„Ich schicke Ihnen jemanden, der sich mit der Angelegenheit befasst“, erklärte der Mann am anderen Ende der Leitung. „Unternehmen Sie vorläufig nichts.“
„Und die Polizei?“, fragte Brankov. „Soll ich nicht …“
„Warten Sie noch damit. Wo sind Sie heute Abend gegen zweiundzwanzig Uhr zu erreichen?“
„In meiner Wohnung.“
„Gut. Erwarten Sie die beiden dort. Sie haben sämtliche Vollmachten.“
„Auch zur Regulierung des Schadens?“, wollte Brankov wissen.
„Was dachten Sie?“, kam es zurück. „Aber überzeugen Sie sich in der Zwischenzeit noch einmal davon, dass Sie sich nicht getäuscht haben. Auf Wiederhören.“
Kurt Brankov sah endlich einen winzigen Silberstreifen am Horizont, als er den Hörer auf den Apparat legte. Jetzt musste er nur noch Eckard Joswig über den Diebstahl informieren. Gerade als er die Nummer wählen wollte, öffnete sich die Tür, und der Filmproduzent kam ohne anzuklopfen hereingestürmt.
Joswig war Mitte fünfzig, braungebrannt und 1,80 Meter groß. Breitbeinig baute er sich vor Brankovs Schreibtisch auf. Seine Lippen zitterten, als er seine erste Frage formulierte.
„Ist es wahr?“
Brankov nickte. „Woher wissen Sie es?“
Joswig ließ sich in den breiten Besuchersessel fallen. „Jemand rief mich vor einer halben Stunde an. Er behauptete, er besäße die Hälfte der Blutigen Meute. Für eine Million D-Mark könnte ich die unentwickelten Filmrollen zurückbekommen. Was sagen Sie zu dieser Unverschämtheit?“
Brankov sank in seinem Sessel zusammen. „Verdammt!“, stieß er hervor. „Was haben Sie ihm gesagt?“
„Ich habe ihn einen Lügner genannt.“
„Der Anrufer hat die Wahrheit gesagt.“ Brankov erzählte seinem Besucher, was geschehen war. „Aber Sie können vollkommen beruhigt sein. Die Versicherung schickt mir zwei Leute. Der Schaden wird …“
„Schaden!“, entgegnete Joswig. „Mit Geld ist mir nicht gedient. Ich brauche die Filmrollen. Wenn ich die nicht zurückbekomme, kann ich einpacken. Der Streifen wurde in Italien gedreht. Die Darsteller haben inzwischen andere Verpflichtungen und …“
„Aber Moment mal“, unterbrach ihn Brankov. „Hat der Anrufer nicht gesagt, dass er sich noch einmal melden würde?“
„Natürlich hat er das. Vorher sollte ich mich aber erst einmal über den Verlust informieren, sagte er.“
„Na, sehen Sie. Dann ist ja alles in Ordnung. Wir werden die Rollen einfach zurückkaufen.“
4
Nachdem Arno Drews, der Chefmanager der Casibus-Versicherungsgesellschaft, über Telefon erfahren hatte, dass einige rätselhafte Umstände bei dem Diebstahl der Filmdosen im Spiel gewesen waren, regte sich in ihm das angeborene Misstrauen seines Berufsstandes. Nachdenklich ging er die Liste der Fachleute durch, die für solche Fälle infrage kamen. Keiner der versicherungseigenen Detektive schien ihm geeignet, der Sache auf den Grund zu gehen. Immerhin konnte dieser Diebstahl, falls es einer war, seine Gesellschaft einige Millionen D-Mark kosten.
Er brauchte jemanden, der sich in Berlin auskannte und außerdem die nötige Erfahrung mitbrachte, um festzustellen, ob es sich wirklich um einen Schadensfall handelte, oder um einen geschickt eingefädelten Betrug. Entschlossen nahm er den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer.
5
Privatdetektivin Katharina Ledermacher schwitzte. Jede einzelne Pore öffnete sich. Sie hatte das Gefühl, als würde alle Flüssigkeit, die sich in ihrem Körper befand, auslaufen. Sie genoss es. Schließlich hatte sie dafür bezahlt. Katharina hockte in der Sauna. Neben ihr saß ein Mann, der mit einem Nassrasierer in seinem Gesicht herumfummelte. Es hatte den Anschein, als wolle er sich nicht nur die Bartstoppeln restlos abschaben, sondern auch die obersten Hautschichten.
Das Gesicht war schon dunkelrot, aber er hörte nicht auf. Katharina erhob sich, nahm ihr Handtuch, duschte kurz und sprang dann in das Becken mit dem eiskalten Wasser. Nachdem sie mehrmals untergetaucht war, rubbelte sie sich trocken und ging in den Ruheraum. Ein gutes Dutzend Männer und Frauen lagen auf den Betten. Einige schliefen, andere dösten vor sich hin. Ein Schild wies die Gäste darauf hin, dass im Ruheraum nicht gesprochen werden durfte. Katharina fand es angenehm, dass sich die Leute daran hielten.
Sie legte sich auf eines der Betten, deckte sich mit dem Laken zu, schob die Hände unter den Kopf und blickte zur Decke. Sie genoss die Ruhe. Ein wenig Entspannung tat ihr ganz gut. Ihre Arbeit als Privatdetektivin ließ ihr sonst kaum Zeit, sich einmal ausgiebig zu erholen. Hier konnte sie entspannen und neue Kräfte sammeln. Abschalten, nicht an den Job denken – das brauchte sie. Schade, dass ihr Lebensgefährte Robert Tillmann nicht mitkommen konnte. Er lag zurzeit im Krankenhaus.
Ohne es zu merken, schlief sie ein. Irgendwann weckte sie ein Geräusch. Jemand verließ den Ruheraum. Katharina blickte auf die elektrische Wanduhr und stellte fest, dass sie fast eine halbe Stunde geschlafen hatte. Als sie aufstand, fühlte sie sich federleicht und um zehn Jahre jünger. Sie ging zur Umkleidekabine und zog sich an, nahm ihre Brieftasche, griff noch einmal nach der Ablage und wollte die Armbanduhr hervorholen, aber sie war nicht da. Katharina nahm an, dass sie die Uhr mit einer unachtsamen Bewegung von der Ablage gestoßen hatte, ging in die Hocke und suchte den gefliesten Boden ab. Sogar auf den Bauch legte sie sich, um unter den Trennwänden hindurch in die Nachbarkabinen sehen zu können.
Keine Armbanduhr.
„Scheiße!“, entfuhr es ihr. „Sie kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.“
Sie griff in ihre Brieftasche und warf einen Blick hinein. Die Fünfzig D-Mark, die sie bei sich gehabt hatte, waren auch weg. In diesem Moment wusste sie, dass man sie bestohlen hatte.
„Die Finger sollen dem Dreckskerl abfaulen!“, machte sie ihrem Ärger Luft und verließ die Umkleidekabine.
Die Armbanduhr war ein Geschenk ihres Lebensgefährten. So ein Verlust schmerzte natürlich. Und sie hatte nicht die Absicht, diesen Vorfall mit einem gleichgültigen Schulterzucken abzutun, sondern ging auf direkten Weg zum Geschäftsführer. Ein dürrer Mann mit tiefliegenden Augen, der aussah, als hätte er eine Gelbsucht hinter sich, blickte sie fragend an.
„Man hat mich bestohlen“, sagte sie ungehalten und erzählte ihm, was ihr abhanden gekommen war.
Der Mann rieb sich die Hände, als würde er sich ohne Wasser die Hände waschen. „Das tut mir wirklich sehr leid, aber an der Kasse hängt ein Schild, das ausdrücklich darauf hinweist, dass man Wertgegenstände abgeben soll, weil wir keine Haftung übernehmen. Ich bin natürlich gerne bereit, Ihre Diebstahlsmeldung zur Kenntnis zu nehmen, aber sehr viel Hoffnung kann ich Ihnen nicht machen, dass Sie Ihr Eigentum wiederbekommen. Diese verdammten Langfinger. Wir können sie einfach nicht fassen.“
Der Dürre notierte sich ihre Personalien, ließ sie die Meldung unterschreiben und gab ihr einen Durchschlag.
„Eigentlich nett von ihm, dass er mir wenigstens meine Brieftasche gelassen hat“, sagte Katharina sarkastisch.
„Sie sind eine Plage, diese Langfinger, das können Sie mir glauben. Wir tun unser Möglichstes, aber es reicht nicht.“
„Dann kann ich nur hoffen, dass Sie diesmal Glück haben und den Kerl erwischen“, erwiderte sie.
„Wenn das geschieht, rufe ich Sie umgehend an“, versicherte ihr der Dürre.
Katharina verließ das Gebäude, stieg in ihren VW-Golf,