährig und wurde im In- und Ausland allgemein für schwach und unentschlossen gehalten. Es kam zu Arbeiteraufständen, etwas, was es während der langen Regierungszeit seines Vaters nie gegeben hatte, und Nubien zeigte Anzeichen von Unruhe.
Von der allgemeinen Situation ermutigt und nicht bereit, nach Hause zurückzukehren, da sie für beinahe zehn Jahre auf See wenig vorzuweisen hatten, entwickelten die Atlanter eine Strategie zu Land und zu See, die nichts weniger als die Unterwerfung Ägyptens zum Ziel hatte. Eine solche Eroberung würde Atlantis unbestreitbar zum mächtigsten Reich der Erde machen und seine Position im Nahen Osten sichern. Der oberste militärische Architekt dieses ehrgeizigen Unternehmens war Teucer, bei den Ägyptern als Tjeker bekannt. Er erscheint in Homers Ilias als Gründer von Salamis auf Zypern, einem der wichtigsten Sammlungsorte der Seevölker für die geplante Invasion.
Teucers Kriegsplan sah einen dreiseitigen Angriff der atlantischen Flotte auf das Nildelta vor, wobei gleichzeitig ihre konföderierten Einheiten aus dem Norden einfallen sollten. Sein Ziel dabei war, mit einem einzigen kombinierten Schlag die ägyptische Seestreitmacht zu überwinden und Truppen an Land zu bringen. Die Marinesoldaten sollten landeinwärts marschieren und die strategisch gelegenen Städte Damietta, Busiris und Sais einnehmen. Die wichtigsten Kampfkreuzer sollten sie unterstützen, indem sie parallel zu ihrem Vormarsch den Nil hinauf segelten. Hauptangriffsziel dieser Eröffnungsphase der Kampagne war das Verwaltungszentrum in Memphis. Wenn dieses eingenommen werden könnte, würde es den Ägyptern schwerfallen, ihren Widerstand zu koordinieren.
Parallel zum Angriff vom Meer aus sollten libysche Streitkräfte unter der Führung von König Meryey von Westen her in das Delta eindringen. Und im Osten würden atlantische Transporter Streitkräfte der Philister (auch als Pelischti oder Peleset bekannt) an Land setzen, Verbündete der Seevölker, die die Landesteile südlich der hethitischen Landesgrenze (im heutigen Syrien) erobern sollten. Diese Truppen würden dann, vermutlich mit dem inoffiziellen Segen der Hethiter, zum Nildelta marschieren, das bereits von Norden und Westen angegriffen wurde.
Im beginnenden Frühjahr des Jahres 1227 vor Christus, in der Nacht bevor all diese ausgeklügelten Prozesse in Gang gesetzt wurden, befand sich das geplante Opfer in tiefem, wenn auch unruhigem Schlaf. Merenptah hatte einen lebhaften Traum. Der Gott, nach dem er benannt war, erschien ihm in riesiger Gestalt. Ptah, der göttliche Schöpfer, reichte dem Pharao wortlos ein Schwert, als wollte er sagen: »Verteidige meine Zivilisation!« Merenptah schreckte auf und erwachte zu vollem Bewusstsein. Er ergriff den bereitliegenden Klöppel, schlug auf den Kupfergong neben seinem Bett, und die Kammer des Königs füllte sich sofort mit bewaffneten Wachen. Es war kein Priester nötig, um seinen Traum zu interpretieren. Er versammelte alle Befehlshaber und befahl, die Verteidigungslinien des Deltas in volle Bereitschaft zu versetzen.
Während sie ihre Vorbereitungen trafen, füllte dreihundert Kilometer entfernt eine frische Morgenbrise die Segel der Atlanter. Die Armada führte ihre zweitausend Schiffe von den Hauptquartieren in der Ägäis, Zypern und Rhodos, heran. Ihre Seestreitmacht war die größte und am besten ausgestattete der damaligen Welt. Bildnisse der Kriegsschiffe und Seeleute sind noch an den Wänden des Tempels in Medinet Habu im oberen Niltal zu sehen (siehe Abb. 2.1). Es handelte sich nicht um die relativ kleinen, an der Küste stationierten Schiffe der Ägypter, sondern, mit den Worten von Lionel Casson, um »wirkliche Hochseeschiffe«, die zu längeren Fahrten auf dem offenen Meer geeignet waren. Sie waren in der Tat die Flotte eines Seevolkes und wiesen für die damalige Zeit enorme nautische Fortschritte auf, wie Taue oder dicke Seile zur Kontrolle der Segel, die dem Wind ausgesetzt waren, und stark verspannte Rümpfe, die den Stößen großer Wellen widerstehen konnten.
Abb 2.1. Das Profil eines atlantischen Marinesoldaten, wie er auf den Tempelmauern von Medinet Habu in Oberägypten abgebildet ist.
Diese Kriegsschiffe waren nicht nur viel größer als alles, was die Ägypter kommandierten, sondern sahen auch ganz anders aus. Sowohl Bug als auch Heck erhoben sich steil und formten langschnäblige Greifvögel als Galionsfiguren. Dieses Schiffsdesign erscheint auf einem Bügelkrug aus dem Jahr 1180 vor Christus, der auf Skyros gefunden wurde, einer der Zufluchtsinseln der Atlanter in der Ägäis nach dem Fall von Troja. Das vogelköpfige Seemotiv findet sich auch überall in der Villanova-Kultur der Etrusker, besonders in der alten Stadt Tarchna. Beispiele aus dem Monterozzi-Grab zeigen, dass Modelle dieser besonderen Schiffe zusammen mit etruskischen Kriegern von höherem Rang begraben wurden, worauf auch ein prächtiger Helm und