Einer derjenigen, die in Deutschland bleiben wollte, war Ing. František Martínek, Betriebsleiter der ČSA6, dessen englische Ehefrau Beryll sich bereits legal in Großbritannien aufhielt. An dieser Stelle darf auch der Pilot Stanislav Huňáček nicht unerwähnt bleiben. Laut der tschechoslowakischen Propaganda wurde er als unzuverlässiger ‚Westler‘ bereits im Februar 1948 von der ČSA von Langstreckenflügen ausgeschlossen. Ein weiterer Protagonist war der Funker František Malý. Auch seine Frau war Engländerin, sie wartete auf ihn zum Zeitpunkt der Flucht bereits jenseits des Ärmelkanals. Auch František Hanák, einer der Passagiere, hatte eine englische Ehefrau. Die Aussagen der Zurückgekehrten (Alexander Alpar, Božena Chládková, Ondrej Pavlík, Michal Šereď, Jan Beran, Dalibor Hanes und Bohuslav Zeithamer) waren fast identisch7, was nicht überraschte.
Nachdem Huňáček mit der Dakota den Böhmerwald passiert hatte, landete er auf der US-Militärbasis Neubiberg bei München. Der gesamte Flug dauerte eineinhalb Stunden. Die USA berechneten für die Überführung der Maschine 9.1151,80 Kčs.8 Diese Summe umfasste Kosten für Unterkunft und Rückführung der Zurückkehrenden, Treibstoff und Gebühren für die Einlagerung und Bewachung des Flugzeugs. Zu den Besatzungsmitgliedern, die zurück nach Prag flogen, gehörte auch Stanislav Šácha, einer der Akteure einer dreifachen Flugzeugentführung im Frühling 1950 (siehe Kapitel 6).
Im April 1948 erfolgten noch zwei weitere Flüge durch den Eisernen Vorhang. Der erstere per Kleinflugzeug des Typs M-I Sokol (Bez. OK-BKO), das Mjr. Josef Čermák, auch ein ehemaliger Angehöriger der RAF, am 19. April von Klatovy aus pilotierte9. Das Flugzeug war im Privatbesitz des ehemaligen Geschäftsmannes František Dvořáček, der sich ebenfalls an Bord befand. Anstatt in Prag, wie laut Flugplan vorgesehen, landeten sie in Deutschland. Bei einer anderen Flucht flog Alois Šedivý10, Pilot der Regierungsstaffel des Verkehrsministeriums, eine Regierungsdelegation am 22. April 1948 zur einer internationalen Konferenz über die Presse- und Informationsfreiheit im Rahmen eines Sonderflugs von Prag nach Genf. Nach der Landung lehnte Alois Šedivý es schließlich ab, mit der Dakota in die Tschechoslowakei zurückzufliegen. Er teilte den sonstigen Besatzungsmitgliedern (Copilot Jaroslav Dobrovolný, Funker Antonín Rotbauer, Bordmechaniker Květoslav Koudelka) mit, dass er im Westen bleiben würde. Er habe es ihnen nicht früher sagen können, damit sie ihn nicht hätten hindern können. Als Grund für sein Verbleiben im Westen gab er Befürchtungen an, gekündigt zu werden.11 Als Pilot genoss Jaroslav Šedivý eine ausgezeichnete Wertschätzung. Er war äußerst beliebt bei allen Piloten sowie bei der Besatzung. Seine menschliche Größe lässt sich auch daran erkennen, dass er den zweiten Piloten in Prag starten und in Genf landen ließ, um sicherzustellen, dass die Besatzung des Flugzeuges den Rückflug nach Hause auch ohne ihn bewältigen könnte. In Prag wurde durch die ŠtB neben der Besatzung auch Soňa Šedivá, seine Ehefrau, verhört. Sie kam ursprünglich aus England und wiederholte während der Vernehmung die Befürchtungen ihres Ehegatten, bald seine Arbeit zu verlieren, doch er habe nie, nicht einmal nach dem Februarumsturz, Interesse daran geäußert, im Ausland zu bleiben. Am Tag des Abflugs nach Genf habe sie zu Hause einen versiegelten Brief ihres Ehemanns vorgefunden. Er habe sich darin für seine Flucht entschuldigt: „Verzeihe mir, bitte, dass ich dir nicht gesagt habe, was ich tun werde. Hätte ich es dir gesagt, hättest du mich nicht gehen lassen, ich weiß es. Ich kenne keinen anderen Ausweg und weiß, dass ich früher oder später meine Stelle verlieren werde, weil du eben Engländerin bist. Ich kehre nicht mehr zurück, aber nicht, weil ich etwas Schlechtes getan habe – nein –, sondern weil ich weiß, dass ich wohl der letzte bin, der eine Engländerin zur Frau hat und immer noch fliegt. Und ich bin mir sicher, dass sie mich baldig ohne jeglichen Grund entlassen werden. Gut, meine Liebste, verzeih mir, bitte. Ich hoffe, dass du ohne Schwierigkeiten nach Hause zu deiner Mutter zurückkehren kannst. Ich finde irgendwo eine Arbeitsstelle. Wenn du willst, kannst du dich von mir scheiden lassen, weil ich nicht weiß, ob du mich jemals wiedersehen wirst. Gott segne dich, meine Liebste, und meine Kinder. Ganz deine Liebe, dein schlechter Ehemann Alois.“12 Die Prager ŠtB ermittelte natürlich, mit wem Šedivý in Kontakt stand, wer ihm geholfen bzw. mit wem er seine Flucht geplant hatte. Laut ihrer Informanten wurden die Fluchten der Flieger vom Ausland aus durch Konkurrenzunternehmen organisiert. Einem Geheimbericht des Innenministeriums zufolge gab es jedoch Erwägungen, einen politisch-militärischen Grund in der Flucht zu sehen, da einige der geflüchteten Piloten ehemalige Kommandanten von Luftwaffeneinheiten in England waren.13 Soňa Šedivá beantragte unmittelbar nach ihrem Verhör eine Genehmigung zur Rückkehr nach England. Als Grund nannte sie, dass sie in Prag über keine Mittel verfüge, um ihren Lebensunterhalt sicherzustellen, und dass sie sich mit ihrer Angelegenheit bereits an das britische Konsulat gewandt habe. Dies was ein Indiz dafür, dass sie in die Fluchtabsichten ihres Gatten eingeweiht war und der genannte Abschiedsbrief lediglich zur Tarnung diente, damit die Ehefrau auch ausreisen konnte. Soňa Šedivá und ihre Kinder verließen die ČSR legal am 31. Mai 1948. Die ŠtB fahndete weiter nach A. Šedivý, doch ohne Erfolg. Am 7. April 1949 erließ das Staatsgericht in Prag einen Haftbefehl gegen A. Šedivý wegen Verbrechen gemäß § 2 des Gesetzes Nr. 50/23 Zb. Im Oktober 1950 erstattete die Dienststelle der ŠtB am Flughafen Prag-Ruzyně gegen Alois Šedivý Anzeige bei der Bezirksstaatsanwaltschaft Prag II. Laut der Anzeige sei er ins Ausland geflüchtet, da er die Rückkehr in seine Heimat verweigert habe und sich nun wahrscheinlich in England aufhalte. Motiv für die Flucht sei sein Widerstand gegen die politische Entwicklung in der ČSR nach Februar 1948 gewesen, sowie seine Befürchtung, als Pilot wegen der englischen Abstammung seiner Frau entlassen zu werden. Die Bezirksverwaltung der ŠtB in Chrudim leitete im Mai 1955 eine Fahndung nach A. Šedivý ein, weil er „sich der Flucht, des Hochverrats und der Spionage strafbar gemacht hat, und alles, was er über das tschechoslowakische Militär wusste, ausländischen Nachrichtendiensten verraten hat“14. Die ŠtB setzte zwar die Fahndung fort, doch ohne Erfolg. Im September 1980 stellte sie in Hradec Králové (Königgrätz) fest, dass im Laufe der Ermittlungen keine staatsfeindliche Tätigkeit von Alois Šedivý habe bewiesen werden können, und beantragte die dauerhafte Schließung des Falls.15 Damit war die Flucht von Alois Šedivý abgeschlossen.
Ungefähr einen Monat nach der Flucht Huňáčeks erfolgte die zweite Entführung eines Flugzeugs der ČSA während eines innerstaatlichen Flugs. Eine Gruppe von fünf Mitgliedern organisierte am 4. Mai 1948 unter der Leitung von Vojmír Matus16 die Flucht nach Erding über die regelmäßige Flugverbindung Brünn–České Budějovice (Böhmisch Budweis). Die Besatzung des zweimotorigen Flugzeugs Siebel (Bez. OK-ZDL), darunter der Pilot Oldřich Doležal und der Navigator Jiří Kügler, kehrte in die Heimat zurück. Pilot Doležal galt 1950 als einer der wichtigsten Protagonisten der bereits erwähnten Entführung dreier Dakotas (siehe Kapitel 6). Der Grund für Doležals Rückkehr im Mai 1948 war, dass er zusammen mit seiner Ehefrau flüchten wollte. Der Passagier Matus und seine Freundin Ludmila Hofmannová flogen von Brünn, während die restlichen Fluggäste – Ema Hronyová, Ľudovít Bardi und Milan Bojsa –, die Slowaken waren, von Ostrau aus flogen. Alle fünf blieben in Deutschland. Während der Ermittlung stellte die ŠtB fest, dass Hofmannová in Brünn für sich und ihren Freund zwei Flugtickets auf die Namen Ludmila Dražďáková und Jan Malík gekauft hatte. Die amerikanische Seite berechnete die mit dem Aufenthalt der Siebel