Aus dieser Perspektive ist die innere Arbeit nicht etwas vom Leben oder von der Welt Getrenntes. Verstehen ist auch nicht von der Welt getrennt. Es ist nicht etwas Zusätzliches, das wir tun, ein Extra, es ist nichts Besonderes oder etwas Hinzugefügtes. Es ist eigentlich etwas, das jeder tut, manche Menschen effizienter als andere. In der inneren Arbeit konzentrieren wir uns nur darauf. Wir isolieren den Prozeß der Verdauung, damit wir mit der Zeit effizienter werden. Wenn wir effizienter werden, dann besteht die Chance zu größerer Entwicklung und Reife. Jeder ist natürlicherweise damit beschäftigt, da es das Leben des Lebens selbst ist – die praktische, alltägliche, in jeder Sekunde stattfindende Verarbeitung und Absorption von Eindrücken und das Lernen und das Wachstum, die daraus hervorgehen. Man muß weder eine spezifische Erfahrung noch einen spezifischen Zustand erreichen. Verstehen verlangt nicht, daß ihr nach bestimmten Themen oder Mustern in euch jagen müßt, noch daß ihr sie loswerden müßt. Alle Erfahrung ist Nahrung, und wenn ihr wirklich präsent seid, dann verdaut ihr mehr von dieser Nahrung, und zwar schneller und vollständiger. An anderer Stelle werden wir den Prozeß der Verarbeitung detaillierter im Hinblick auf Absorption und Eliminieren besprechen, aber jetzt müssen wir zuerst seine Grundlagen verstehen. Ihr könnt über diesen Prozeß in dem Buch über Persönliche Essenz nachlesen (Siehe Almaas, The Pearl Beyond Price, 1988).
Die Entwicklung, die aus Verstehen herrührt, die Reife, die aus Assimilation von Erfahrung resultiert, führt zu dem, was wir das persönliche Seinsgefühl (personal sense of being) nennen: dem Teil von euch, von dem ihr das Gefühl habt, das seid ihr, und der in der Lage ist, in der Welt zu funktionieren und doch zugleich immer noch zu sein. Persönliche Essenz ist der Aspekt, bei dem ihr am deutlichsten spürt, daß ihr auf persönliche Weise da seid. Ihr fühlt: „Ich bin hier; ich bin ein substantielles Gefühl von Präsenz.“ Da ist Fülle, Seiendheit (beingness), Da-Sein (thereness). Im Grunde ist das, was ihr jedesmal, wenn ihr auf der Suche seid, mehr als alles andere tut, diese Fülle eures Seins wegzuschieben.
Je weniger ein Mensch auf der Suche ist, um so erfüllter ist er. Ein elender Mensch ist jemand, der intensiv sucht. Ich spreche von emotionalem Leiden, nicht von jemandem, dem ein Dach auf den Kopf gefallen ist oder etwas Ähnliches. Aber sogar wenn euch ein Dach auf den Kopf fällt, habt ihr eine bessere Chance der Heilung und Genesung, wenn ihr nicht mit der Aktivität des Suchens beschäftigt seid. Auch wenn ihr kein Geld habt, werdet ihr glücklich sein, wenn ihr euch selbst sein laßt. Auch wenn ihr Millionen besitzt, wenn ihr auf der Suche seid, wird es euch schlecht gehen. Natürlich, wenn ihr kein Geld habt und nichts zu essen, werdet ihr Hunger haben und der wird wehtun. Aber sogar dann habt ihr vielleicht eine andere Art Zufriedenheit, die jenseits dieses Schmerzes liegt.
Es ist nichts neu an dem, was ich sage. Man sagt das seit Tausenden von Jahren. Aber gewöhnlich geht es zum einen Ohr hinein und zum andern wieder hinaus, weil wir weiter an unsere Aktivität glauben. „Wenn ich nicht das und das tue, werde ich niemals glücklich sein.“ Wir sprechen nicht von Aktivität wie ein Auto fahren oder Essen kaufen; natürlich muß man diese Dinge tun. Ich spreche von innerer Aktivität und dem Ausdruck dieser inneren Aktivität in äußerer Aktivität. Ihr könnt äußerlich sehr intensiv engagiert sein, während ihr innerlich still seid, aber meistens ist äußere Aktivität ein äußerer Reflex der Aktivität des Geistes. Wir sind äußerlich geschäftig, weil unser Geist geschäftig ist. Wir sind in unserer Aktivität nicht präsent. Deshalb sagen viele Lehren, wir sollten langsamer werden, ein bißchen ruhiger werden und unser Leben einfacher gestalten. Ihr müßt langsamer werden, nur um den Prozeß zu sehen und zu verstehen. Und das, damit ihr den Unterschied merkt. Nicht weil äußere Aktivität schlecht ist, vielmehr daß ihr innen und außen zu geschäftig seid, um die Chance wahrzunehmen, sehen zu können, was wirklich hier ist. Wenn ihr wirklich seid, spielt es keine Rolle, wie schnell ihr im Außen seid. Aber wenn ihr nicht da seid, entfernt ihr euch, gleich welches Tempo ihr habt, immer noch weiter von euch selbst weg.
An der Welt, in der wir leben, an der Welt des Scheins und an allem, in ihr ist nichts verkehrt. In gewissem Sinn ist sie neutral, insofern als Dinge weder gut noch schlecht sind. Was sie zu einem Ort des Leidens macht, ist die Tatsache, daß wir nicht in ihr präsent sind; was sie zu einem Ort der Erfüllung macht, ist die Tatsache, daß wir in ihr präsent sind. Denn Erfüllung ist nichts anderes als die Fülle unserer Präsenz.
Die Welt ist wie eine Zaubershow. Ihr manifestiert, was immer ihr gerade empfindet. Wenn ihr leidet, dann manifestiert ihr Leiden, und wenn glücklich seid, dann manifestiert ihr dieses Glück und die Welt ist für euch ein Ort des Glücks. Wenn ihr Angst habt und haßt, dann werdet ihr dies manifestieren. Die Welt ist wie euer Traumleben; so einfach ist das. Euer Traumleben hängt sehr von eurer Psyche ab; es ist nicht Gott, der euer Traumleben bestimmt. Niemand anders zwingt euer Traumleben in die eine oder andere Richtung. Eure Träume sind ein Ausdruck dessen, wer ihr seid; es ist ein ganzes Universum in euren Träumen in Bewegung.
Wir sehen dasselbe in unserer kollektiven Welt – wir alle zusammen erzeugen alle möglichen Dinge, aber der Hauptteil dessen, was wir im Leben sehen und wie wir es sehen, hat mit Denken (mind) und damit zu tun, wofür wir uns halten. Ihr beklagt euch vielleicht jahrelang darüber, daß ihr keinen Freund oder keine Freundin habt. Ihr arbeitet vielleicht sehr intensiv daran, bis es an einem bestimmtem Punkt zu einer winzigen Verschiebung bei einem bestimmten Thema kommt, das sich entspannt, wenn ihr einen Teil von euch versteht. Dann scheint plötzlich ein Freund oder eine Freundin wie vom Himmel zu fallen, wie durch Zauberei. Es ist so, als hätte es einen Widerstand in euch gegeben, einen Teil, der keinen Freund oder keine Freundin haben wollte. Dasselbe Phänomen kann es bei allem geben – einem befriedigenden Job, genug Geld –, all den Dingen, nach denen die meisten Menschen streben. Ihr sucht vielleicht nach einer sinnvollen Arbeit, ihr arbeitet vielleicht an sehr vielen Konflikten, Selbstbildern und Problemen im Zusammenhang mit solch einem Job, aber nichts ändert sich; aber wenn ihr tief innen bereit seid, trifft es ein wie durch Zauberei. Von diesem Phänomen hat man mir Hunderte von Malen berichtet. Es kann das Unwahrscheinlichste auf der Welt sein, aber wenn ihr es mit ganzem Herzen wollt, dann manifestiert es sich wie durch Zauberei.
Eigentlich beeinflußt ihr eure Wirklichkeit vielleicht viel mehr, als ihr glaubt. Jemand möchte zum Beispiel mehr Klienten für seine Firma. Ich helfe vielleicht, was die Themen angeht, aber nichts ändert sich, bis plötzlich ohne ersichtlichen Grund Klienten aus dem Nichts auftauchen. Wie kommt das? Oft tritt so etwas ein, wenn jemand vollständig aufgegeben hat und mit allem aufhört, was er bis dahin dafür getan hat. Das Einzige, was man als Grund nennen könnte, ist nichts, nichts tun.
Wir trauen nicht der Macht und dem Reichtum unseres Seins. Wir gehen immer von der Perspektive von Mangel und Armut aus und sind davon überzeugt, daß wir so sind und von da aus an unser Leben herangehen sollten. Das ist für alle, die glauben, daß dies so ist, ganz in Ordnung, aber sie können sich auf Leiden einstellen. Wenn ihr mir nicht glaubt, können wir uns in 20 Jahren wieder sprechen.
Natürlich gibt es viele Kräfte, die uns zur Haltung des Suchens drängen. Wir haben eine Vielzahl von Begierden, sehr viel Menge Haß für uns selbst und andere und eine nicht enden wollende Ignoranz in Bezug darauf, wer wir sind und was Wirklichkeit ist. Ein Teil meines Ansatzes ist, daß wir all das erforschen müssen, damit die Kräfte und Energien, die die Suche motivieren, abnehmen und schließlich verschwinden. Aber von Anfang an müssen wir erkennen, daß Suchen Leiden ist und daß Suchen, von Natur aus, uns selbst allein läßt, daß die Aktivität des Suchens uns von unserer natürlichen Entfaltung abhält und unser Sein in weite Ferne rückt. Suchen ist Handeln von einer falschen Prämisse aus, während Verstehen ein natürlicher, gewöhnlicher Vorgang ist, der keine Anstrengung verlangt.
Schüler: Ich sehe, daß ich, besonders in letzter Zeit, viel Zeit damit verbringe, Wissen zu suchen. Ich lerne Dinge auswendig und versuche Dinge zu lernen; weil es einen Quiz darüber geben wird. Ich glaube, was ich fragen möchte, ist, wie ich damit auf eine Weise umgehen kann, die …
A. H. Almaas: