Das Jahr 1950 war ein besonderes in der Geschichte der Fluchten durch den Eisernen Vorhang per Flugzeug. Denn die Entführungen von gleich drei Flugzeugen des Typs Dakota, die am Morgen des 24. März 1950 von Ostrau, Brünn und Bratislava nach Prag fliegen sollten, schließlich jedoch in Erding landeten, kann als spektakulär bezeichnet werden. Dieser Vorgang erreichte weltweites Aufsehen und war zugleich eine Schande für das kommunistische Regime, da wieder die ‚Westler‘ der RAF die Strippen bei dieser Aktion zogen. Selbstverständlich behandeln wir dieses einmalige Vorgehen in einem gesonderten Kapitel (siehe Kapitel 6).
Nach der dreifachen Entführung im März passierte drei Jahre lang aufgrund von staatlichen Sicherheitsmaßnahmen und Säuberungen in den Reihen der als politisch verdächtig geltenden Verkehrspiloten nichts – diese Zeit kann auch als die Zeit der Stille bezeichnet werden. Doch dann kam es zu einer weiteren spektakulären Entführung einer Dakota. Auch diese wurde von einem ‚Westler‘ der RAF, Jan Kaucký, und seinen Kollegen Eduard Prchal und Josef Řechka durchgeführt. Allerdings flohen die Menschen, die die „Diktatur des Proletariats“ ablehnten, unaufhörlich auf verschiedensten Wegen in den Westen und damit in die Freiheit. Eine weniger spektakuläre Flucht per Flugzeug in der Zeit der Stille war die Flucht von Jozef Švarda am 12. August 1950. Er bestellte für sich und seine Familie ein Aerotaxi von Piešťany (Pistian) nach Karlovy Vary (Karlsbad). Am Flughafen Piešťany konnten die Sicherheitskräfte nur bei Švarda, aber nicht bei seiner Frau eine Sicherheitskontrolle durchführen, da es vor Ort keine Beamtin gab, die die Kontrolle hätte vornehmen können. Nachdem das Flugzeug die notwendige Flughöhe erreicht hatte und auf Kurs Richtung Karlovy Vary war, zwang Švarda den Piloten der Cessna (Bez. OK-XBE), Zdeněk Piskarský, mit Waffengewalt, den Kurs zu ändern. Sie landeten am bayerischen Flughafen Aichach.42
Der oben erwähnte Fall der Entführung der Dakota (Bez. OK-WAA) durch Kaucký (begleitet von Copilot Josef Řechka) am 30. September 1950 war beispielhaft für eine Flucht, die nicht per Zivilflugzeug, sondern durch ein Militärflugzeug bei einem Trainings- bzw. Versuchsflug organisiert wurde. Das Flugzeug hätte nur in der Umgebung von Prag bzw. Ruzyně kreisen sollen. Es war in ständiger Verbindung mit dem Tower. Es flog Richtung Kralupy nad Vltavou (Kralup an der Moldau), Český Brod (Böhmisch Brod) und Stará Boleslav (Brandeis an der Elbe-Altbunzlau), dann beantragte es beim Tower eine Landung in Prag-Ruzyně. Doch das Flugzeug verstummte danach. Kaucký landete auf einem ehemaligen Flughafen bei der Gemeinde Houštánky pri Mělníku, wo weitere Passagiere ins Flugzeug einstiegen: sein Sohn, zwei Piloten der ČSA, Josef Řechka mit seiner Frau und Eduard Prchal mit seiner Frau Dolores und ihrer fünfjährigen Tochter. Obwohl die Kommandantur der Flugwache in Prag-Ruzyně Flugpatrouillen in Plzeň (Pilsen), České Budějovice (Böhmisch Budweis), Karlovy Vary (Karlsbad) und Brünn das Verschwinden des Flugzeugs meldete, zwang die Luftabwehr einen kleinen Viersitzer des Typs Praga Baby versehentlich zur Landung.43 Die Dakota DC-3 mit Kaucký an Bord landete schließlich auf der bei den ‚Westlern‘ beliebten Militärbasis in Manston.
Die erste Entführung einer Dakota im Jahr 1953, die sog. Dakota von Miroslav Slovák, vom 23. März behandeln wir in einem separaten Kapitel (siehe Kapitel 7). An dieser Stelle erwähnen wir nur, dass diese Flucht nach Frankfurt sich im Vergleich zu den anderen dadurch unterscheidet, dass an ihr jugoslawische, in der ČSR wohnende Staatsangehörigen teilnahmen, die folglich durch die ŠtB und die kommunistische Propaganda im Rahmen des politischen Prozesses als imperialistische Agenten von Josip Broz Tito verurteilt wurden.
Schon zehn Tage vor dem Abflug der Dakota von Slovák kam es zu einer Flucht über die Landesgrenze. Vom Flughafen Piešťany stieg in den frühen Morgenstunden das deutsche Jagdflugzeug Arado mit drei Mann Besatzung – Vladimír Krman, Gustáv Molnár und Jozef Fleischhacker – auf, flog über Bratislava und das Gebiet der sowjetischen Besatzungszone bis zur britischen Zone und landete in Graz. Der Initiator dieser Flucht, die unter dem Namen Operation Domino bekannt wurde, war der Trainingspilot Vladimír Krman. Seine Motive für die Flucht waren der ständige Druck seitens politischer Mitarbeiter, Beschuldigungen über seine „politische Passivität“ sowie die reale Bedrohung des Verlustes der Arbeitsstelle und einer Gefängnisstrafe.44 Es ist interessant, dass diese Flucht in keinem der Archivdokumente der tschechoslowakischen Luftwaffe festgehalten ist.
Obwohl es auch nach 1953 immer wieder zu Entführungen von Verkehrs- und Kleinflugzeugen kam, wurden Fluchten tschechoslowakischer Bürger per Flugzeug nicht mehr durch die ‚Westler‘ der RAF organisiert. Dies machte den wesentlichen Unterschied zu den Jahren 1948–1953 aus. Denn in dieser „neuen“ Zeit befanden sich die ‚Westler‘ entweder bereits im Ausland oder im Gefängnis oder es wurde ihnen das Fliegen auch auf innerstaatlichen Fluglinien verboten. Aus dem tschechoslowakischen Flugverkehr wurden alle, die als Feinde des Kommunismus galten, entfernt.
Aus der zweiten Hälfte der 1950er Jahre sind drei Fälle einer erfolgreichen Entführung von Kleinflugzeugen und ein Fall einer misslungenen Entführung einer Dakota bekannt.
Bei der ersten Entführung vom 13. April 1955 bemächtigten sich zwei Studenten, Zdeněk Machilner45 und Karel Kučera, am Flughafen im tschechischen Kolín (Kolin) eines Kleinflugzeugs. Sie landeten in Deutschland nahe der Gemeinde Rohrberg. Am 23. September 1956 feierten Vladimír Vrzal und Ludvík Ševela aus der Gemeinde Vyškov (Wischau) bei Brünn einen ähnlichen Erfolg, sie landeten in Passau. Zwei Jahre später, am 10. Juli 1958, landeten zwei Studenten der Flugschule in Hradec Králové (Königgrätz), Pavel Škreta und Miroslav Pešákin, auf einem Feld in Straubing.46
Die Ära der Entführungen von Dakotas endete am 23. Oktober 1956 mit einem Misserfolg. Der Flug der ČSA (Bez. OK-WDE) von Prag nach Bratislava, der regelmäßig nachmittags verkehrte, verlief problemlos bis zur slowakischen Gemeinde Veľké Leváre, als der Fluggast Jan Rejmon in das Cockpit eindringen wollte. Zusammen mit Libuša Albrechtová versuchte er, den Piloten Jiří Bílek (zweiter Pilot Oldřich Majdloch, Funker Stanislav Baudiš, Bordmechaniker Ladislav Kopeček) mit Waffengewalt zur Änderung des Kurses nach Österreich zu zwingen. Schließlich gelang es der Besatzung, in Bratislava zu landen, wo die Flughafensicherheitskräfte die beiden Entführer entwaffneten. Während der Ermittlung stellte man fest, dass Albrechtová die Waffe in einem Brotlaib ins Flugzeug geschmuggelt hatte.47
Ein anderes Kapitel der tschechoslowakischen Luftfahrt stellen Flugzeugentführungen in den 1960er Jahren dar. Die ursprüngliche Fluchtmotivation änderte sich so, dass die Hauptursache für Fluchten nicht mehr Angst vor dem kommunistischen Regime war, sondern das Streben der Menschen nach einem besseren Leben im Westen. Das Flugzeug wurde nun zum Mittel, um dies zu erreichen. Gewiss darf diese Betrachtung nicht pauschalisiert werden. Eines ist aber einer Überlegung wert: In der Regel flohen jüngere Leute ohne feste Bindungen und Familien, die bereit waren, das Risiko einzugehen, mehrere Jahre ihres Lebens mit der Unsicherheit eines Neuanfangs im Westen zu verbringen.
Am 27. Januar 1961 unternahmen drei Jugendliche den Versuch, ein Flugzeug der ČSA auf der Fluglinie Prag–Bratislava zu entführen. Bereits das Alter der Jugendlichen zeigt, dass ihre Tat wohl nicht die Folge von Abwägungen der positiven und negativen Seiten des politischen Systems gewesen sein kann: Václav Posedil und Michal Procháska waren 15 Jahre alt, Martin Procháska 13. Der Kampf der Besatzung des Flugzeugs Il – 14 (Bez. OK-MCV), namentlich des Kapitäns Alois Kubovič, des Copilots Stanislav Habart und des Funkers Václav Urba, mit den bewaffneten Minderjährigen nahm glücklicherweise kein tragisches Ende. Die von den USA begeisterten Jugendlichen suchten einen Weg in dieses Land, den ihnen das kommunistische Regime verwehrte. Auch schlechte