Wenn die Giraffe mit dem Wolf tanzt. Serena Rust. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Serena Rust
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783867287227
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wir davon sprechen, wie es uns geht und was wir brauchen, um uns besser zu fühlen. Diese vier Schritte bilden die Brücke, über die wir aus unserer bisherigen »normalen« Art der Kommunikation in das Giraffenparadies gelangen. Ich stelle sein Modell hier kurz vor und gehe später ausführlich auf jeden einzelnen Schritt ein.

       1. Schritt: Beobachten – ohne zu bewerten

      Im ersten Schritt sage ich, was genau der Anlass ist, weshalb ich dieses Gespräch beginne. Wichtig ist, dass ich keine Bewertung in meine Aussage hineinmische.

      Was genau war der Auslöser, auf den ich reagiert habe? Was habe ich gesehen oder gehört?

      Wenn ich sage: »Du kommst 20 Minuten nach dem Filmanfang!«, drücke ich aus, was ich beobachte. Sage ich: »Du kommst schon wieder zu spät!«, mische ich hinein, was ich davon halte.

       2. Schritt: Fühlen – ohne zu interpretieren

      Im zweiten Schritt spreche ich mein Gefühl an. Ich kann z.B. ängstlich sein, froh, betroffen, frustriert, berührt oder traurig. Sage ich hingegen: »Ich fühle mich von meinem Chef übergangen!«, drücke ich aus, wie ich ein bestimmtes Verhalten meines Chefs interpretiere.

       3. Schritt: Bedürfnisse – statt Strategien

      Im dritten Schritt sage ich, welches Bedürfnis hinter diesem Gefühl liegt, das mich bewegt, z.B. das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Freiheit, Sicherheit, Autonomie, Sinn.

      Mit dem Satz: »Ich brauche Erholung«, drücke ich ein Bedürfnis aus. Sage ich hingegen: »Ich möchte morgen einen Ausflug machen«, spreche ich von einer Strategie, einem konkreten Weg also, wie ich mein Bedürfnis nach Erholung befriedigen will.

       4. Schritt: Bitten – statt fordern

      Und im vierten Schritt schließlich äußere ich eine Bitte, in der ich sehr konkret sage, was ich jetzt gerne möchte.

      »Bitte, kannst du die Spülmaschine gleich ausräumen?«

      Ob das eine Bitte oder eine Forderung ist, entscheidet sich daran, ob der andere »Nein« sagen kann, ohne dass unsere Verbindung leidet oder er mit Sanktionen rechnen muss.

      Wir können diese Vier Schritte anwenden, um uns selbst auszudrücken und wir können sie an­­wenden, wenn wir anderen zuhören, um uns in ihre Beobachtungen, ihre Gefühle, ihre Bedürfnisse und ihre Bitten einzufühlen. Auf diese Weise wird unsere Kommunikation zu einem hin und her schwingenden Tanz zwischen dem, was ich beobachte, fühle, brauche und erbitte und dem, was du beobachtest, fühlst, brauchst und erbittest.

      Die Vier Schritte geben mir das Gefäß, die Struktur, in die ich meine Worte gieße.

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      »Sie sind einfach, aber nicht leicht!«, hörte ich kürzlich über die Vier Schritte. Das stimmt. Sie sind ein leicht überschaubares Modell, doch wenn wir sie anwenden wollen, finden wir uns häufig unversehens in den Denk- und Sprechweisen wieder, die uns seit Jahrzehnten vertraut sind.

      Ich selbst war überrascht und zunehmend irritiert, wie ich entgegen meiner bewussten Absicht automatisch immer wieder in die Wolfssprache rutschte! Also musste ich mir erst mal die Welt meines inneren Wolfes mit ihren Sprachformen bewusst machen, um sie identifizieren und verändern zu können.

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       In der Wolfswelt

       »Wer sagt, hier herrscht Frieden, der lügt. Frieden herrscht nicht.«

      Erich Fried

      Unsere Sprache haben wir in unserer Kindheit gelernt. Wir sind damit erzogen worden und sie ist uns seit Jahrzehnten in Fleisch und Blut übergegangen.

      Doch obwohl wir sie gut beherrschen, gelingt uns damit manchmal nicht der erfüllende Austausch, den wir uns wünschen. Trotz aller guten Absichten schlittern wir immer wieder in verletzende Auseinandersetzungen und tragen durch unsere Wortwahl und unsere Art des Sprechens zu Schmerz und Leid bei.

      Also wollen wir versuchen, unserer Wolfssprache auf die Spur zu kommen. Auf welche Art und Weise versuchen wir auf andere Menschen Einfluss zu nehmen, wenn uns deren Verhalten nicht gefällt? Wie teilen wir in solchen Momenten mit, was uns bewegt?

      Ein Wolfsgespräch mit einem Nachbarn:

      Wolf 1: »Hören Sie mal, Herr Schmidt, wann machen Sie endlich Ihre unmöglichen Monsterfichten weg?«

      Wolf 2: »Erstens das sind keine Fichten, sondern Tannen! Zweitens haben Sie mir gar nichts vorzuschreiben! Und drittens kümmern Sie sich erst einmal um Ihre Birken, deren Laub immer in meinen Garten fällt!«

      Wolf 1: Jetzt stellen Sie sich mal nicht so an we­­gen dem bisschen Laub in den zwei Wochen im Jahr! Das ist der Lauf der Natur! Ich leide das ganze Jahr unter dem Schatten Ihrer Bäume. Und außerdem wächst hier in meinem Beet nichts mehr, seitdem Ihre Bäume meinen Pflanzen alles Wasser wegnehmen!«

      Wolf 2: »Sie sind doch nur zu faul zum Gießen!«

      Wolf 1: »Das ist ja eine Frechheit! Das schlägt doch dem Fass den Boden aus! Wenn in den nächsten vier Wochen nichts passiert, hören Sie von meinem Anwalt!«

      Wolf 2: »Nur zu! Da freu’ ich mich schon drauf!«

      Ein Wolf weiß immer genau, was richtig oder falsch ist. Er ist davon überzeugt, dass seine Perspektive für alle und alles gilt, denn er hat sozusagen »die Wahrheit gepachtet«. Wenn er anderen deutlich macht, was an ihnen verkehrt ist oder was sie falsch gemacht haben, dient es nach sei­ner Überzeugung nur der Wahrheitsfindung. Und um seiner Sichtweise den nötigen Nachdruck zu verleihen, droht er auch mal mit Konsequenzen. Zuckerbrot und Peitsche, Lob und Strafe hält er im zwischenmenschlichen Umgang für normal.

      Wölfische Ausdrucksweisen inklusive Tonfall, Mi­mik und Körperhaltung sollen einschüchtern und können durchaus bedrohlich wirken. Wahrscheinlich zahlt der andere mit gleicher Münze zurück – und schon haben wir die Eintrittskarte zum Wolfskarussell gelöst und kreiseln durch Angriff und Gegenangriff, Beschuldigungen, Geringschätzung und Drohungen.

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      Beim Wolf dominiert das Denken, vor allem seine Meinungen über andere.

      Was sonst noch in seinem Inneren mitspielt, weiß er nicht so genau. Gefühle sind ihm eher suspekt und er befürchtet, dass er sich mit ihnen lächerlich machen oder die Kontrolle verlieren könnte und dann nicht mehr so funktioniert, wie er doch muss. Solange er davon überzeugt ist, dass er im Recht ist, fühlt er sich unabhängig und sicher.

      Er glaubt, dass der Schokoladenkuchen ohnehin zu klein ist, als dass alle nach Herzenslust davon bekommen könnten. Das bedeutet in der Wolfswelt: Die anderen sind Konkurrenten und ihnen ist zu misstrauen. Es wird immer Gewinner und Verlierer geben und wenn man zu den Gewinnern gehören will, muss man dafür mit allen Mitteln kämpfen.

      Zum Beispiel, indem man darauf beharrt Recht zu haben. Natürlich hat er Recht! Das ist doch sonnenklar! Wenn der andere das nur endlich einsehen würde! Dann wären diese unerfreulichen Auseinandersetzungen überflüssig! Und die Beziehung könnte schön und harmonisch sein!

      Wahrscheinlich hast du mittlerweile eine ganze Reihe von »Wölfen« in deinem Umfeld identifiziert.