Die Atlanter bezähmten notgedrungen ihre Ungeduld hinsichtlich einer Eroberung Ägyptens und griffen stattdessen Sardinien an, wo gehörnte Helme, Bronzeschwerter und atlantische Architektur in Form großer Steintürme, bekannt als Nuraghen, noch immer von der Besetzung durch die Seevölker zeugen. Sie waren zu einer echten Bedrohung geworden, da sie stets zur Plünderung von Inseln und Küstenstädten rund um das Mittelmeer bereit waren. Dank griechischer Uneinigkeit, hethitischer Zurückhaltung und ägyptischer Schwäche konnten sie ungestraft ihrer Piraterie nachgehen und plünderten in größerem Ausmaß als jemals zuvor.
Im Jahre 1198 vor Christus war der Tag, auf den sie so lange gewartet hatten, endlich gekommen. Merenptah war im hohen Alter verstorben, und ihm folgten in schneller Folge nicht weniger als fünf Herrscher, darunter Siptah, der einen Klumpfuß hatte, und Tewosret, eine Königin, deren Regierungszeit nur kurz währte. Die andauernden politischen Krisen destabilisierten die neunzehnte Dynastie, und die atlantischen Strategen waren bereit, die Situation zu nutzen. Die Ägypter waren mit der Thronbesteigung eines neuen Pharaos und all den aufwändigen Begleitumständen beschäftigt, die ein Wechsel der göttlichen Führung zwangsläufig jedes Mal mit sich brachte. Diesmal aber hatten sie besonderen Grund zur Sorge. Ein beängstigendes Omen erschien nach dem Tod von König Sethnacht, der gerade die zwanzigste Dynastie begründet hatte. Eine unermessliche dunkle Wolke bedeckte mit unnatürlicher Geschwindigkeit, von Westen kommend, den Himmel. Die Sonne wurde blutrot und verschwand schließlich. Das Tageslicht wurde zur Dämmerung, und wochenlang fiel schwarzer Staub auf das ganze Land. »Die Menschen gehen wie Raben umher«, berichtet ein ägyptischer Schreiber, »niemand kann seine Kleidungsstücke mehr sauber halten.«
Diese bedrohlichen Umstände waren auch für die Atlanter ein schlechtes Zeichen. Inmitten der Vorbereitungen für eine erneute Invasion des Nildeltas wiesen solche Zeichen und Wunder am Himmel auf eine Katastrophe hin, die jemanden treffen würde. Da sie auf einer geologisch aktiven Insel geboren und aufgewachsen waren, erkannten sie den schwarzen Staub als Asche, die durch die vorherrschenden Westwinde von einem gewaltigen Vulkanausbruch jenseits des Mittelmeers herangeweht wurde. Natürlich wandten sich ihre Gedanken voller Angst zum Atlas, dem immer rauchenden Berg in ihrer fernen Heimat.
Ihre schlimmen Befürchtungen wurden durch Wellen von Flüchtlingen bestätigt, die sich bald durch die Säulen des Herakles ergossen. In Panik geratene Menschen strömten zu Hunderttausenden an der nordafrikanischen Küste entlang oder kamen in ungeordneten Flottillen von Booten und Schiffen, überfüllt mit Familien, die durch eine Katastrophe traumatisiert waren. Die meisten von ihnen waren Landsleute aus Atlantis, und sie hatten nichts Gutes zu berichten. »Ihr könnt nicht wieder nach Hause«, erklärten sie, »weil unser Zuhause nicht mehr da ist.«
Mit kaum mehr als einem Tag Vorwarnung in Form ausgedehnter seismischer Aktivitäten war die Insel Atlantis von Erdbeben und Himmelsfeuern verwüstet worden, bevor das wütende Meer sie ganz verschlang. Die damit einhergehende Zerstörung war so groß und stark, dass die gesamte Region, einschließlich aller angrenzenden Küstengebiete, durch eine Serie zerstörerischer Tsunami-Wellen unbewohnbar geworden war. Die besetzten Gebiete Italiens und der Mittelmeerinseln füllten sich mit zahlreichen neu angekommenen Überlebenden, was die Lebensbedingungen überall verschlechterte.
Abb. 2.2. Porträt von Pharao Ramses III. mit der blauen Krone des höchsten militärischen Befehlshabers. Im frühen 12. Jahrhundert vor Christus hatte er es mit einer massiven Invasion des Nildeltas durch atlantisch geführte Koalitionsstreitkräfte zu tun.
Aber die Emigranten brachten mehr mit als nur ihre Leidensgeschichten. Große Teile der Heimatflotte waren der Katastrophe entkommen und konnten Krieger und Vorräte sowie die evakuierten Menschenmengen transportieren. Die Armada der Seevölker auf Zypern und Rhodos wurde durch diese neu angekommenen Kriegsschiffe und Marinesoldaten spürbar verstärkt. Die Eroberung Ägyptens war jetzt noch wichtiger als zuvor, da sie einen Ort finden mussten, wo die Flüchtlinge angesiedelt werden konnten; ihre wachsende Zahl belastete zunehmend die begrenzten Ressourcen der besetzten Gebiete. Gestützt auf frische Schlachtkreuzer, Munition und Soldaten, beschlossen die atlantischen Kommandeure, sofort zuzuschlagen, während die Ägypter noch durch ein Interregnum geschwächt und durch die himmlischen Vorzeichen abgelenkt waren. Fast zweitausend Jahre zuvor hatten die Atlanter zum ersten Mal nach der Flucht vor einer Naturkatastrophe Ägypten erobert. Sie würden es wieder tun. Das Wehen des schwarzen Staubes sollte ein Unglückszeichen für den neuen Pharao sein!
Dieser neue Pharao hieß Ramses III. (siehe Abb. 2.2) und war unerfahren und unbekannt. Seine Thronbesteigung verlief ohne religiöse Reibereien oder politische Konflikte, und sein Volk war dankbar für den reibungslosen Übergang der Macht, trotz der buchstäblich dunklen Wolke, unter der seine Herrschaft begann. Er war sich der fremden Bedrohung, die unmittelbar auf Ägypten gerichtet war, bewusst. Er wusste auch, dass die Hau-neb oder Hanebu (»die ihren Schiffen folgen«) wiederkommen würden, sobald sein Vorgänger tot war. Schon Jahre zuvor hatte Ramses Verteidigungsmaßnahmen entwickelt, die sofort wirksam werden sollten, wenn eine Invasion unmittelbar bevorstand. Nun war der Augenblick gekommen, um seine Strategie und ihre wichtigsten Faktoren – Geschicklichkeit, Mut und Disziplin seiner Krieger – zu erproben.
Die Unvermeidbarkeit eines Angriffs war klar; deutliches Anzeichen dafür war das völlige Fehlen jeglicher diplomatischer Beziehungen zwischen Ägypten und dem Hauptquartier der Seevölker in Rhodos seit der ersten Schlacht im Nildelta. Während der nachfolgenden 29 Jahre hatten die atlantischen Kommandeure auf der Basis ihrer Erfahrungen einen neuen Invasionsplan ausgearbeitet. Vor allem jetzt, da ihre Armada durch zusätzliche Flotteneinheiten und Kompanien aus dem überfluteten Atlantis verstärkt worden war, konnten sie mehrere gleichzeitige Landungen planen, im Gegensatz zum einzigen Angriff bei Prosopis. Nach wie vor stand das Ziel, die Verteidiger zur See zu überwältigen, an erster Stelle. Zwischen den beiden atlantischen Invasionen hatten auch die Ägypter fast dreißig Jahre Zeit gehabt, ihre Flotte wieder aufzubauen; daher erwarteten die Atlanter eine ernste Konfrontation an der Küste vor einer möglichen Anlandung der Truppen. Mehrere Schwadronen Schlachtschiffe sollten in Reserve gehalten werden und nur teilnehmen, wenn die vorausfahrenden Schiffe Hilfe benötigten. In einer Wiederholung von Teucers Taktik sollten Kriegsschiffe die Soldaten unterstützen, indem sie parallel zum Vormarsch ins Landesinnere den Nil hinauf segelten. Ihr oberstes Ziel war die Besetzung des gesamten Deltas, von dem aus sie den Rest des Feldzugs planen und sich nach Süden gen Theben, die feindliche Hauptstadt, vorkämpfen konnten. Deren Einnahme würde die Invasion beenden.
Neue Verbündete aus Korsika, Sardinien und Libyen schlossen sich den alten Kameraden an. Wenn die Libyer tief genug in das ägyptische Grenzgebiet eindrängen, könnten die Atlanter im Norden anlanden und versuchen, sich mit ihnen zu vereinigen und dadurch das Nildelta in zwei Hälften zu teilen.
Die atlantischen Marinesoldaten waren die am besten ausgestatteten ihrer Zeit. Anders als ihre Gegner trugen sie metallene Brustpanzer und längere Bronzeschwerter von überlegener Handwerkskunst. Ihre Helme waren Vorläufer der römischen Form, mit kurz geschnittenen, rot gefärbten Kämmen aus Rosshaar. Lederne, mit Bronze beschichtete Schienen schützten ihre Schienbeine. Die Fußsoldaten waren in Kompanien von Speerwerfern, Schleuderern und Schwertkämpfern unterteilt, unterstützt von Truppen mit Streitwagen, die größer und schwerer waren als ihre ägyptischen Gegenstücke.
Zunächst schien die Operation die erste Invasion von fast drei Jahrzehnten zuvor zu wiederholen. Wieder wurden die kleineren Kriegsschiffe durch die Masse der atlantischen Schlachtkreuzer zerstreut, und die erwartete Seeschlacht mit der ägyptischen Flotte kam nicht zustande. Die Landungen waren weiträumiger und effektiver, weil die separaten Angriffe gut koordiniert waren. Die ägyptische Infanterie wusste nicht, in welche Richtung sie sich wenden sollte. Es war, als würde man versuchen, mehrere Feuer auf einmal zu löschen – es schien aussichtslos. Die Invasoren bewegten sich rasch und rücksichtslos vorwärts, wobei sie Prosopis und andere