how to get Gelassenheit. Patrick Lynen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Patrick Lynen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783867287418
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      Ich habe schon früh gewusst, was ich beruflich machen wollte: »Was mit Medien«. Sehr bald war ich beim Radio. Nebenher habe ich als Sprecher für Werbespots gearbeitet. Doch plötzlich bekam ich aus heiterem Himmel massive Stimmprobleme. Ich konnte von einem Tag auf den anderen nicht mehr vor einem Mikrofon sprechen. Wochenlang hatte ich Schlafstörungen und Schweißausbrüche und ich fühlte mich zunehmend körperlich und seelisch am Ende. Gleichzeitig war ich davon überzeugt: Wer in unserer Gesellschaft scheitert, gilt als Verlierer. Ich überlegte sogar, deswegen ins Ausland zu gehen. Doch die Arbeit im Medienbereich lag mir einfach am Herzen.

      Mein Stimmproblem war kein organisches, wie sich nach einigen ärztlichen Untersuchungen zeigte. Im Alltag war meine Stimme ja auch in Ordnung. Nein, etwas in mir wollte einfach nicht mehr in ein Mikrofon sprechen. Meine Seele stellte mir gewissermaßen ein Bein und »missbrauchte« dafür meine Stimmbänder. Vermutlich brauchte ich genau diese wichtige Lernerfahrung des Scheiterns, der Verzweiflung, der Demut und des Durchhaltens, um zu persönlicher Einkehr zu gelangen und mich selbst neu zu erfinden.

      Und so habe ich einen Schritt zur Seite gemacht und für eine Weile den Rückwärtsgang eingelegt. Anstelle des dauerhaften und weitgehend selbst gemachten Leistungsdrucks erlaubte ich mir wieder die Leichtigkeit des Anfängers, der Fehler machen durfte. Das gab mir die Freiheit, eine der schöpferischsten Phasen meines Lebens in Angriff zu nehmen. Und so beschloss ich, alle Kompetenzen zu erwerben, die man als Trainer braucht. Ich habe mich fortgebildet und mir einen völlig neuen Bereich in den Medien erschlossen. All das wäre gewiss nicht passiert, wenn meine Stimme mich damals nicht für eine Weile im Stich gelassen hätte.

      Kurz nach meinen Stimmproblemen kam der 11. September 2001. Keine persönliche Katastrophe für mich, und doch brannte sich der Tag als unglaubliches Entsetzen in meine Erinnerung ein. Selbst mit Abstand bleibt er für mich ein Trauma. Vor meinen Augen laufen noch jene Bilder ab, die Millionen von Menschen bis heute ängstigen. Doch 9/11 gab den Menschen auch die Chance, zu hinterfragen, was für sie wirklich wichtig ist. Viele sind in den Tagen nach den Anschlägen ihren Liebsten wieder näher gekommen. Viele haben sich darauf besonnen, was wirklich wichtig ist. Wir haben uns in den Armen gehalten und einander unsere weiche Seite gezeigt.

      Hinter jeder Katastrophe verbergen sich große Chancen – wenn wir sie erkennen. Ob Kündigung, Krankheit, Scheidung, Unfälle, finanzielle Nöte. Die Schmerzen und das Gefühl, dass sich unter uns ein Abgrund öffnet, können zu einem achtsamen Umgang mit uns und den Mitmenschen führen und damit den Boden für Gelassenheit bereiten.

      Und dieses Leben ist schön.

      Zum Verrücktwerden schön.

      Nicht, dass es so wäre.

      Doch ich sehe es so.

      Bohumil Hrabal, tschechischer Schriftsteller, 1914-1997

      Manchmal sehnen wir uns nach einem Neuanfang – und finden gleichzeitig Hunderte von Gründen, eine Veränderung abzulehnen. Ja, klar – ich will schon entspannter sein, aber ändern möchte ich besser nichts. Natürlich will ich einen neuen Job, aber bitte nicht so anstrengend. Klar, das wäre eine Riesenchance, doch ich könnte mich blamieren … Wir suchen dann nach einer Vollkaskoversicherung, die es natürlich nicht geben kann.

      Vielleicht gefällt dir ja die folgende Idee: Probier es doch mal mit einem halben Neuanfang. Sozusagen ein Neuanfängchen. Alles wird neu, aber nur ein bisschen. Geht nicht? Von wegen!

      Inspiriert vom Dokumentarfilmer Morgan Spurlock, hat es Google-Mitarbeiter Matt Cutts ausprobiert. Seine Idee: Wenn dir echte Veränderung zu radikal ist, versuch es mit einer überschaubaren Zeit von 30 Tagen. Sein Motto war: Mach in der Zeit einfach alles, worauf du immer schon Lust hattest. Matt Cutts hat in diesen 30 Tagen all die Dinge verwirklicht, die er lange Zeit nur in seinem Herzen bewegt hat. Und weil er sein Projekt zeitlich befristet anging, konnte er sich ganz entspannt hineinfallen lassen. In einem Blog zu seinem Experiment schrieb er:

      »Am Anfang habe ich mir das gar nicht zugetraut. Doch dann habe ich mit etwas Kleinem angefangen. Ich bin mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren. Es hat mich morgens schon viel näher zu mir selbst gebracht. Meine Ziele wurden dann immer größer. Irgendwann habe ich dann sogar einen Roman geschrieben. O.k., der war natürlich nicht gut – was kann man in 30 Tagen schon schaffen?! Doch zumindest kann ich mich nun Autor nennen und ich habe die Ruhe und den Frieden beim Schreiben kennengelernt. Ich habe von Tag zu Tag mehr Sachen gemacht, die ich bis dahin nie angegangen bin. Und jeden Tag habe ich mehr Selbstbewusstsein und Gelassenheit entwickelt. Bis dahin war ich nur die Person, die dieses und jenes gut konnte. Danach war ich für mich und meine Freunde mehr. Ich konnte mir und der Welt zeigen, dass neben den bekannten Schichten noch viel mehr in mir schlummert. Das hat mich wie zu meiner inneren Mitte geführt.«

      Matt Cutts hat während dieser Zeit übrigens komplett auf News und Social Media verzichtet.

      Zeichne doch einfach mal auf ein Blatt Papier, was du in deinen 30 Tagen Neuanfängchen so alles an verrückten Dingen anstellen und unbedingt erleben würdest. Und falls in deinem Kopf gleich wieder ein »ja, eigentlich schon – aber …« aufkommt, dann schreib es gleich daneben und streiche es mit einer anderen Farbe fett durch. Leg einfach los und zeichne. Je knalliger, desto besser.

       Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe

      Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

       Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

      In andre, neue Bindungen zu geben.

      Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

      Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

      Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,

      An keinem wie an einer Heimat hängen,

      Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,

      Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.

       Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise

      Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,

      Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,

      Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

       Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

      Uns neuen Räumen jung entgegen senden,

       Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…

       Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

      Hermann Hesse

      Echtes Lernen findet nur außerhalb unserer Komfortzone statt. Die Komfortzone ist der Ort, an dem wir uns so herrlich sicher fühlen und an dem wir alles »richtig« machen. Unsere Wünsche, Ziele, Chancen und Sehnsüchte liegen jedoch meist außerhalb dieser Komfortzone, auf der anderen Seite der Straße. Erst Widerstand und Fehlversuche machen Wachstum überhaupt möglich. Damit es uns so richtig gut geht, muss es uns ab und zu auch mal schlecht gehen dürfen.

      Alle Veränderungsprozesse folgen mehr oder weniger einem Verlauf, der 1947 erstmalig von Kurt Tsadek Lewin, einem der einflussreichsten Pioniere der Psychologie, beschrieben worden ist. Diese Phasen der inneren Veränderung laufen ab, wenn wir uns Neuem zuwenden (müssen):