«Frau, wo bist du?»
«Ich komm’ ja schon, ihr Männer seid alle gleich!»
Es waren harmlose Szenen aus dem iranischen Alltag, aber fremdes Lachen verängstigte B. inzwischen genauso wie die Drohungen des Verhörers – vielleicht eine Folge des ersten Lachens seines Betreuers beim Verlassen der Zelle: «It is a prison!»
Zeitweilig gelang es B., seine eigene Unterhaltung zu organisieren. Vorab die Zeit als Schiffsfunker gab viel her.
«Funkoffizier, arrangieren Sie, dass Friseur Schmitz aus Wien am Dienstag nachmittag an Bord kommt!»
Der Friseur musste für den deutschen Schiffseigner generalstabsmässig nach Cannes geholt werden. Er wurde eingeflogen und hatte sich im Hotel bereitzuhalten. Auf exakte Anweisung des Schiffseigners war er um 14.55 Uhr abzuholen, auf direktem Weg zum Schiff zu bringen und hatte für 15.15 Uhr zum Haarschnitt bereit zu sein. Zehn Minuten später war der Spuk vorbei.
Mehr als zehn Minuten trug auch die Erinnerung nicht. An den Nachmittagen durfte B. meist eine Viertelstunde «Luft essen». Das hiess, im Innenhof zehn Meter mit Augenbinde auf- und abgehen, neben anderen, die ebenfalls Augenbinden aufgesetzt hatten. B. stellte sich den rundum von Gebäuden umrahmten Innenhof ähnlich vor wie jenen im Stockalperpalast von Brig, den er einst als Tourist besichtigt hatte. Um den geraden Weg zu halten und den anderen nicht in die Quere zu kommen, musste er sich an den Rillen im Boden orientieren. Ausserdem diente ein Drahtzaun, der den Innenhof in zwei Teile teilte, zur Orientierung. So war es möglich, dass mehrere Gefangene gleichzeitig «Luft assen».
Abends gab es meist wieder Reis und Suppe, hin und wieder wurde auch eine gekochte Kartoffel und ein hartgesottenes Ei durchs Guckloch gereicht. B. hatte Zahnschmerzen, weil sein Zahnarzt in Zürich eine Wurzelbehandlung kurz vor der Abreise nur provisorisch abschliessen konnte und das Provisorium nun hätte ersetzt werden müssen. Ausserdem hatte er Rückenschmerzen, hervorgerufen durch die harte Unterlage, schlief nachts kaum mehr und verlor innerhalb des ersten Monats nach und nach dreissig Kilo seines Körpergewichts. Der Klumpen im Magen war so gross geworden, dass er zeitweilig keinen Bissen mehr herunterbrachte. War das Zeitvertreib, dass er in der Zelle schon versuchte, Käfer zu jagen, oder hätte er die grosse schwarze Kakerlake wirklich gegessen, wenn er sie mit der Sandale erwischt hätte? B. wusste es nicht und war froh, dass sie es geschafft hatte, sich in der Wandritze in Deckung zu retten.
B. beneidete die Kakerlake dafür, dass sie sich verkriechen konnte. Was hätte er dafür gegeben, sich in ein Loch verkriechen zu können! Die Wolldecken schützten ihn zwar vor Blicken durch den Spion, wenn er sie über den Kopf zog und heulte wie ein kleines Kind, aber sie boten keinen Schutz vor dem «Birun!» B. versuchte sich unter den Wolldecken klein zu machen, krümmte sich wie ein Embryo in der Gebärmutter.
«Birun!» – hinaus ging es zu neuen Verhören.
Auf das stereotype «How are you?» des Verhörers antwortete B. inzwischen ebenfalls stereotyp und abwesend mit «Thank you». Als die Verhörer seine wachsende Nervosität feststellten, das ununterbrochene Fusswippen, und seinen Zusammenbruch befürchten mussten, führten sie ihn in die «Klinik» in einem Trakt im ersten Stock des Gefängnisses. B. erhielt auf einem Krankenbett eine Infusion mit einer weisslichen Flüssigkeit.
«Was wird mir gegeben?»
«Etwas, was dir gut tut», antwortete der Verhörer.
B. fragte nicht weiter, es war allein schon ein herrliches Gefühl, auf einem Bett zu liegen. Er versuchte Zeit zu schinden, solange es ging, verwickelte den Klinikarzt in ein Gespräch, fragte, ob er eine Familie habe und wie viele Kinder – ein Lieblingsthema, das Gespräche endlos ausdehnen konnte. Eine Weile unterhielten sie sich, aber dann war der Arztbesuch zu Ende. B. musste aufstehen und wurde hinausgeführt. Während fünf Tagen musste er nun morgens und abends in Anwesenheit eines Gefängniswärters Beruhigungs- und Schmerztabletten schlucken.
Nun konnte B. wenigstens wieder ein paar Stunden schlafen. Kein Zweifel, die Befrager wollten ihn bei Sinnen halten. Je länger die Verhöre dauerten, um so mehr rückte der Vorwurf der Spionage ins Zentrum des Befragerinteresses. Nachdem der Terminkalender, den er im Hotel liegen gelassen hatte, ausgewertet worden war, hielten sie B. der Reihe nach vor, Spion für Ägypten, China, die BRD und – als Krönung gewissermassen – für die USA zu sein.
«Ich bin kein Spion!» antwortete B. auf alle Vorhaltungen und schrieb stereotyp unter jede Aufzeichnung in diesem Zusammenhang: «I AM NO SPY!»
«Und was bezweckten die Telefonate mit Mexiko?»
B. hatte kurz vor seiner Verhaftung vom Hotel in Teheran aus nach Mexiko telefoniert, um sich zu vergewissern, dass das Ausstellungsmaterial für «America’s Telecom 92» rechtzeitig in Acapulco eintraf. Ausserdem hatte er im Dezember von Mexiko aus nach Teheran telefoniert, um sich bei der iranischen Vertretung der Firma nach Angeboten der Konkurrenz zu erkundigen. Das schweizerische Bundesamt für Aussenwirtschaft (Bawi) war entgegen seiner langjährigen Praxis nur noch bereit, Ausfuhrbewilligungen für die Geräte seiner Firma zu erteilen, wenn der Iran dieses Material auch aus anderen Ländern bekommen konnte. Chiffriergeräte galten zwar nicht als Kriegsmaterial, doch als strategisch wichtige Exporte unterlagen sie in Nato-Staaten und assoziierten Ländern wie der Schweiz strengen Ausfuhrbestimmungen. Der iranische Vertreter hatte B. am Telefon keine Auskunft geben wollen, weil solche Informationen von militärischer Bedeutung seien. Rechnete er damit, dass sein Telefon abgehört wurde?
«Sie haben militärisch geheime Informationen beschaffen wollen! Warum?»
B. versuchte den Verhörern die Änderung der schweizerischen Ausfuhrbestimmungen begreiflich zu erklären. Diese Information war Voraussetzung, dass die Firma überhaupt in den Iran liefern durfte!
«Warum wollten Sie wissen, wie viele militärische Fahrzeuge der verschiedenen Typen die iranische Armee hat? Das hat nichts mit den schweizerischen Ausfuhrbestimmungen zu tun!»
Solche Fragen hatte B. den iranischen Kaufinteressenten stellen müssen, wenn er Garantie leisten wollte, dass die Chiffriergeräte in den Fahrzeugen befestigt werden konnten. Die Firma musste die exakten Masse kennen, um zusätzliche mechanische Befestigungen anzubringen.
«Ich musste mich vergewissern, dass die Geräte nach der Lieferung montierbar waren. Andernfalls hätten sie die iranischen Kunden mit Schnüren anbinden müssen!»
B. konnte in solchen Phasen der Verhöre seine Wut nur schlecht verbergen. Der bedingungslose Einsatz für die Kunden und letztlich für die Sicherheit des Landes wurde ihm als Spionage ausgelegt! Er durfte sich keine Ungeduld anmerken lassen, wenn seinen Beteuerungen nicht geglaubt wurde.
«Haben Sie gewusst, dass der Vertreter Ihrer Firma in Teheran im Besitz einer Pistole war?»
«Ja, er hat sie mir einmal gezeigt. Es war alles korrekt, er hatte einen Waffentragschein und deponierte die Waffe bei Besuchen in Regierungsstellen stets bei der Sicherheitskontrolle am Gebäudeeingang.»
B. war froh, sich so ausführlich erklären zu können, das würde seiner Sache dienlich sein. Jedesmal, wenn B. in den Raum geführt wurde, wo er beim Gefängniseintritt seine Sachen hatte abgeben müssen, hegte er die Vermutung, dass seine Freilassung unmittelbar bevorstand. Jetzt werden sie dir gleich alles zurückgeben, dachte B., vielleicht steht schon der Gefängnisdirektor da und wünscht gute Heimkehr. Aber das eine Mal wurden ihm Fingerabdrücke genommen, ein zweites Mal hatte er in einen Stuhl zu sitzen und die Füsse an einen bezeichneten Ort zu stellen, damit ein Fotograf mit Henkersmütze und Sehschlitzen ein Bild schiessen konnte. Ein drittes Mal musste er seine exakte Adresse in der Schweiz aufschreiben und ein kleines