Betreffend Transparenzpflichten sind Finanzprodukte derzeit im Zuge der sogenannten Securities Financing Transactions Regulation – kurz SFTR – wie folgt eingeordnet:
Finanzprodukte mit ökologischen und/oder sozialen Merkmalen (»Artikel 8 Produkte«, auch »lightgreen« genannt)
Finanzprodukte, die eine Nachhaltigkeitswirkung anstreben (»Artikel 9« beziehungsweise »darkgreen« Produkte«)
Sonstige Finanzprodukte (»Artikel 6«)
Als Basis für diese Klassifizierung dienen wiederum Nachhaltigkeitsratings – auf diese wird im Kapitel 6 noch näher eingegangen –, die ESG-Faktoren berücksichtigen. Praktisch heißt das, dass es konkrete Positiv- und Negativkriterien geben soll, anhand derer Investmententscheidungen getätigt werden. Die Liste über »gute« und »schlechte« Investments ist allerdings auf EU-Ebene noch nicht final erstellt. Vielmehr bleibt sie notgedrungen »Work in progress« und kann nicht vollständig sein, bevor es nicht zu allen sechs Umweltzielen konkrete Empfehlungen und Ausarbeitungen gibt. (Dies soll bis Juli 2022 der Fall sein.)
Bis dahin müssen sich nachhaltig interessierte Anleger mit Rumpf-Empfehlungen behelfen, sich selbst eine Meinung bilden oder sich auf nationale Gütesiegel verlassen, die in Teil II des Buches skizziert werden. Falls Sie sich selbst eine Meinung bilden wollen, sind die nächsten beiden Abschnitte, in denen es um typische Ausschlusskriterien sowie den Best-in-Class-Ansatz geht, sicher lesenswert für Sie.
Typische Ausschlusskriterien
Ausschlusskriterien dienen dazu, Unternehmen oder Staaten vom Investmentuniversum auszuschließen. Ein Grund kann sein, dass Unternehmen bestimmte Produkte herstellen, an- oder abbauen beziehungsweise produzieren, die man nicht unterstützen will, zum Beispiel Uran, Waffen, Alkohol oder Tabak. Ein anderer Grund kann sein, dass im Zuge der Produktionskette bestimmte soziale, ökologische oder Governance-bezogene Kriterien nicht erfüllt werden.
Der Überlegung, bestimmte Kriterien auszuschließen, kann die Vorgabe einer Religion (siehe Kapitel 2) oder eben die eigene Wertvorstellung zugrunde liegen. Investoren können sich dabei an internationalen Normen und Standards, die von NGOs und Organisationen wie der OECD, der ILO oder der UN definiert werden, orientieren. Wenn Unternehmen zum Beispiel grobe Verletzung von Menschenrechten, Kinderarbeit oder Verstöße gegen Arbeitsnormen nachgewiesen werden oder man draufkommt, dass sie umweltpolitisch getrickst haben, landen sie schnell auf «schwarzen Listen« dieser NGOs. In Folge – und je mehr sich der Nachhaltigkeitsansatz auch in der Finanzwelt durchsetzt – werden jene Probleme haben, sich am Markt zu guten Konditionen zu finanzieren. Die Finanzbranche übt über ihre Investmentstrategien hier also ganz schön Druck aus.
Auch schlechte Unternehmens-Governance wirkt ausgesprochen abschreckend auf Anleger, wie zum Beispiel die gesamte Autobranche, allen voran VW, 2015 schmerzhaft rund um »Dieselgate« erleben musste.
Als Dieselgate werden illegale Manipulationen verschiedener Autohersteller zur Umgehung gesetzlich vorgegebener Abgasgrenzwerte bezeichnet. Nach dem Auffliegen des Skandals war das Anlegervertrauen am Boden, etliche Autohersteller auf Ausschlusslisten gelandet und VW nah am Abgrund. Die Abgasaffäre ließ Köpfe rollen und kostete Milliarden; in Folge sorgte Dieselgate aber auch für einen Innovationsschub in der Automobilbranche, der andernfalls vielleicht noch länger auf sich hätte warten lassen.
Ausschlusskriterien üben also ohne Zweifel unmittelbar Druck auf Unternehmen und ganze Branchen aus, ihr Geschäftsmodell zu überdenken und in Innovationen zu investieren und zwar mit dem Ziel, sich ESG-konform zu entwickeln. Auf Dauer kann sich schließlich kein Unternehmen leisten, von Finanzströmen abgeschnitten zu sein.
Top-Ten-Ausschlusskriterien
Im Jahre 2109 hat das Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) eine Umfrage gestartet, um die gängigsten Ausschlusskriterien zu identifizieren.
Das Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) ist der Fachverband für Nachhaltige Geldanlagen in Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz.
Wenn Sie mehr über Hintergrund und Zielsetzung dieses Forums erfahren wollen, blättern Sie doch zu Teil II dieses Buches. Hier mal vorweg die Top-Ten-Liste derjenigen Themen, die deutsche Investoren am wenigsten mögen:
1 Arbeitsrechtsverletzungen
2 Korruption
3 Menschenrechtsverletzungen
4 Umweltzerstörung
5 Kohle
6 Waffen und Rüstung
7 Tabak
8 Kernenergie
9 Pornografie
10 Alkohol
Österreich tickt ähnlich, allerdings fallen die Themen »Umweltzerstörung« und »Alkohol« aus den Top Ten raus. Ein Schelm, wer Böses denkt. Stattdessen hat man südlich Deutschlands eine ausgesprochene Abneigung gegen die Themen »Gentechnik« und »Glücksspiel«. Ebenfalls bemerkenswert: In Österreich ist Kernkraft stark verpönt und oftmals unter den Top Drei der Ausschlusskriterien institutioneller Anleger angeführt.
In der Schweiz waren die ungeliebten Zehn im Jahr 2019:
1 Waffen
2 Tabak
3 Pornografie
4 Korruption und Bestechung
5 Kohle
6 Kernenergie
7 Menschenrechtsverletzung
8 Arbeitsrechtsverletzung
9 Glücksspiel
10 Umweltzerstörung
Bis auf kleine regionale Unschärfen ist man sich im DACH-Raum jedoch ziemlich einig, in welche Branchen man besser nicht investieren soll. Doch schlechte ESG-Daten führen nicht nur dazu, dass sich Unternehmen am Kapitalmarkt immer schwerer mit neuem Kapital versorgen können, da ihre Aktien und Anleihen weniger nachgefragt werden. Noch viel dramatischer ist es, wenn ein Unternehmen in den Fokus einer Divestment-Kampagne gerät.
Divestment
Divestment ist das Gegenteil von Investment. Das bedeutet, dass Aktien, Anleihen oder Investmentfonds von Investoren gezielt abgestoßen werden.
Keine Kohle für die Kohle
Mittlerweile gibt es immer mehr gezielte Divestment-Kampagnen, um die Kohle-, Öl- und Gasindustrie zu schwächen. Der Hintergrund ist klar: Diese mächtigen Branchen mit großer wirtschaftlicher – und politischer – Bedeutung verzögern und behindern mit ihrem Einfluss immer wieder konkrete Maßnahmen und wichtige Schritte zur Bekämpfung des Klimawandels. Sie wehren sich mit Bezugnahme auf Verträge, die ihnen langfristige Ausstiegsszenarien zusichern oder mit Arbeitsplatzargumenten (beides nachvollziehbare Gründe) gegen Grubenschließungen und beharren manchmal sogar auf die Erschließung neuer. Wenn jetzt aber große institutionelle Investoren wie Versicherungen und Pensionskassen (und immer mehr