Wölfe und Giraffen
Wozu Gewaltfreie Kommunikation?
»Frage dich nicht, was die Welt braucht. Frage dich, was dich lebendig werden lässt und dann geh los und tu das. Was die Welt nämlich braucht, sind Menschen, die lebendig geworden sind.«
Harold Whitman
Stell dir vor: Dein Mann macht dir einen Vorwurf … und du bist nicht gekränkt! Oder andersherum: Du bist enttäuscht oder sauer über etwas und du kannst es so sagen, dass deine Frau dich versteht! Wäre das nicht wunderbar?
Die Gewaltfreie Kommunikation ist eine Methode, uns mit unserem mitfühlenden Wesen zu verbinden. Aus dieser inneren Kraft heraus und durch eine herzliche Verbindung zum anderen können wir Konflikte so angehen und lösen, dass das Leben aller bereichert wird.
Gandhi hat festgestellt, dass unsere natürliche Fähigkeit des Mitfühlens sich wieder entfaltet, wenn die Gewalt in unserem Inneren nachlässt. In diesem Sinn nennt Marshall Rosenberg seine Methode »gewaltfrei«.
In diesem Buch lernst du einen aus vier Schritten bestehenden, leicht verständlichen Prozess kennen. Er kann dir helfen, das bunte Vielerlei deiner Gedanken, Wünsche, Vorstellungen, Gefühle und Interessen zu entmischen und so neu zusammenzusetzen, dass du im Umgang mit deinen Gefühlen und Bedürfnissen zunächst weniger und dann irgendwann keine Gewalt mehr brauchst – weder gegen dich selbst noch gegen andere.
Du kannst dann sagen, wie es dir geht, ohne gleichzeitig Stolpersteine in den Fluss eurer Kommunikation zu rollen. Und du kannst verstehen, was mit dem anderen los ist, ohne dich von bissigen, verletzenden Formen seiner Aussagen beirren zu lassen.
Selbst unserer Anerkennung und unserer Dankbarkeit wachsen kraftvollere Flügel, wenn wir sie im Sinn der Vier Schritte ausdrücken und unsere Beziehungen starten damit zu ungeahnten Höhenflügen. Dazu später mehr im Kapitel über Wertschätzung.
Überhaupt ist jeder innere Dialog, jeder Austausch mit einem Mitmenschen geeignet, um die Lebendigkeit und Tiefe der »Einfühlsamen Kommunikation« zu genießen! Das Kind braucht nicht erst in den Brunnen zu fallen, unsere Gespräche müssen gar nicht erst in Konflikte eskalieren, um die Früchte dieses Prozesses zu ernten.
Häufig haben wir einfach nur keine Idee, wie wir aus den sich aufschaukelnden Teufelskreisen von Angriff und Gegenangriff aussteigen können. Die Gewaltfreie Kommunikation weist uns einen Weg, auf dem wir einander in Gesprächen und Konflikten unsere Gefühle zeigen und darüber sprechen können, was wir wirklich brauchen. Sie ermutigt uns, unsere Vorurteile und Feindbilder fallenzulassen und zu riskieren, andere Menschen wieder unvoreingenommen in ihren guten Absichten wahrzunehmen.
In dieser wohlwollenden Atmosphäre wächst und gedeiht unsere Bereitschaft, uns auszutauschen und für alle fruchtbare Lösungen zu finden. Da wir als soziale Wesen in vielerlei Hinsicht bei der Erfüllung unserer Bedürfnisse voneinander abhängig sind, gewinnen wir damit alle. Die Gewaltfreie Kommunikation ist eine Sprache, in der unsere Herzen lebendig werden und unsere Verbindungen direkt, warm und offen.
Vielleicht regen sich bei dem einen oder anderen jetzt zweifelnde oder skeptische innere Stimmen? Mir ist bewusst, dass sich die Gewaltfreie Kommunikation mit manchen unserer gewohnten Vorstellungen und Selbstverständnissen reibt. Ich bitte dich, deine zurückhaltende Freundin Skepsis und deinen misstrauischen Freund Zweifel mitzunehmen, damit sie sich selbst einen Eindruck verschaffen. Ich verspreche ihnen, dass die Gewaltfreie Kommunikation ihnen in Zukunft viel Arbeit abnehmen wird!
Die Symbole Wolf und Giraffe
»Die Wahrheit ist nur wahr, wenn auch ihr Gegenteil in ihr Platz hat.«
Rudolph Mann
Gemeinsam mit Wolf und Giraffe tanzen wir durch die Seiten dieses Büchleins. Der Wolf ist der Experte für die uns allen sehr vertraute, vom bewertenden und interpretierenden Denken geleitete Art zu sprechen und zu hören. In diesem Büchlein hilft er uns zu erkennen, warum unsere Auseinandersetzungen mit anderen manchmal trotz bester Absichten ganz anders verlaufen, als wir uns das wünschen. Die Giraffe zeigt uns dann, wie wir dieselben Situationen fruchtbar transformieren können.
Die Giraffe spricht und hört ganzheitlicher als der Wolf. Im Gegensatz zum Wolf kann sie ihre Gefühle und Bedürfnisse in das Gespräch einbeziehen. Das ist ein wesentliches Element der »Gewaltfreien Kommunikation«, weshalb sie auch »Einfühlsame Kommunikation« genannt wird.
Natürlich kommen Wolf und Giraffe mit ihren Ausdrucks- und Verständigungsweisen in Wirk-lichkeit nicht in Reinkultur vor. Es gibt keinen Menschen, der nur Wolf ist oder nur Giraffe! Beides sind Kommunikationsstile, die wir mit jedem Gesprächspartner, in jedem Moment, in jeder Situation anders gefärbt und gewichtet verwenden. Manchmal bin ich ein Wolf mit Giraffenflecken, ein andermal eine Giraffe, die auf Wolfspfoten tanzt.
Die auf Dominanz und Bewertungen ausgerichtete Wolfssprache beherrschen wir automatisch. Dachte ich zumindest zunächst. Genau genommen beherrschte sie jedoch mich, denn sie ist die kulturelle Mutter- und Vatersprache, in der wir von klein auf leben und die unser Denken geprägt hat.
Gelegentlich habe ich erlebt, dass tierliebe Menschen es als ungerecht empfinden, dass der Wolf bei dieser Rollenverteilung so schlecht wegkommt. Solltest du etwas Ähnliches empfinden, bitte ich dich, dieses Büchlein durchzublättern und dir die Zeichnungen anzuschauen. Ich hoffe, dass auf diese Weise meine herzliche Wertschätzung auch für den vordergründig oft beißenden Kommunikationsmodus des Wolfes spürbar zum Ausdruck kommt!
Ein Blick ins Giraffenparadies
»Die Welt in der wir leben, entsteht aus der Qualität unserer Beziehungen.«
Martin Buber
Hier kommt nun eine erste Kostprobe der Einfühlsamen Kommunikation, ein kleiner Dialog in der so genannten »Giraffensprache«.
»Wenn du so schnell fährst, fühle ich mich un-wohl.«
»Hast du Angst, dass etwas passieren könnte?«
»Ja, ich bin ein bisschen besorgt – und ich kann bei dem Tempo die Landschaft auch gar nicht genießen. Bitte fahre etwas langsamer!«
»Okay! Ich freue mich ja darüber, dass wir zum Vergnügen unterwegs sind. Ich fühle mich doch noch etwas angespannt vom Job. Was hältst du davon, wenn ich dort vorne am Restaurant anhalte und wir auf der Terrasse einen Kaffee trinken?« »Oh! Das gefällt mir!«
Wäre es nicht wundervoll, wenn unsere Gespräche so ablaufen würden? Und wenn das nicht nur zufällig in Sternstunden geschähe, sondern wenn wir ein klares Handwerkszeug hätten, damit wir uns bewusst so ausdrücken können, dass diese herzliche Verbindung