Durch die Wolfsblume gesagt –
Von Stolpersteinen, Tarnkappen, Bremsen,
Peitschen und Schraubzwingen
»Kühner als das Unbekannte zu erforschen, kann es sein, das Bekannte zu bezweifeln.«
H. Jaspers
Die Gewaltfreie Kommunikation geht davon aus, dass auch der Wolf auf seine Art versucht, dem anderen zu sagen, wie es ihm geht und was er braucht! Aber er tut es so indirekt und ungeschickt, dass dieses Anliegen überhaupt nicht mehr spürbar ist! Er spricht sozusagen durch die Wolfsblume. Leider führt dieser Weg oft ins Dickicht eines sich verheddernden Gespräches!
Damit du einen ersten Geschmack davon bekommst, wie die Giraffe das Gleiche ausdrücken würde, lasse ich sie dem Wolf gleich ihre »Übersetzung« ins Ohr flüstern. Statt über Vorwürfe und Rechtfertigungen spricht sie darüber, wie es ihr geht und was sie braucht.
Der »Du-bist-unfähig!«-Stolperstein
Der Wolf versucht oft, etwas zu verändern, indem er anderen auf vielerlei Weise sagt, was an ihnen falsch ist. Dabei geht er selbstverständlich davon aus, dass seine Meinung »wahr« und damit objektiv gültig ist. In diese Kategorie gehören alle Arten von negativen, entwertenden Interpretationen, Unterstellungen und Diagnosen, mit denen der Wolf andere kritisiert, beschuldigt, anklagt, verurteilt und beschämt.
»Immer musst du alles besser wissen und das letzte Wort haben!« Giraffe: »Ich bin frustriert, weil ich denke, dass du mich nicht hörst und weil mir die Verbindung zu dir am Herzen liegt.«
»Du bist vielleicht faul und egoistisch! Hockst hier am Computer, während ich mich abrackere, um unser ganzes Gepäck im Auto zu verstauen!« Giraffe: »Ich bin total gestresst und brauche dringend Hilfe!«
Die »Ich-kann-nichts-dafür!« – Tarnkappe
Wenn der Wolf versucht, einem anderen Menschen zu sagen, wie es ihm geht und was er braucht, spricht er oft so, als läge die Ursache für sein Fühlen, Denken und Handeln außerhalb seiner selbst. Er schiebt damit die Verantwortung von sich weg – und mit ihr auch seine Kraft!
»Ich kann doch nichts dafür, wenn unsere Konflikte dauernd eskalieren!« Giraffe: »Ich bin verzweifelt und brauche Mitgefühl!«
»Ich kann nichts dafür, dass jetzt Farbspritzer auf den Scheiben sind! Der Wind hat die Folie weggeweht!« Giraffe: »Ich bedauere, dass die Scheiben mit Farbe verspritzt sind. Ich werde sie morgen säubern.«
»Wenn die Arbeit nicht bis heute Abend fertig wird, liegt das doch nicht an mir! Kollege Meier hat mir den Vorgang erst gestern gegeben!«
Giraffe: »Ich fühle mich unter Druck und brauche Verständnis und Ermutigung!«
Die »Wehe-wenn-du!« – Peitsche
Mit »Wenn-du«-Formulierungen versucht der Wolf, den anderen zu motivieren, sein Verhalten zu ändern, indem er ihm deutlich oder subtil droht und Angst macht.
»Wenn du noch einmal in diesem Ton mit mir sprichst, kannst du etwas erleben!« Giraffe: »Ich bin erschrocken und traurig, weil mir achtsamer Umgang miteinander wichtig ist!«
»Wenn du noch einmal zu spät kommst, war das unsere letzte Verabredung!« Giraffe: »Ich bin frustriert, weil ich meine Zeit sinnvoll und selbstbestimmt nutzen möchte!«
»Wenn Sie das Projekt nicht bis Mittwoch abgewickelt haben, können Sie sich einen anderen Job suchen!« Giraffe: »Ich bin gestresst und brauche Sicherheit. Bitte sagen Sie mir, wie Sie im Zeitplan liegen!«
Die »Du-sollst!«-Schraubzwinge
Auf diesem Weg versucht der Wolf dem anderen zu sagen, wie es ihm geht und was er braucht, indem er Forderungen an den anderen richtet und ihm sagt, was er soll, was er muss, wozu er verpflichtet ist oder was er hätte lassen sollen.
»Nehmen Sie Ihren verdammten Köter an die Leine!« Giraffe: »Ich bin ängstlich und brauche Sicherheit!«
»Was Sie da reden ist doch alles hohles Gesülze. Sie sollten sich erst einmal mit den Tatsachen vertraut machen!« Giraffe: »Ich bin frustriert, weil mir klare, direkte Kommunikation am Herzen liegt!«
»Du solltest weniger fernsehen! Das ist so eine oberflächliche Art die Zeit totzuschlagen!«
Giraffe: »Ich bin frustriert, weil ich gerne mit dir gemeinsam etwas Lebendiges erleben möchte. Bitte lass uns heute Abend in das Cello-Konzert gehen, okay?«
Das waren Beispiele für die Schwergewichtler der Wolfssprache. Darüber hinaus gibt es noch eine ganze Reihe von weiteren Kommunikations-Hindernissen wie Vergleichen, Verharmlosen, Leug-nen etc., zum Beispiel:
»Mein Vater hätte das Ding im Nu wieder hingekriegt!« Giraffe: »Ich fühle mich überfordert und brauche im Haus mehr Unterstützung. Bitte sage mir, ob du den Wasserhahn auswechseln kannst oder ob wir den Klempner holen müssen.«
»Ach, komm, stell dich nicht an. Das ist doch nicht so schlimm! Jeder hat mal Stress auf der Arbeit!« Giraffe: »Ich bin selber erschöpft und brauche gerade ein bisschen Ruhe! Kannst du mir das alles in einer halben Stunde erzählen?«
Selbst beim Schreiben spüre ich, wie die schneidende Kälte solcher Worte Menschen in eine emotionale Polarlandschaft versetzt – und genieße lieber die sonnigen Giraffeninseln!
Sicher hast du solche Wolfssätze selbst schon gesagt oder in Dialogen bei anderen gehört. Häufig drücken Menschen ihre Meinungen, Interpretationen und Forderungen aus, statt direkt von ihren Bedürfnissen zu sprechen. Außerdem begegnen uns diese »Verbindungs-Erschwerer« im alltäglichen Gespräch ja nicht säuberlich sortiert, sondern sind explosiv zusammengemischt und schaukeln sich in Dialogen zur geballten Ladung auf.
So angesprochen hat wohl kaum jemand Lust, zu unserem und des anderen Wohlergehen beizutragen. Die Verbindung hat keine Kraft. Der andere ist nicht berührt und wird vermutlich eher mit Gegenangriff, Widerstand oder Rückzug reagieren, statt wohlwollend zu antworten.
So verschleißen wir viel Energie und Nerven und lassen den Fluss unserer Verständigung austrocknen. Und auch wenn wir mit derartigen Strategien kurzfristig und punktuell erreichen, was wir wollen, zahlen wir auf längere Sicht einen hohen Preis.
Der Traum, im konstruktiven Austausch mit anderen zu wachsen und Kraft zu gewinnen, bleibt in dieser Welt von Gewinnern und Verlierern eine ferne Utopie.
Nach diesem Ausflug in die Wolfswelt wandern wir nun in die Giraffenwelt. Auf ihren Wegen kommen unsere Herzen leichter miteinander in Schwingung, was die Chancen für eine fruchtbare Verständigung erhöht.
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