Um das Universum zu beschreiben, benutzte die antike Menschheit Worte wie Verbundenheit, Harmonie und Einheit. Im 4. Jahrhundert v. Chr. betrachtete der vorsokratische griechische Philosoph Heraklit von Ephesus alle Dinge als miteinander verbunden. In ähnlicher Weise sagte der berühmte griechische Arzt Hippokrates: »Es gibt einen gemeinsamen Fluss, eine gemeinsame Atmung, alle Dinge sind miteinander verbunden«. Und Richard Tarnas zitiert den römischen Philosophen Plotin, den Begründer des Neoplatonismus und Autor der Enneaden, wie folgt: »Die Sterne sind wie Buchstaben, die sich in jedem Augenblick in den Himmel einschreiben. Alles in der Welt ist voller Zeichen. Alle Ereignisse sind aufeinander abgestimmt. Alle Dinge hängen voneinander ab. Alles atmet zusammen«. Dies sind Beispiele für die klassische Idee, dass das Getrenntsein eine Illusion ist (PLOTIN 1950).
Die Weltanschauungen der indigenen Völker, der Antike, der Klassik und des Mittelalters postulierten ebenfalls die Existenz einer wesentlichen Alternative zur linearen Kausalität in Form einer höheren Kraft. Selbst für Gottfried Wilhelm Leibniz, den deutschen Philosophen des 19. Jahrhunderts, war Kausalität weder die einzige noch die hauptsächliche Auffassung. Beispiele für eine Alternative zur linearen Kausalität sind die Prozesse des Filmemachens und des Betrachtens von Filmen, bei welchen die Kausalität, die wir beobachten, nur scheinbar wahr ist; in Wirklichkeit ist sie nur eine Methode, um eine Geschichte zu vermitteln. Die Personen, die die Filme gestaltet haben, ordneten die Abfolgen von Szenen und Bildern so an, dass wir sie als kausal verbunden wahrnehmen.
Die Hindus, die das Universum als Lila verstehen, ein göttliches Spiel, das von einem kosmischen Bewusstsein geschaffen wurde, das Erfahrungen arrangiert, wenden dieselbe Art des Denkens auf die Welt der Materie an. Alle magischen und divinatorischen Vorgänge früherer Zeitalter basierten auf einem ähnlichen Weltverständnis. Mit dem Aufkommen der physikalischen Wissenschaften verschwand die Entsprechungslehre vollständig, und die magische Welt früherer Zeitalter verschwand. An ihre Stelle trat das Denken in linearen Kausalzusammenhängen, das zum Eckpfeiler der materialistischen Wissenschaft wurde.
Synchronistisches Denken ist außerdem von wesentlicher Bedeutung für ein angemessenes Verständnis der Astrologie der Archetypen. Jung benutzte die Astrologie in seinem Aufsatz, um die vielfältigen synchronistischen Zusammenhänge zwischen der materiellen Welt und der menschlichen Psyche aufzuzeigen. In seinen späteren Lebensjahren befasste er sich regelmäßig mit den astrologischen Horoskopen seiner Patienten, bevor er mit ihnen zu arbeiten begann. Seine Tochter, Gret Baumann-Jung, studierte eigens Astrologie, um für ihn die Horoskope seiner Patienten zu erstellen und um 1974 für den Psychologischen Klub in Zürich eine Arbeit über das Horoskop ihres Vaters vorzustellen. Gegen Ende seines Lebens war Jung von der Bedeutung der Synchronizität in der natürlichen Ordnung der Dinge so überzeugt, dass er sie als Leitprinzip in seinem täglichen Leben verwendete.
Der berühmteste Fall von Synchronizität in Jungs eigenem Leben ereignete sich während einer Therapiesitzung mit einer seiner Patientinnen. Diese Patientin war sehr resistent gegen die Psychotherapie, gegen Jungs Interpretationen und gegen die Vorstellung von transpersonalen Realitäten. Während der Analyse eines ihrer Träume mit einem goldenen Skarabäus, als die Therapie in eine Sackgasse geraten war, hörte Jung, wie etwas gegen die Fensterscheibe prallte. Er schaute nach, was passiert war, und fand auf der Fensterbank einen glänzenden Rosenkäfer (Cetonia aurata), der versuchte, ins Haus zu gelangen. Es handelte sich um ein sehr seltenes Exemplar, die engste Entsprechung zu einem goldenen Skarabäus, der in diesen Breitengraden zu finden ist. Nichts dergleichen war Jung jemals zuvor oder danach begegnet. Er öffnete das Fenster, brachte den Käfer hinein und zeigte ihn seiner Klientin. Diese außergewöhnliche Synchronizität wurde zu einem wichtigen Wendepunkt in der Therapie dieser Frau.
Cetonia aureata, der »Skarabäus« aus der Synchronizitäts-Geschichte von C. G. Jung.
Beobachtungen von Synchronizitäten beeinflussten Jungs Denken und seine Arbeit tiefgreifend, insbesondere sein Verständnis der Archetypen, der universalen Urbilder und der ordnenden Prinzipien des kollektiven Unbewussten. Die Entdeckung der Archetypen und ihrer Rolle in der menschlichen Psyche ist Jungs wichtigster Beitrag zur Psychologie. Über weite Strecken seiner beruflichen Laufbahn war Jung sehr stark von der kartesisch-kantischen Perspektive beeinflusst, welche die westliche Wissenschaft mit ihrer strikten Trennung zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven, dem Innen und dem Außen dominiert. Unter ihrem Einfluss sah er die Archetypen zunächst als transindividuelle, aber im Wesentlichen innerpsychische Prinzipien, vergleichbar mit biologischen Instinkten. Er ging davon aus, dass die Grundmatrix für sie im Gehirn fest verankert ist und von Generation zu Generation vererbt wird.
Die Existenz von synchronistischen Ereignissen ließ Jung erkennen, dass Archetypen sowohl die Psyche als auch die materielle Welt transzendieren. Er war überzeugt, dass es sich um autonome Bedeutungsmuster handelt, die sowohl die Psyche als auch die Materie beeinflussen. Er sah, dass sie eine Brücke zwischen Innen und Außen bilden, und schlug die Existenz einer Grauzone zwischen Materie und Bewusstsein vor. Aus diesem Grund begann Jung, sich auf Archetypen als »psychoide« (psyche-ähnliche) Qualitäten zu beziehen, wobei er den Begriff verwendete, der von Hans Driesch, dem Begründer des Vitalismus, geprägt wurde (DRIESCH 1914). Stephan A. Hoeller beschrieb Jungs vertieftes Verständnis der Archetypen in poetischer Sprache auf prägnante Art und Weise: »Der Archetyp ist, wenn er sich in einem synchronistischen Phänomen manifestiert, wahrhaftig ehrfurchtgebietend, wenn nicht geradezu wunderbar – ein unheimlicher Bewohner auf der Schwelle. Psychisch und zugleich physisch könnte man ihn mit dem doppelgesichtigen römischen Gott Janus vergleichen. Die beiden Gesichter des Archetyps sind in dem gemeinsamen Kopf der Bedeutung vereint« (HOELLER 1982).
Psychiater hören von ihren Patienten oft von »phantastischen Zufällen«; das bemerkenswerte Phänomen der Synchronizität ist jedoch von der konventionellen Psychologie und Psychiatrie nicht erkannt worden. Verweise auf »unglaubliche Zufallsereignisse« werden nicht ernst genommen und als pathologische Verzerrungen der Wahrnehmung und des Urteilsvermögens oder als »Beziehungswahn« angesehen. Wer sich jedoch die Zeit nimmt, die Fakten zu überprüfen, muss zugeben, dass die Wahrscheinlichkeit, dass viele dieser Koinzidenzen zufällig sind, verschwindend gering ist.
In den sechzig Jahren, in denen ich mich mit Bewusstseinsforschung befasse, habe ich viele außergewöhnliche Synchronizitäten bei meinen Patienten beobachtet, insbesondere bei denen, die sich einer psychedelischen Therapie unterziehen und spirituelle Krisen erleben, sowie bei Teilnehmern an Workshops und Schulungen zum Holotropen Atmen. Ich habe auch viele Geschichten über sie von meinen Kollegen in Forschung und Therapie gehört und hunderte davon persönlich erlebt. Ich möchte diese Erörterung der Synchronizität mit einigen Beispielen illustrieren. Interessierte Leser können in meinem Buch Impossible – Wenn Unglaubliches passiert (GROF 2006) weitere Beispiele für bemerkenswerte Synchronizitäten finden.
Das erste dieser Beispiele ist eine außergewöhnliche Geschichte im Zusammenhang mit meinem verstorbenen Freund und Lehrer, dem berühmten Mythologen Joseph Campbell. Sie weist insofern eine gewisse Ähnlichkeit mit Jungs Begegnung mit dem Goldkäfer auf, als dass sie das Erscheinen eines Insekts zu einer höchst unwahrscheinlichen Zeit und an einem äußerst unwahrscheinlichen Ort zum Inhalt hat. Während einem seiner vielen Workshops am Esalen-Institut in Big Sur, Kalifornien, hielt Joe einen langen Vortrag über sein Lieblingsthema: die Arbeit von C. G. Jung und seine revolutionären Beiträge zum Verständnis der Mythologie und Psychologie. In diesem Vortrag sprach er flüchtig über das Phänomen der Synchronizität. Einer der Teilnehmer, der mit diesem Begriff