Bei Leerverkäufen werden Wertpapiere, die man gar nicht besitzt, zu einem Zeitpunkt in der Zukunft verkauft. Dabei wird auf fallende Kurse spekuliert: Der Investor hofft, dass der Kurs zu dem Zeitpunkt, zu dem er das Wertpapier verkaufen muss, niedriger ist als zum Zeitpunkt des Abschlusses des Geschäfts. Die Differenz zwischen tatsächlichem Einkaufspreis und dem im Voraus ausgemachten Verkaufspreis kann dann als Gewinn verbucht werden. Manchmal werden die Wertpapiere gegen eine kleine Leihgebühr geliehen, in der Hoffnung, dass der Kursverfall des Papiers stark genug ist, um auch die Leihgebühr abzudecken. Echte Leerverkäufer halten das Papier aber gar nicht, sondern verkaufen, was sie gar nicht besitzen. Fazit: Leerverkäufer spekulieren – oder wetten – auf fallende Kurse und erzielen Gewinne in Folge des Verlusts anderer.
Leerverkäufe sind ein mächtiges Instrument und haben nicht nur einmal ganze Wirtschaftssysteme durcheinandergerüttelt. Breite Aufmerksamkeit erlangten sie erstmals rund um die Einführung des Euro.
Der berühmteste Leerverkauf – der Kampf um das britische Pfund
In den frühen Neunzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts bereitete sich Europa auf die Währungsunion vor. Dafür waren die Wechselkurse der EU-Mitglieder auf gewisse Bandbreiten festgelegt. So auch das britische Pfund, das aber in den Vorjahren massiv an Wert zugelegt hatte.
Dieses Niveau sollte, so der Wille der britischen Regierung, auch gehalten werden, um einen guten Pfund-Euro-Wechselkurs zu haben. Als weitere relevante Messlatte diente die Deutsche Mark. Genau zu diesem Zeitpunkt entwickelten sich die beiden Währungen aber diametral entgegen – in Großbritannien brachte die Inflation den Kurs des Pfunds unter Druck, während in Deutschland die starke Wirtschaft die Deutsche Mark antrieb.
Der Investor George Soros erkannte, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, bis natürliche Marktkräfte den geplanten Wechselkursmechanismus zerreißen würden. Er sowie etliche andere Finanzexperten spekulierten mit Milliardenbeträgen gegen die Bank of England. Sie »wetteten« auf den Zusammenbruch der Bank. Diese wiederum kaufte Milliarden an Pfund, um die Spekulanten auszubremsen und den Kurs zu halten, zog aber am Schluss den Kürzeren – die Spekulanten hatten schlichtweg mehr finanzielle Mittel als die Bank of England. Insgesamt verkaufte Soros britische Pfund für über zehn Milliarden Dollar leer – in der berechtigten Erwartung, sie später billiger zurückkaufen zu können – und heizte damit die Währungs- und in Folge die Wirtschaftskrise an. Dabei verdiente er nebenbei auf einen Schlag eine Milliarde US-Dollar. Im Gegenzug musste er mit der Verantwortung leben, das Seine dazu beigetragen zu haben, dass England damals nicht der Währungsunion beigetreten ist. Mit all den Folgen, die wir heute – Stichwort Brexit – mittragen müssen.
Neben Leerverkäufen prangert Papst Franziskus auch Steueroasen in Offshore-Zentren explizit an. Diese lernen Sie im Kapitel 8 noch besser kennen – vorweg gesagt: Hier werden Steuern am Fiskus vorbei geschoben und damit der Allgemeinheit Geld entzogen, um einige wenige noch reicher zu machen.
Die Kritik an Leerverkäufen und Offshore-Steueroasen macht deutlich: Rein quantitatives Wachstum ohne Rücksicht auf Erhaltung der Lebensqualität ist aus Sicht des Vatikans eine klare Fehlentwicklung und Investoren sollten tunlichst ihre Finger davon lassen. Doch was nutzen Ihnen diese theoretischen Tipps für Ihre individuelle Anlagestrategie?
Wer sich als gläubiger Menschen nicht selbst mit den Fragen nach »richtigem Anlegen« auseinandersetzen möchte, hat »Gott sei Dank« die Möglichkeit, sein Gewissen quasi bei der Banktür – vorausgesetzt, es ist die richtige – abzugeben. Dafür müssen Sie sich nur dazu entschließen, Ihr Konto bei einer Bank mit christlicher Wertorientierung zu eröffnen. Die meisten dieser »christlichen« Banken bieten neben der Kontoführung auch eigene Fonds für die Vermögensverwaltung an. Beispielhaft sei hier die Steyler Bank genannt. Fonds werden dort laut Eigenangaben im Sinne christlicher Ethik und Ökologie verwaltet. Dabei wird bei der Aktienselektion mit Ausschlusskriterien gearbeitet.
Ausschlusskriterien, manchmal auch Negativkriterien genannt, sind die symbolischen Türsteher eines Portfolios. Durch sie werden Emittenten herausgefiltert, die vorab definierten Werten und Zielen nicht entsprechen.
Welche konkreten Ausschlusskriterien und welche Möglichkeiten es neben dem Ausschluss ganzer Branchen noch gibt, um nachhaltig zu investieren, erfahren Sie in Kapitel 3 genauer.
Zunächst aber zurück zu den katholischen Kriterien. Diese richten sich generell gegen Finanztitel, die Schaden für
Einzelpersonen (zum Beispiel Abtreibung und Pornografie),
die Gesellschaft (zum Beispiel Rüstung und Todesstrafe)
oder die Schöpfung (zum Beispiel Atomenergie und Eingriffe ins Erbgut)
verursachen. Diese Titel werden a priori aus dem Anlageuniversum ausgeschlossen. Zudem werden auch Unternehmen, die Tierversuche einsetzen, Embryonenforschung betreiben oder rund um das Thema «Abtreibung« oder »Verhütung« Geld verdienen, gemieden.
Alles oder nichts
Die Welt und auch das Anlegeuniversum sind komplex und Schwarz-Weiß-Entscheidungen oft unmöglich. Es gibt Mischkonzerne, die auch, aber nur zu einem geringen Prozentsatz mit Tabak Geschäfte machen, oder Pharmakonzerne, die auch Verhütungsmittel, aber daneben eine Reihe lebensrettender Medikamente herstellen. Daher gibt es oft Grenzlimits: Wenn also Energieerzeuger zum Beispiel nur zu einem sehr geringen Prozentsatz – sagen wir weniger als fünf Prozent – aus Atomenergie Strom produzieren, ansonsten aber nur nachhaltige Energiequellen nutzen, sind Investments auch für manche christliche Institutionen erlaubt. Andere Richtlinien schließen kontroverse Themen kompromisslos und komplett aus. Gleiches gilt auch bei Nachhaltigkeits-Gütesiegeln, die Sie im Kapitel 6 noch näher kennenlernen. Auch hier gibt es oft Toleranzgrenzen bezüglich Produktion, Handel oder Umsatz bei bestimmten Branchen.
Ein gutes Beispiel, um die Komplexität der Fragestellung »ethisches Investment« vor Augen zu führen, ist das Thema Empfängnisverhütung.
Verhütungsmittel – ethisches Investment oder nicht?
Aus religiöser Sicht kann man der Meinung sein, dass Sexualität nur dem Ziel der Fortpflanzung dient und daher nur im Rahmen der Ehe erfolgen sollte. Pragmatiker wissen allerdings auch, dass der Geist zwar oft willig, das Fleisch aber mitunter schwach ist. Empfängnisverhütung mittels Pille ist somit sicher die effizienteste Möglichkeit, um Frauen – besonders in Entwicklungsländern – zumindest ein wenig Selbstbestimmung zu ermöglichen. Wie kontrovers das Thema gesehen wird, ist daran zu erkennen, dass sogar die zwei großen christlichen Religionen hier einen unterschiedlich strengen Zugang haben: Während für die Katholiken das Leben mit der Befruchtung beginnt und sie der Ansicht sind, dass man die Fruchtbarkeit der Frau nicht mittels Medikamenten – sprich der Antibabypille – beeinflussen darf, sehen das die Protestanten weitaus pragmatischer. Fazit: Für Protestanten gehören Verhütungsmittel zum Sex dazu, bei Katholiken sind sie offiziell verboten. Entsprechend unterschiedlich ist auch die Einstellung zu Investments in Unternehmen, die Verhütungsmittel herstellen.