Dort wo Begriffe in Pali und Sanskrit erwähnt werden, gilt folgende Regel: (Pali/Sanskrit).
EINFÜHRUNG:
Buddhas tausend Gesichter – Legenden und Lehren Erleuchteter
Die lebendige Essenz der Übertragungslinien,
immer wieder entdeckt, verwirklicht und weitergegeben,
ist mehr als das Wissen um die Lehre:
Es ist das Feuer der Begeisterung
für die uns innewohnende Weisheit und Verbundenheit.
Geschichten buddhistischer Heiliger – wozu?
Als ich den Teilnehmenden meiner Meditationskurse erzählte, ich würde gern ein Buch über buddhistische Praxis schreiben, veranschaulicht am Beispiel des Lebens von »Heiligen«, waren die Reaktionen zurückhaltend bis skeptisch. Wozu sollten wir heute noch so etwas Anachronistisches wie alte Legenden und Geschichten brauchen? Was sollten wir daraus lernen können? In meinen Meditationskursen und Retreats fühlen sich viele Menschen gerade deshalb zuhause, weil keine Religion gelehrt wird, weil sie an keine Dogmen glauben müssen – weil nur das gelehrt wird, was sie direkt in ihr Leben umsetzen können: Das Kultivieren einer wachen und sanften Achtsamkeit, mit deren Hilfe sie die Gesetzmäßigkeiten des Daseins und der wahren Natur des Geistes ergründen können, wodurch befreiende Weisheit und tiefe Verbundenheit entstehen. Eine anspruchsvolle, aber auch sehr pragmatische Sache. Und nun diese alten Heiligengeschichten!
Doch auch in diesen Legenden und Lehren geht es um den Weg zu Glück und innerer Befreiung – eine Praxis, wie sie der Buddha und die Meisterinnen und Meister der letzten Jahrtausende gelehrt und gelebt haben. Es geht in ihnen um das, was heute noch genauso wesentlich ist: die Erkenntnis der Vergänglichkeit aller Dinge des Daseins, das Verstehen des Leidens, das durch Festhalten an Vergänglichem entsteht und durch Verlangen nach immer Mehr, Höher, Besser und Schneller, nach immer mehr Gütern, mehr Spaß, mehr angenehmen Erfahrungen. Es geht um das Erkennen der inneren Dämonen – Ärger, Hass und Angst, Begehren, Neid und Arroganz – und um die Mittel, sich davon zu befreien. Und es geht darum, wie man heilsame, Glück schaffende Herzens- und Geistesqualitäten wie Großzügigkeit, Mitgefühl und Gelassenheit entwickeln und kultivieren kann.
Wie einige, zugegebenermaßen außergewöhnliche Menschen, diese Erkenntnisse erlangt haben, den Weg der Befreiung gegangen sind und ihn in ihrem Leben umgesetzt haben, davon möchte ich in den folgenden Geschichten erzählen. Dabei sind mir vor allem ihre vorgelebte Praxis und positive Lebensart ganz wichtig.
Ich möchte mit diesen Erzählungen auch einige lebendige Einblicke in die buddhistische Geschichte geben. Für Menschen von heute, die viel Zeit und Energie investieren, um die Lehren und Praktiken aus fernen Kulturen ins eigene Leben zu integrieren, kann es interessant und aufschlussreich sein, zu verstehen, was die Menschen von damals bewegte, so zu handeln – und so zu praktizieren –, wie sie es taten. Manche Details in diesen Geschichten sind legendenhafte Ausschmückung, doch vielfach werden auch die Lebensumstände der damaligen Zeit erstaunlich wirklichkeitsnah wiedergegeben. Das ermöglicht uns, unterscheiden zu lernen, was uns diese Heiligen für unser eigenes Leben lehren und was wir als Bestandteil fremder Kulturen und ferner Zeiten erkennen und wertschätzen können, uns aber nicht zu eigen machen müssen.
Und noch einen Grund gab es für mich, das Thema der »buddhistischen Erleuchteten« anzugehen. Ich stelle immer wieder fest, dass die Kursteilnehmenden und Meditierenden in meinem Umfeld zwar oft von den Methoden buddhistischer Praxis angetan sind, sich aber mit der dahinter stehenden zweieinhalbtausendjährigen Tradition keineswegs verbunden fühlen. Zuerst fand ich dies eher hilfreich und verstand es als Ausdruck innerer Unabhängigkeit und Freiheit von »Altlasten«, die Religionen ihren Anhängern oft mitzugeben scheinen: von nicht hinterfragten Dogmen und Ritualen bis hin zu fundamentalistischer Erstarrung.
Aber ich musste dann erkennen, dass dieses fehlende Interesse an der Geschichte der eigenen Praxis-Tradition auch einen Mangel an Eingebundensein und Zugehörigkeit bedeuten kann. Doch ein spiritueller Weg, der unser Wesen zutiefst transformieren soll, kann nicht einfach auf die Anwendung einiger Methoden beschränkt sein. Auf diesem Weg, der unser ganzes Leben und unsere ganze Hingabe verlangt, ist es wesentlich, dass wir uns sowohl unserer Praxis wie auch der Tradition tief verbunden fühlen. Dieses Gefühl von Eingebundensein und Vertrauen gibt uns die Inspiration, die Kraft und die Ausdauer, die nötig sind, um die Schwierigkeiten und Durststrecken, wie sie uns immer wieder begegnen, überwinden oder auflösen zu können und uns langfristig in unserer Praxis zu verwurzeln.
Gegenwärtig wächst das Interesse an Meditation und der Erforschung der Achtsamkeit, und sie scheinen zunehmend in der Mitte der Gesellschaft anzukommen und Anwendung zu finden in den Bereichen der Psychotherapie, Gesundheit und Wellness. Das ist sehr begrüßenswert und – wenn ernsthaft angewendet – für viele Menschen hilfreich und heilend. Damit einher geht zugleich die Tendenz, Meditation zu säkularisieren. Auch dies ist wünschenswert, befreit es doch die zentralen Anliegen und die wertvollen Mittel der Praxis von einem religiösen Überbau, der über die Jahrhunderte bis heute Menschen oft mehr geschadet als genützt hat. Leider scheint dadurch aber auch das Wissen um die Wichtigkeit tiefer Praxis mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten. Selbst Dharma-Lehrer und -Lehrerinnen können sich von dieser Tendenz verführen lassen, nicht nur weil die Leiden mancher Menschen auch durch rein säkular verstandene Methoden geheilt werden können, sondern möglicherweise auch, weil sich so ein größeres Publikum finden lässt. Wenn wir aber den Pfad und die Praxis zum vollständigen Erwachen, zur Befreiung von den »täuschenden und quälenden Eigenschaften von Herz und Geist« (kilesa/klesha) wie Verblendung, Verlangen und Ablehnung und ihre weitreichenden leidvollen Auswirkungen, lebendig erhalten wollen, dann brauchen wir auch Menschen, die ihr ganzes Leben in diese Praxis investieren – bis zum Erreichen der vollständigen Befreiung. In diesem Buch finden sich Geschichten über Menschen, deren Leben wir nicht unbedingt in dieser Konsequenz nachahmen können oder wollen, Geschichten, die uns aber daran erinnern, dass es immer wieder Individuen gab – und hoffentlich weiter geben wird –, die den Weg des Erwachens bis zur Vervollkommnung gegangen sind.
Vertrauen – Eingangstor für alle heilsamen Qualitäten
Vertrauen zählt zu den stärksten Kräften auf dem Weg. Vertrauen – nicht zu verwechseln mit blindem Glauben – gilt als ein Eingangstor für alle heilsamen Qualitäten. Vertrauen öffnet Herz und Geist, es macht uns berührbar und inspiriert uns, nicht nur intellektuell, sondern auch emotional, ja, noch tiefer gehend erreicht Vertrauen die Schichten unseres Unterbewusstseins! Vertrauen (saddha/shraddha) ist die erste der Fünf Spirituellen Fähigkeiten, die wir kultivieren müssen, um den Pfad zu betreten und ihn stetig weitergehen zu können. Es ist dieser Prozess des Vertrauens, des Sich-Öffnens, der Inspiration und Hingabe, der einen Fluss spiritueller Energie, einen Strom des Segens in uns zum Fließen bringt.
Oft erlebe ich, wie Teilnehmende, selbst wenn sie in Meditationsretreats angenehme Erfahrungen machen, unvermittelt wieder von der Praxis ablassen, während andere, selbst wenn sie mit großen Hindernissen konfrontiert sind, konsequent dabei bleiben, bis die Schwierigkeiten geklärt sind. Dieses Plus an Beständigkeit und Zielbewusstsein entsteht durch die Wirkung einer Kraft: der Kraft des Vertrauens.
Lama Tsoknyi Rinpoche illustriert die Funktionsweise dieses »Segensstroms« mit einem zeitgemäßen, sehr treffenden Bild: »Die Buddhas und Bodhisattvas stehen mit ihren Handys permanent